Wie sicher ist ein Einschreiben – Zugangsfiktion und Zugangsvereitelung

Leider immer wieder der Fall: Es wird über eine verweigerte Annahme gestritten. Dabei gibt es eine Menge Mythen und gefährliches Halbwissen zur so genannten „Zugangsvereitelung“. Grundsätzlich kann es durchaus sein, dass ein nicht angenommenes bzw. trotz Benachrichtigung nicht abgeholtes Einschreiben so behandelt wird, als wäre es dem Empfänger zugegangen („Zugangsfiktion“).

Insbesondere im Fall der Zugangsvereiteilung, also wenn jemand das durch den Postboten „offerierte“ Schreiben nicht annimmt oder sogar durch Vorkehrungen (Zukleben des Briefkastens) die Zustellung verhindert, bietet sich eine solche Fiktion an und wird auch durchaus gehandhabt.

Aber: Es gibt hier eine Fülle von Urteilen, wobei letztlich der Einzelfall samt Gesamtumständen zu würdigen ist. Sofern jedenfalls im konkreten Fall ein Einschreiben nicht angenommen wird, bietet es sich mit dem BGH (VIII ZR 22/97) an, darauf abzustellen, ob mit einem Einschreiben mit dem konkreten Inhalt zu rechnen war:

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung muß derjenige, der aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen hat, geeignete Vorkehrungen treffen, daß ihn derartige Erklärungen auch erreichen (RZ 110, 34, 36; BGH VersR 1971, 262, 263; BGH NJW 1983, 929, 930; BAG DB 1986, 2336 f.). Tut er dies nicht, so wird darin vielfach ein Verstoß gegen die durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder den Abschluß eines Vertrages begründeten Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Partner liegen (vgl. RGZ 110, 34, 36; BGH VersR 1971, 262).

Typisches Beispiel: Die erwartete Kündigung des Arbeitgebers wird nicht angenommen. Allerdings muss es konkrete Umstände geben, wegen derer der mit einer Kündigung auch wirklich rechnen musste – wenn das nicht gegeben ist, kann eine Zugangsvereitelung nicht anzunehmen sein (LAG Rheinland-Pfalz, 10 Sa 156/11). In diesem Fall ist das Schreiben also nicht automatisch als zugegangen anzusehen. Auch bei einem verspäteten Abholen des Schreibens ist nicht zwingend ein früherer Zugang fingiert, dazu das Bundesarbeitsgericht (2 AZR 13/95):

Zugegangen ist das Einschreiben erst mit der Aushändigung des Originalschreibens durch die Post (RAG JW 1932, 25, 65; BAG Urteil vom 15. November 1962 – 2 AZR 301/62 – BAGE 13, 362 = AP Nr. 4 zu § 130 BGB; BGHZ 67, 271, 275 ). […]

Auch wenn der Empfänger den Zugang des Einschreibens dadurch verzögert, daß er den Einschreibebrief nicht unverzüglich beim Postamt abholt, rechtfertigt dies noch nicht, einen anderen Zugangszeitpunkt, etwa den der frühest möglichen Abholung des Einschreibebriefs, zu fingieren ( BGHZ 67, 271, 277; Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 14 3e, S. 238; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 6. Aufl., Rz 278, 279; MünchKomm-Förschler, BGB, 3. Aufl., § 130 Rz 27; a.A. Behn, AcP Bd. 178, S. 505).

Neben diesem Normalfall aber gibt es viele Variationen. Wenn etwa der Empfänger falsch geschrieben ist, und sei auch nur der Vorname falsch geschrieben, sehe ich bei verweigerter Annahme keine Zugangsvereitelung (so auch OLG Köln, 6 W 182/07).

Gleichsam möchte ich keine grundsätzliche Zugangsvereitelung erkennen, sofern ein Einschreiben ohne jeglichen Rückschluss auf den Absender vorliegt. So sieht es nun wohl auch das OLG Stuttgart (5 W 62/09), das sogar noch einen Schritt weiter geht: Dem Empfänger muss eine Benachrichtigung über das abzuholende (noch nicht zugestellte) Schreiben zugehen und es muss sich aus dieser Benachrichtigung ergeben, welchen Inhalt die Sendung hat. Damit werden, zumindest bei ausländischen Mitteilungen, sehr hohe Anforderungen gestellt. Das Thema bleibt also spannend – und unsicher.


Über den Zugang von Einschreiben in den verschiedensten Formen wird immer wieder gestritten. Beispielhaft ist hier ein Urteil des AG Kempen (AZ 11 C 432/05 – ebenso OLG Koblenz, 11 WF 1013/04), das festgestellt hat, dass ein Post-Einwurfeinschreiben trotz Einlieferungs- und Auslieferungsbeleg keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger darstellt.

Das Gericht stellt dies fest,

Denn ein Verlust von Postsendungen während des Zustellvorgangs ist nach der Lebenserfahrung ebenso wenig auszuschließen, wie das Einstecken von Postsendungen in den falschen Briefkasten durch den Zusteller (LG Potsdam in NJW 2000, Seite 3722).

Dass dadurch in letzter Konsequenz dem Einwurfeinschreiben die Möglichkeit als Zugangsbeweis ganz genommen wird, stört das AG nicht. In Übereinstimmung mit dem Urteil des LG Potsdam stellt es fest, dass dies deswegen nicht so schlimm ist, da dem Absender ja die Möglichkeit des sicheren Weges eines Einschreibens per Rückschein offen steht.

Übrigens: Auch den Zusteller in die Irre zu führen kann eine Zugangsvereitelung darstellen. So etwa, wenn man eine andere Wohnanschrift vorspiegelt (VGH München, 22 ZB 11.2637).

Persönliche Anmerkung: Dieses Urteil ist eines von mehreren (so auch LAG Köln, 10 Sa 84/09; AG Köln, 220 C 435/07) die diese Ansicht vertreten. Die Gegenauffassung (u.a. zu finden bei AG Erfurt, 5 C 1734/06 und AG Paderborn, 51 C 76/00) ist noch stark, auch in der Literatur. Dennoch ist festzustellen, dass die Ablehnung des (Anscheins-)Beweises zunimmt, so dass man bei wirklich wichtigen Dingen den Weg via Rückschein nutzen sollte – mit der Gefahr, dass der Empfänger die Annahme verweigert und man sich über die Zugangsvereitelung streiten muss.
Dies ist m.E. auch die größte Crux bei dieser Entscheidung: So sicher ist der Weg dann doch nicht. Es ist weniger der 1 Euro Preisunterschied um den es geht, als vielmehr die Unmöglichkeit des Empfängers das Schreiben abzulehnen, die das Einwurfeinschreiben so beliebt gemacht hat.

Übrigens: Der (II ZR 132/56) hat ausdrücklich festgehalten, dass es zwar sehr selten, aber durchaus nicht von der Hand zu weisen ist, dass Postwurfsendungen „verloren“ gehen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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