Zivilprozessrecht: Rechtsanwalt darf auf Fristverlängerung bei erstem Antrag vertrauen

Im Kern ist es hergebrachte Rechtsprechung, aber dennoch hilfreich nochmals zu lesen: Der (IX ZB 34/16) hat klargestellt:

Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, sofern er erhebliche Gründe wie Arbeitsüberlastung oder Urlaubsabwesenheit dargelegt hat (…) Der Rechtsanwalt muss sich nicht darüber vergewissern, ob seinem erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wurde, wenn er nach dem Inhalt der mitgeteilten Gründe auf eine Verlängerung vertrauen durfte (…)

BGH, IX ZB 34/16

Dies konnte der Bundesgerichtshof (VI ZB 54/16) zwischenzeitlich auch nochmals bekräftigen, wobei aus dem grundsätzlichen Vertrauensschutz sogar ein „regelmäßiger“ Vertrauensschutz wurde:

Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (…)

BGH, VI ZB 54/16

Zwar muss der Rechtsmittelführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Der Rechtsanwalt kann jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Allgemeinen erwarten, dass einem ersten Verlängerungsantrag dann entsprochen wird, wenn ein erheblicher Grund (…) vorgetragen wird (…)
Eine Nachfragepflicht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn hierfür ein konkreter Anlass besteht. Ein solcher konkreter Anlass ist nicht schon dann gegeben, wenn der Rechtsanwalt in der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist noch keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhält. Der Rechtsanwalt muss sich nicht darüber vergewissern, ob seinem Antrag stattgegeben wurde. Für eine solche Rückfrage besteht kein erkennbarer Anlass, wenn der Rechtsanwalt (…) mit der Verlängerung der Frist rechnen konnte (…) Über einen rechtzeitig bei Gericht eingegangen Fristverlängerungsantrag kann (…) auch noch nach Ablauf der Frist entschieden werden, so dass nicht entscheidend ist, ob der Antrag am letzten Tag der Frist tatsächlich bearbeitet worden wäre (…)

Das ist sinnvoll und für Rechtsanwälte einerseits entlastend, andererseits heisst das auch: Wenn man auch nur merkt, dass die Frist „zu platzen“ droht, muss man rein vorsichtshalber umgehend einen Fristverlängerungsantrag stellen, auch wenn dies quasi „kurz vor der Frist“ geschieht. Dies wird nicht zuletzt dadurch ermöglicht, dass selbst kurz vor Schluss keine Nachfragepflicht besteht. Da Arbeitsüberlastung, plötzliche Erkrankung und Urlaub als wesentliche Gründe vom BGH anerkannt sind, sollten sich hier auch keine Probleme in der Praxis ergeben. Zumal auch eine weitere Abstimmung mit dem Mandanten ausdrücklich ausreicht:

An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung sind bei einem ersten Antrag keine hohen Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich reicht der Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Grundes – etwa Urlaubsabwesenheit, Arbeitsüberlastung oder das Er- fordernis weiterer Abstimmung zwischen Prozessbevollmächtigtem und Partei – aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (BGH NJW 2017, 2041 Rn. 12 f.; BGH NJW-RR 2018, 569 Rn. 8 mwN)

BGH, X ZB 13/18

Der Preis ist im Umkehrschluss aber eben, dass es beim BGH kein Pardon gibt, wenn man nicht vorsichtshalber wenigstens kurzfristig ein Fax mit einem Fristverlängerungsantrag versendet. Abgesehen davon, dass der Rechtsanwalt Vorkerhungen für den Fall plötzlicher Erkrankung im Allgemeinen treffen muss (BGH, IX ZB 74/04), so ist gerade im Hinblick auf oben zitierte Rechtsprechung nur schwer zu erkennen, warum nicht wenigstens kurzfristig ein Antrag auf Fristverlängerung gestellt werden kann, so der BGH (XII ZB 257/14):

Auch bei einer unvorhergesehenen Erkrankung muss ein Rechtsanwalt alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen. An einer schuldhaften Fristversäumung fehlt es nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Frist- verlängerungsantrag gestellt werden konnte (…)

Dabei konnte der BGH in der zweiten benannten Entscheidung nochmals klar stellen, dass auch durch die Hintertüre keine Nachfragepflicht konstruiert werden darf:

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der anwaltlichen Verpflichtung, sich im Falle einer lediglich beantragten, aber noch nicht beschiedenen Fristverlängerung rechtzeitig vor Ablauf des – lediglich beantragten und damit vorerst nurmehr hypothetischen – Fristendes über das wirkliche Ende der Frist durch Rückfrage bei Gericht zu vergewissern (…). Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit dieser Rückfrage ist nämlich nicht der Ablauf der ursprünglichen, sondern der Ablauf der beantragten verlängerten Frist (…). Andernfalls würde dem Bevollmächtigten gleichsam durch die Hintertür des § 234 Abs. 2 ZPO doch zum Vorwurf gemacht, dass er sich nicht innerhalb des regulären Laufs der Berufungsbegründungsfrist erkundigt hat, ob seinem Verlängerungsantrag stattgegeben wurde (…). Im – hier freilich nicht gegebenen – Fall der Antragstellung am letzten Tag der regulären Frist wäre eine Erkundigungspflicht vor Ablauf dieser Frist ohnehin von vornherein nicht praktikabel.

Vorsicht bei vorsorglichem Antrag

Allerdings darf der Beantragende die Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nur dann erwarten, wenn es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt und er in dem Antrag erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlegt. Der Wendung, der Antrag werde „vorsorglich“ gestellt, ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wird:

Der Wendung, der Antrag werde „vorsorglich“ gestellt, ist, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wurde. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht etwa ohne weite- res als Grund des Antrags zu vermuten (…)

BGH, X ZB 13/18
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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