Pakete beim Nachbarn abgegeben: Paket verschwunden, beschädigt und Widerrufsrecht abgelaufen?

Es ist gängige Praxis des Alltags, dass der Paketbote, der den Empfänger einer Sendung nicht antrifft, diese häufig bei einem „Nachbarn“ abgibt ohne dass mit dem Empfänger etwas entsprechendes abgesprochen wurde. Im Regelfall kommt das beim Empfänger auch gut an, hat er doch deswegen schneller sein Paket – wenn alles gut geht. Hin und wieder gibt es aber Ärger mit dem Paket und die Frage ist dann u.a., ob das Paket überhaupt an einen Dritten übergeben werden durfte.

Ein kurzer Überblick über häufige Fragen in diesem Zusammenhang.

Wird die Widerrufsfrist berührt?
Die Widerrufsfrist beginnt wohl nicht zu laufen, wenn der Nachbar das Paket annimmt, sondern erst wenn es der Besteller selber erhalten hat (dazu hier bei uns).

Wie ist es mit einem beschädigten Paket – gibt es eine Frist um sich beim Transporteur zu melden?
Ja! Wenn das Paket bereits äußerlich erkennbar beschädigt ist, muss der Empfänger bereits bei Ablieferung die Beschädigung bemängeln (§438 I BGB). Sollte äußerlich zwar nichts zu sehen sein, die Ware aber dennoch beschädigt sein, beträgt die Frist 1 Woche (§438 II BGB). Bei Ablauf der Fristen spricht eine Vermutung dafür, dass das Paket vollständig und unbeschädigt abgeliefert worden ist. Aber Achtung, die Vermutung gilt nur im Verhältnis zum Spediteur und entlastet z.B. nicht den Versender. Auch bleiben Gewährleistungsansprüche und das Widerrufsrecht unberührt, so dass etwa entsprechend §476 BGB bei einem Mangel vermutet wird, dass er von Anfang an vorhanden war. Für den freundlichen Nachbarn gilt einfach der Grundsatz: Wenn das Paket bereits aussen beschädigt ist, in eigenem Interesse die Annahme verweigern (oder genauer: Es einfach nicht annehmen für den Nachbarn).

Haftet der „freundliche Nachbar“?
Zu den rechtlichen Verhältnissen zwischen dem Nachbarn der das Paket freundlicherweise annimmt und demjenigen, für den es bestimmt war, findet man – angesichts der hohen Praxisrelevanz – erstaunlich wenig Literatur und Urteile. Man mag dies vielleicht auch als Zeichen dafür nehmen, dass das zwischenmenschliche dann doch funktioniert und der Streit eher mit dem Versender als dem freundlichen Nachbarn gesucht wird.

Rechtlich würde ich grundsätzlich erst einmal eine so genannte „Geschäftsführung ohne Auftrag“ (§677ff. BGB) annehmen. Der annehmende Nachbar ist dadurch tatsächlich gegenüber dem Empfänger berechtigt und verpflichtet. So muss er dem Nachbarn von sich aus schnellstmöglich mitteilen, dass das Paket bei ihm ist (§681 BGB) und muss ihm umgehend das Paket übergeben (§§681, 667 BGB). Allerdings kann der freundliche Nachbar im Gegenzug eventuelle Aufwendungen ersetzt verlangen (§683 BGB), was in der Praxis aber wohl nicht vorkommen wird.

Die spannende Frage ist natürlich, ob der Nachbar haftet. Hier scheint es zunächst gemein zu sein: Bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag wird für jede Fahrlässigkeit gehaftet, es sei denn es wurde zur Gefahrenabwehr gehandelt (§680 BGB). Das wäre hier meines Erachtens aber nicht billig und vielmehr ist an dieser Stelle die Haftung der unentgeltlichen Verwahrung (§690 BGB) heran zu ziehen. Das bedeutet: Man haftet nur dann für Beschädigung oder Verlust, wenn man weniger Sorgfalt angewendet hat, als man in eigenen Angelegenheiten sonst an den Tag legt. Das ist eine erhebliche Entlastung und beschränkt die Haftung auf das notwendige Maß. Man haftet damit nicht mehr für einfache Fahrlässigkeit. Wohl aber, wenn man etwa treuwidrig das Paket entsorgt.

Übrigens: Wenn die Angestellte eines Unternehmens das Paket für den Nachbarn annimmt, haftet nicht das Unternehmen sondern wenn, dann ist nur die Angestellte direkt in Anspruch zu nehmen (LG Hamburg, 317 S 70/05).

Beachten Sie: Wenn Sie etwas als Verbraucher in einem Internet-Shop bestellen und Ihnen die Ware zugeschickt wird, geht die Gefahr des Untergangs erst mit Übergabe an Sie selber über (Lesen Sie dazu die §§447 I, 474 II BGB). Wenn also ein Paketzusteller an (irgend)einen Dritten ohne Empfangsvollmacht ihre Sendung übergibt und dieser Dritte die Sendung zerstört oder nicht weitergibt, besteht der Anspruch gegenüber dem Shop weiterhin! Der Händler dagegen wird gegen den Spediteur vorgehen können, da dieser nicht ohne weiteres beim Nachbarn abgeben darf (dazu unten).

Darf der Nachbar das Paket einfach vor die Türe legen, wenn zu lange niemand da ist?
Typische Frage: Der Empfänger ist einfach nicht zu erreichen – also legt man das Paket einfach bei ihm vor die Türe? Nein. Dies ist keine eigenübliche Sorgfalt mehr und einem auch selbst klar – sonst hätte es bereits der Postbote vor die Türe legen können. Das Risiko eines Diebstahls steigt exorbitant und offenkundig wird nicht im Interesse des Empfängers gehandelt. Daher: Nicht einfach vor die Türe legen.

Wie geht man in der Praxis am besten vor?
Einfach nicht zu kompliziert denken: Wenn man weiss, dass der Nachbar im Urlaub ist und nimmt das Paket trotzdem an, muss man auch warten, bis er wieder da ist. Wenn man das Paket angenommen hat, Abends zum Nachbarn gehen und das Paket überreichen. Wer übervorsichtig ist, lässt sich den Empfang des Pakets durch den Nachbarn quittieren, aber ehrlich: Das tue nicht einmal ich. Wenn der Nachbar nicht da ist, einfach sporadisch über 1-2 Tage klingeln. Wenn es partout nicht klappen möchte: Einen Zettel einwerfen, auf dem man vermerkt, dass man ein Paket angenommen hat und es bitte innerhalb von 3 Werktagen abzuholen ist. Wenn der Nachbar nicht kommt, befindet er sich danach in Verzug (§293 BGB). Natürlich wirft man das Paket auch dann nicht weg oder legt es vor die Türe – aber die Haftung ist in diesem Fall nochmals eingeschränkt (auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, §300 BGB).

Ist die Abgabe des Paketes beim Nachbarn überhaupt erlaubt?
Wenn man dann mit der nötigen Akribie die Angelegenheit betrachtet, muss man feststellen, dass das keinesfalls so ohne weiteres möglich sein kann: Immerhin wird an einen Dritten, der mit der Sache nichts zu tun hat, einfach eine Sache ausgehändigt, die für einen selbst bestimmt ist. Wo ist die Rechtsgrundlage dafür?

Wenn, dann kann sich die Rechtsgrundlage nur aus den AGB des Versenders ergeben. Und in der Tat haben viele Versender in ihren AGB eine Klausel stehen, derzufolge auch eine „Ersatzzustellung“ an einen „Nachbarn“ erlaubt sein soll. Bereits 2007 hat das OLG Düsseldorf (I-18 U 163/06) diesbezüglich aber schon festgestellt, dass das so einfach nicht sein kann. Wenn, dann muss nachvollziehbar und bestimmt definiert werden, wie genau sich so ein „Nachbar“-Status definieren soll.

So ähnlich sieht es auch das OLG Köln (6 U 165/10 – im Widerspruch zum LG Köln, 26 O 260/08), das letzten Endes eine derartige Regelung der Ersatzzustellung aber vor allem ablehnt, weil die Interessen von Empfänger und Zusteller unangemessen zu Gunsten des Zustellers verschoben werden. So nimmt das OLG Köln gebührend zur Kenntnis, dass eine solche „Ersatzzustellung“ auch den Interessen des Empfängers dient, der ja auf seine Sendung wartet. Auch lobt das OLG Köln, dass der Empfänger mittels Postkarte informiert wird, wann das Paket bei wem genau abgegeben wurde – aber eben da ist auch der Knackpunkt: Die Mitteilung per Postkarte ist in den AGB nicht verbindlich zugesichert. Das aber wäre das Minimum, meint das OLG. Und lehnt damit die AGB ab.

An dieser Stelle haben manche Zusteller reagiert und geben entweder gar nicht beim Nachbarn ab oder lassen sich vorher vom Empfänger schriftlich eine alternative Zustelladresse nennen. Sollte man einen Nachbarn selber benannt haben als Empfänger, wäre alles komplizierter: Der Händler hätte dann in jedem Fall ordentlich abgeliefert. Wenn der Nachbar aber nicht zugestimmt hat, ist mit diesem kein Schuldverhältnis entstanden – gleichwohl verbleibt es bzgl. der Haftung des Nachbarn dann bei obigen Ausführungen. Sollte der Nachbar zugestimmt haben, läge problemlos ein unentgeltlicher Verwahrungsvertrag vor, so dass die Haftungsprivilegierung des §690 BGB zur Anwendung kommt. Am Ende ist der Nachbar immer zumindest etwas abgesichert.

FazitEs bleibt die Frage, ob man selber als Dritter solche Pakete annimmt! Natürlich ist es naheliegend, als „guter Nachbar“ den kleinen Gefallen zu tun und das Paket anzunehmen. Was aber, wenn Ihnen das Paket hinfällt, bevor sie es übergeben haben? Auch wenn es ein Gefallen ist: Sie haben dennoch Pflichten, auch und gerade als „guter Nachbar“. In solchen Fällen dürften Sie sich im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag bewegen (siehe oben), müssen also im Grundsatz mindestens dem eigenen Sorgfältigkeitsmaßstab genügen wenn zudem ein unentgeltlicher Verwahrungsvertrag angenommen wird. Das bedeutet, Sie müssen ordentlich mit der Sache umgehen.

Bedenken Sie das immer, wenn Sie ein Paket für einen Dritten annehmen. Insbesondere sollten Sie kontrollieren, ob das Paket zumindest äußerlich vernünftig aussieht – ein beschädigtes Paket sollten Sie in eigenem Interesse niemals annehmen. Andernfalls haben Sie viel Spaß, hinterher zu beweisen, dass die beschädigten Gläser bereits beschädigt bei Ihnen angekommen sind.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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