BGHZ 91, 324 – Willenserklärung ohne Erklärungsbewußtsein

Es handelt sich um die praktische Umsetzung des gedachten Lehrbeispiels der „Trierer Weinversteigerung“: Wann soll ein fehlendes Erklärungsbewusstsein schaden, also das Vorhandensein einer Willenserklärung verhindern? Der BGH entwickelt in dieser (überraschend späten) Entscheidung den Vertrauensschutz als Basis der Wertung.

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Amtlicher Leitsatz:

Trotz fehlenden Erklärungsbewußtseins (Rechtsbindungswillens, Geschäftswillens) liegt eine Willenserklärung vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat. Sie kann gemäß §§ 119, 121, 143 BGB angefochten werden.

Sachverhalt:
Die Klägerin, die Hallen aus Stahl herstellte, hatte von ihrer Kundin, der Firma SVG- (im folgenden: SVG) verlangt, Bankbürgschaften zur Sicherung aus Lieferungen herrührender Verbindlichkeiten beizubringen. Das sagte der der SVG auch zu. Er nahm einen von der Klägerin am 4. September 1981 ausgestellten, auf die SVG gezogenen Wechsel über 259 046,83 DM für diese Firma an.
Am 8. September 1981 richtete die beklagte Sparkasse folgendes Schreiben an die Klägerin:

„Unsere Bürgschaft in Höhe von DM 150 000 zugunsten Firma SVG-GmbH

Sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren,

zugunsten der Firma SVG-GmbH haben wir gegenüber Ihrer Firma die selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von DM 150 000 übernommen. Wir wären Ihnen für eine kurze Mitteilung sehr verbunden, wie hoch sich die Verpflichtungen der Firma SVG-GmbH bei Ihnen derzeit belaufen. …“

Die Klägerin antwortete unter dem 17. September 1981:

„Wir danken für Ihr Schreiben vom 8. 9. 1981 und haben gerne zur Kenntnis genommen, daß Sie gegenüber der Firma SVG-mbH … die selbstschuldnerische Bürgschaft gegenüber unserer Firma in Höhe von 150 000 DM übernommen haben.
Unsere Forderungen an die oben genannte Firma betragen mit heutigem Stand öS 1 652 717,83, welches einem Gegenwert von 236 102,54 DM entspricht. …“

Am 24. September 1981 schrieb die Beklagte an die Klägerin:

„Zu Ihrem Schreiben vom 17.9. 1981 teilen wir Ihnen mit, daß wir an Sie gegenüber der oben bezeichneten Firma (SVG-Gesellschaft mit beschränkter Haftung) keine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 150 000 DM übernommen haben. Die in Ihrem Schreiben angeführten Ausführungen treffen daher nicht zu. …“

Nachdem die Klägerin am 28. September 1981 auf den Widerspruch zu dem Schreiben vom 8. September 1981 hingewiesen hatte, entgegnete die Beklagte unter dem 6. Oktober 1981:

„…Bei dem Schreiben vom 8. September 1981 ging unsere Zweigstelle davon aus, daß gegenüber der Firma Sch. Hallen Bau GmbH eine Bürgschaft besteht. Diese Annahme beruhte auf einem . Im Dezember 1980 war auch die Übernahme einer Bürgschaft gegenüber der Firma Sch. im Gespräch. Diese Bürgschaft kam jedoch nie zustande. …“

Mit Schreiben vom 17. November 1981 focht die Beklagte „eine etwa erteilte Bürgschaftserklärung nochmals wegen Irrtums vorsorglich an“.
Am 8. Dezember 1981 ging der Wechsel über 259 046,83 DM mangels Zahlung der Bezogenen zu Protest.
Das Landgericht erkannte der Klägerin am 12. August 1982 durch Vorbehaltsurteil 150 000 DM nebst Prozeßzinsen zu. Es erklärte dieses Urteil am 11. November 1982 für vorbehaltslos. Das Oberlandesgericht wies die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Berufungen zurück. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:
Auf Grund der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung unstreitiger Umstände steht fest: Die Klägerin durfte das Schreiben vom 8. September 1981 dahin auffassen, daß die Beklagte mit ihm eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis 150 000 DM für die aus Lieferungen von Stahlhallen herrührenden Verbindlichkeiten der SVG, zu denen auch die Schuld aus dem von dieser Gesellschaft akzeptierten und nicht eingelösten Wechsel vom 4. September 1981 gehört, gegenüber der Klägerin eingehen wollte. Die Klägerin hat das Schreiben auch so verstanden und das in ihm erkannte Vertragsangebot angenommen. Insoweit erhebt die Revision keine Beanstandungen.

1. Wie sie jedoch zutreffend ausführt, ist nach der Unterstellung des Tatrichters für die Revisionsinstanz davon auszugehen, daß die Vertreter der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 8. September 1981 nur eine tatsächliche Mitteilung machen wollten, also bei der Unterzeichnung und Absendung nicht den Willen, ja nicht einmal das Bewußtsein hatten, eine verbindliche rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben. Dann aber, so macht die Revision geltend, fehle es am Tatbestand einer Willenserklärung. Ihrer Beseitigung durch Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB bedürfe es mithin nicht. Allenfalls ein nicht dargelegter Vertrauensschaden sei analog § 122 BGB zu ersetzen, wenn die Beklagte die mögliche Deutung ihres Verhaltens als Willenserklärung bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können.
Der Angriff ist unbegründet.

a) Die Ansicht, daß das Erklärungsbewußtsein ein konstitutives Erfordernis der Willenserklärung sei, sein Fehlen also ohne Anfechtung Nichtigkeit zur Folge habe und allenfalls analog § 122 BGB oder aus culpa in contrahendo eine Haftung des Erklärenden auf Ersatz des Vertrauensschadens in Betracht komme, vertreten insbesondere Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts 15. Aufl. 1. Band 2. Halbband S. 901 ff.; Lehmann/Hübner, Allgemeiner Teil des BGB 15. Aufl. § 34 III1b = S. 260; H. Lange, BGB Allg. Teil 12. Aufl. S. 229; Fabricius JuS 1966, 1, 8; Wieacker JZ 1967, 385, 389; Thiele JZ 1969, 405, 407; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 427 ff., 548 ff.; derselbe NJW 1974, 521, 527, 528; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 1972, S. 469 ff.; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. vor § 116 Rdnr. 18/27, 80/83 (vgl. auch Schmidt-Salzer JR 1969, 279, 282, 284, 288). Der Auffassung, daß die ohne jenes Bewußtsein abgegebene Erklärung, die ihr Empfänger als rechtsgeschäftliche verstehen durfte, zunächst wirksam sei, aber wie ein Erklärungsirrtum gemäß §§ 119 Abs. 1, 120, 121 BGB angefochten werden könne, sind vor allem Larenz, Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts S. 82 ff.; derselbe BGB Allg. Teil 6. Aufl. S. 343 ff.; Flume, Allg. Teil 3. Aufl. Bd. 2 S. 449 f., allerdings nicht für die konkludente Handlung; Lange/Köhler, BGB Allg. Teil 17. Aufl. S. 240 ff.; Gudian AcP 169, 232 ff.; Kellmann JuS 1971, 609, 612 f.; von Craushaar AcP 174, 2, 6 ff.; Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung [1960] S. 50 ff.; derselbe in Erman, BGB 7. Aufl. vor § 116 Rdnr. 3; MünchKomm/Kramer vor § 116 Rdnr. 13 und § 119 Rdnr. 78 ff.; Soergel/Hefermehl, BGB 11. Aufl. vor § 116 Rdnr. 12 bis 15; Bydlinski eingehend in JZ 1975, 1.
Der hat die Frage bisher nicht abschließend entschieden. Er hat sie in den Urteilen vom 20. Oktober 1952 – IV ZR 44/52 = NJW 1953, 58 und vom 11. Juli 1968 – II ZR 157/65 = NJW 1968, 2102 ausdrücklich offengelassen. Aus der Entscheidung vom 10. Mai 1968 – V ZR 221/64 = JR 1968, 420, 421 kann nicht eindeutig entnommen werden, daß der Bundesgerichtshof das Erklärungsbewußtsein für konstitutiv halte. Dort ist ausgeführt, daß der Glaube an einen Rechtsübergang kraft Gesetzes den rechtsgeschäftlichen Willen und seine Erklärung nicht ersetzen könne. Dagegen nehmen das eine Gefälligkeitshandlung betreffende Urteil BGHZ 21,102, 106 ff. und die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts in NJW 1971, 1422, 1423 und in DB 1973, 1129, 1130 an, daß es nicht auf den verborgen gebliebenen inneren Willen des Erklärenden, sondern darauf ankomme, wie der Erklärungsgegner nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung aller Begleitumstände die Äußerung verstehen durfte. Im Urteil vom 14. März 1963 – VII ZR 257/61(= LM BGB § 150 Nr. 6) sieht der Bundesgerichtshof anscheinend das Erklärungsbewußtsein als Voraussetzung einer Willenserklärung an, legt aber auch dar, daß derjenige, der durch schlüssiges Verhalten den Eindruck erweckt, er habe einen Geschäftswillen gehabt und geäußert, ohne ihn tatsächlich zu haben, sich nach § 242 BGB so behandeln lassen müsse, wie wenn er einen Geschäftswillen gehabt hätte. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Februar 1976 – II ZR 177/74 (WM 1976, 448) ist die Unterzeichnung einer Handelsregisteranmeldung durch einen Gesellschafter für die übrigen Gesellschafter regelmäßig dahin zu verstehen, daß er auch im Innenverhältnis billige, was er dort erklärt habe. Dabei sei die Frage, ob ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, nicht nach dem verborgen gebliebenen inneren Willen des erklärenden Gesellschafters, sondern danach zu beurteilen, ob sein Verhalten aus der Sicht der Mitgesellschafter nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Ausdruck eines bestimmten Willens erscheint. In diesem Urteil wird auch eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB für möglich erachtet. Die dort entwickelten Grundsätze wurden allerdings bisher auf Erklärungen, die nicht die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse nach außen und innen zu verändern geeignet sind, soweit ersichtlich, nicht übertragen.

b) Der erkennende Senat ist von den Erwägungen des II. Zivilsenats ausgehend der Auffassung, daß es zur Wirksamkeit der Bürgschaftsverpflichtung nicht darauf ankommt, ob die Vertreter der Beklagten bei der Unterzeichnung und Absendung ihres Schreibens vom 8. September 1981 den Willen oder auch nur das Bewußtsein hatten, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben. Dafür sind in Anlehnung an Bydlinski (a.a.O.) und Kramer (MünchKomm § 119 Rdnr. 81 ff.) folgende Gründe maßgebend: In den §§ 116 ff. BGB ist der Begriff der Willenserklärung nicht definiert. Insbesondere aus dem Wortlaut des § 119 BGB kann nichts gegen die hier vertretene Ansicht hergeleitet werden. „Eine Erklärung dieses Inhalts“ hat nicht nur nicht abgeben wollen, wer sich einen anderen rechtsgeschäftlichen Inhalt vorgestellt hatte, sondern auch derjenige, der keine rechtsgeschäftliche Erklärung hatte abgeben wollen. Aus § 118 BGB ist nicht zu schließen, daß fehlendes Erklärungsbewußtsein (oder fehlender Geschäftswille) ohne Anfechtung immer zur Nichtigkeit führe. Will der Erklärende, wie in § 118 BGB vorausgesetzt, bewußt keine Bindung in der Erwartung, daß dies auch erkannt werde, so entspricht die Nichtigkeit seinem Willen; ihm braucht die Wahl, das Erklärte gegen und für sich gelten zu lassen oder nach § 119 BGB anzufechten, nicht eröffnet zu werden. Damit nicht zu vergleichen ist eine Erklärung ohne das Bewußtsein, daß sie als rechtsgeschäftliche verstanden wird. Sie steht der irrtümlichen, als rechtserheblich gewollten Erklärung sehr viel näher. Wer erklärt zu kaufen, sich aber Verkauf vorstellt, befindet sich in einer ganz ähnlichen Lage wie derjenige, der das für Kauf übliche Zeichen gibt, aber nicht an Kauf denkt. In beiden Fällen erscheint es angemessen, dem Erklärenden die Wahl zu lassen, ob er nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten will und dann das Vertrauensinteresse nach § 122 BGB ersetzen muß oder ob er bei seiner Erklärung stehen bleiben will und dann eine etwaige Gegenleistung erhält, die ihn günstiger stellen könnte als seine einseitige Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens.

Mit dieser Wahlmöglichkeit ist auch das Bedenken ausgeräumt, daß ohne Erklärungsbewußtsein keine privatautonome Gestaltung in Selbstbestimmung vorliege, die durch Selbstverantwortung allein nicht ersetzt werden könne. Das Recht der Willenserklärung baut nicht nur auf der Selbstbestimmung des Rechtsträgers auf; es schützt in §§ 119, 157 BGB das Vertrauen des Erklärungsempfängers und die Verkehrssicherheit, indem es den Erklärenden auch an nicht vorgestellte und, was dem gleichzuachten ist, an nicht bewußt in Geltung gesetzte Rechtsfolgen bindet. Die Befugnis des Erklärenden, der in beiden Fällen die tatsächlich in seiner Erklärung zum Ausdruck gebrachten Rechtsfolgen nicht gewollt hat, diese durch Anfechtung rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB) zu vernichten oder gelten zu lassen, trägt dem Gedanken der Selbstbestimmung ausreichend Rechnung (so auch Soergel/Hefermehl a.a.O.).
Eine Willenserklärung liegt bei fehlendem Erklärungsbewußtsein allerdings nur dann vor, wenn sie als solche dem Erklärenden zugerechnet werden kann. Das setzt voraus, daß dieser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Erklärung oder sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte (so neben Bydlinski und Kramer insbesondere Larenz, Gudian und Brox jeweils a.a.O.; vgl. auch BGHZ 21, 102, 106; Palandt/Heinrichs, BGB 43. Aufl. vor § 116 Anm. 4 b).

2. Die Revision rügt von diesem Rechtsstandpunkt aus weiter, das Berufungsgericht habe keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergebe, daß die Vertreter der Beklagten die Deutung ihres Verhaltens als Willenserklärung bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätten erkennen können. Diese Rüge greift nicht durch. Angesichts des Wortlauts des von den Vertretern der Beklagten verfaßten Schreibens vom 8. September 1981, mit dem sie erstmals Verbindung zur Klägerin aufnahmen, bedurfte es keiner Begründung durch den Tatrichter, daß sich den Repräsentanten der Beklagten die Erkenntnis hätte aufdrängen müssen, der Empfänger werde ihr Schreiben als verbindliches Angebot auf Abschluß eines Bürgschaftsvertrags verstehen; denn in der den Formerfordernissen des § 766 BGB genügenden Erklärung sind Gläubiger und Schuldner bezeichnet, die Verbindlichkeiten, die verbürgt werden sollen, ausreichend bestimmt und der Verbürgungswille objektiv zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls eine Sparkasse oder Bank, die eine solche Erklärung einem Gläubiger ihres Kunden zugehen läßt, muß bei Anwendung der im Kreditgewerbe erforderlichen Sorgfalt damit rechnen, daß der Empfänger die Erklärung entsprechend ihrem Inhalt als Bürgschaftsverpflichtung auffassen werde. Dem steht nicht entgegen, daß die Beklagte, wie die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, bei Bürgschaftsübernahme entsprechend der Verkehrssitte einen Vordruck verwende. Denn auch den vertretungsberechtigten Leitern einer Zweigstelle der beklagten Sparkasse muß bekannt sein, daß Willenserklärungen bindend nicht nur in Formularen abgegeben werden können, zumal ein Kaufmann (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 HGB) eine Bürgschaft auch formfrei übernehmen kann (§ 350 HGB).

II.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte ihre Erklärung vom 8. September 1981 nicht wirksam angefochten habe, läßt entgegen den Angriffen der Revision keinen Rechtsfehler erkennen.

1. Das Schreiben der Beklagten vom 24. September 1981 erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Anfechtungserklärung im Sinne des § 143 Abs. 1 BGB. Anfechtungserklärung ist jede Willenserklärung, die unzweideutig erkennen läßt, daß das Rechtsgeschäft rückwirkend beseitigt werden soll. Es bedarf dabei nicht des ausdrücklichen Gebrauchs des Wortes „anfechten“. Es kann je nach den Umständen durchaus genügen, wenn eine nach dem objektiven Erklärungswert der Willensäußerung übernommene Verpflichtung bestritten oder nicht anerkannt oder wenn ihr widersprochen wird. In jedem Fall ist aber erforderlich, daß sich unzweideutig der Wille ergibt, das Geschäft gerade wegen des Willensmangels nicht bestehenlassen zu wollen (BGH Urteile vom 28. September 1954 – I ZR 180/52 = LM BGB § 119 Nr. 5; vom 7. Oktober 1971 – VII ZR 177/69 = DB 1971, 2302; vom 26. Juni 1975 – II ZR 35/74 = DB 1975, 2075 jeweils mit Nachweisen).
Davon ausgehend hebt das Berufungsgericht zutreffend hervor, daß das Schreiben vom 24. September 1981 diesen Anforderungen nicht genügt, weil es keinerlei Hinweis auf einen Willensmangel enthalte. Unter Willensmangel versteht der Tatrichter zu Recht auch das Fehlen des Erklärungsbewußtseins. Die Revision meint dagegen, in dem Sonderfall, daß eine ohne Erklärungsbewußtsein vorgenommene Handlung angefochten werden solle, sei das Schreiben vom 24. September 1981 als Anfechtungserklärung ausreichend. Dem ist jedoch nicht so. Auch wenn der aus einer Äußerung in Anspruch Genommene ohne Erklärungsbewußtsein gehandelt hat, muß in der Anfechtung ein wie auch immer umschriebener Willensmangel wie in den anderen Fällen der Anfechtung wegen Irrtums erkennbar werden; denn der redliche Erklärungsempfänger hat ein schutzwürdiges Interesse daran, unverzüglich zu erfahren, ob der Gegner seine Erklärung wegen eines Willensmangels rückwirkend beseitigen will (vgl. dazu Bydlinski JZ 1975, 1, 5). Daß das Schreiben der Beklagten vom 24. September 1981 mehr als die bloße Verneinung der Übernahme der Bürgschaft zum Ausdruck gebracht habe, macht auch die Revision nicht geltend.

2. Das Berufungsgericht nimmt an, daß die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 6. Oktober 1981 verspätet, nämlich nicht ohne schuldhaftes Zögern angefochten habe (§ 121 Abs. 1 BGB). Dies sei erst 15 Tage nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes geschehen. Zwar sei in aller Regel dem Irrenden eine angemessene Überlegungsfrist zuzugestehen. Sie diene der vernünftigen Überlegung der Frage, ob der Irrende wirklich anfechten oder es bei der trotz Irrtums abgegebenen Erklärung bewenden lassen wolle. Da aber die Beklagte auf keinen Fall an der Bürgschaftsverpflichtung habe festhalten wollen, habe sie auch keine längere Frist zur Überlegung dafür gebraucht, ob sie anfechten wolle oder nicht. Mithin habe die Beklagte gezögert. Dieses Zögern sei zumindest fahrlässig gewesen. Die Beklagte habe ein Nichtverschulden nicht dargelegt und nicht bewiesen. Ihr Antwortschreiben vom 24. September 1981 zeige, daß ihre Überlegungen bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen gewesen seien.
Demgegenüber wendet die Revision ein, der Beklagten sei eine längere Überlegungsfrist als vom Berufungsgericht zugestanden einzuräumen, weil sie sich nicht bewußt gewesen sei, gegenüber der Klägerin eine Bürgschaftsverpflichtung abgegeben zu haben. Es sei deshalb für sie erforderlich gewesen, die tatsächliche und rechtliche Lage eingehend zu prüfen. Danach sei die Anfechtung im Schreiben vom 6. Oktober 1981 noch rechtzeitig.

Die Rüge ist unbegründet. Die Beklagte hat in der Berufungsbegründung selbst vorgetragen, den Anfechtungsgrund durch das am 21. September 1981 eingegangene Schreiben der Klägerin vom 17. September 1981 erkannt zu haben. Dementsprechend geht auch die Revision davon aus, daß die Beklagte durch dieses Schreiben Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt, nämlich erfahren hat, daß entgegen ihrer Vorstellung die Klägerin das Schreiben vom 8. September 1981 als Bürgschaftserklärung aufgefaßt hatte und so auch verstehen durfte. Dann ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte, die ihre Überlegungen spätestens bei der Abfassung der Antwort vom 24. September 1981 abgeschlossen hatte, mit der Absendung der Anfechtungserklärung bis 6. Oktober 1981 zugewartet hat. Unter diesen Umständen kann der Vorwurf des Tatrichters, die Beklagte habe fahrlässig gezögert, nicht beanstandet werden. Er hat die Anforderungen an eine unverzügliche Anfechtung nicht überspannt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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