EUGH und ein Recht auf Vergessen: Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten bei Suchmaschinen und Informationsmittlern

Der EUGH (C-131/12) hat sich mit der Frage des Schutzes personenbezogener Daten beschäftigt und eine viel beachtete und viel diskutierte Entscheidung gefällt. Es kann dabei dahin stehen, ob der EUGH entschieden hat, dass man ein „Recht auf Vergessen“ (durch andere) hat oder ob es um ein „Recht auf Vergessenwerden“ (der eigenen Person) geht – letztlich ist der Tenor scheinbar klar: Es gibt, zumindest unter Umständen, einen Anspruch dahin gehend, dass bei einer ein Link zu Informationen über die eigene Person gelöscht wird. Selbst dann, wenn die Informationen als solche rechtmäßig veröffentlich sind und nicht gelöscht werden müssen. Ein Blick auf die Entscheidung und darauf, was sie (vielleicht) bedeutet.

Die Ausgangssituation

Es geht um eine recht einfache Ausgangssituation: Auf einer Webseite befinden sich Informationen über eine Person, die nicht unbedingt positiv sind. Zum Beispiel ein Pressebericht über ein Gerichtsverfahren oder auch Informationen zu einer . Auf dieser Seite sind die Informationen rechtmässig veröffentlich, es besteht kein Anspruch sie entfernen zu lassen. Aber die Webseite als solche ist nun nicht Stein des Anstosses, sondern vielmehr eine Suchmaschine (Google). Denn dadurch, dass diese Information mit einer Suchmaschine aufzufinden ist, erfährt sie eine höhere Verbreitung bzw. ist überhaupt auffindbar. Daher ist die Verlinkung zu entfernen.

Der Suchmaschinenbetreiber sieht das in dieser Situation anders – mit nachvollziehbarer Begründung: Er gibt schliesslich nur die Informationen weiter, die bereits rechtmäßig vorhanden sind. Dies kann schon begrifflich keine datenschutzrechtliche Verarbeitung sein. Dabei hat die Rechtsprechung weiterhin, inklusive dem BGH, längst anerkannt, dass Suchmaschinen eine besondere Rolle spielen, da sie das Internet erst nutzbar machen. Wenn man hier Löschansprüche zugesteht, werden Ergebnisse verfälscht, es kommt erheblich (Prüf-)Aufwand auf Suchmaschinenbetreiber zu und es droht die Gefahr, dass der Einfachheit halber der Zugang zu Informationen nur auf Grund von Anträgen erschwert wird.

Blick auf die Interessen

Viel zu einfach macht es sich derjenige, der nun schwarz/weiss verteufelt: Weder geht es hier um Zensur noch sind die Interessen der Beteiligten aus der Luft gegriffen. Wir leben in einer Zeit, in der jeder damit rechnen muss, gegen oder ohne seinen Willen in eine weltweite Öffentlichkeit gezogen zu werden, ohne dass dabei diskutiert wird, ob es Maßstäbe gibt, wann dies überhaupt angebracht ist: Schuldnerverzeichnisse, Lokalredaktionen, Anzeigenblättchen, Pressemitteilungen der Polizei – alles findet sich im Internet wieder. Und Suchmaschinen helfen dabei, alleine durch die Verwendung eines Namens möglichst viel auf einmal zusammen zu tragen, gleich ob der Betroffene es bewusst eingestellt hat oder es gegen seinen Willen geschah, losgelöst von der Frage, ob es hieran überhaupt ein objektives Interesse gibt.

Gleichwohl erfüllen Suchmaschinen eine besonders wertvolle Aufgabe, denn tatsächlich machen sie das Internet in der Form, wie sie nun einmal existiert, erst realistisch nutzbar. Das Suchmaschinenbetreiber nicht altruistisch handeln sondern Wirtschaftsunternehmen sind, die Geld umsetzen müssen um Ihre Dienste aufrecht zu erhalten, ändert daran nichts.

Beide Interessen existieren und sind nicht weg zu reden. Beide Interessen sind schützenswert und es gibt im Widerstreit dieser Interessen nur ein Ergebnis: Es muss eine Abwägung stattfinden. Doch damit steht auch schon ein weiter unausweichliches Ergebnis fest – gleich wie die Abwägung ausfällt, am Ende wird es immer Anteile Unzufriedener geben.

Die Entscheidung des EUGH

Mit dieser Situation hat sich nun der EUGH beschäftigt. Die Gründe der Entscheidung sind dabei gewohnt ausführlich geworden, sicherlich auch ein Grund, warum man häufig auf die verkürzten Antworten des EUGH zu den Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts zurückgreift. Es lohnt sich aber, die Begründungen insgesamt zu lesen. Automatisch führt dies dazu, dass die hier dargestellte Analyse an Länge gewinnt.

1. Datenschutzrechtliche Relevanz der Tätigkeit von Suchmaschinen

Die erste – grundlegende – Frage ist, ob Informationsmittler wie Suchmaschinenbetreiber überhaupt einen datenschutzrechtlich relevanten Vorgang betreiben. Sollte dies zu verneinen sein, würden sich schon keine datenschutzrechtlichen Ansprüche ergeben. Der EUGH hat aber letztlich eine datenschutzrechtlich relevante Verarbeitung angenommen. Dabei war unstreitig, dass es sich im Ausgangsfall um gehandelt hat. Sofern personenbezogene Daten durch den Suchmaschinenbetreiber angezeigt werden, handelt es sich mit dem EUGH um eine datenschutzrechtlich relevante Verarbeitung durch diesen:

Indem er das Internet automatisch, kontinuierlich und systematisch auf die dort veröffentlichten Informationen durchforstet, „erhebt“ der Suchmaschinenbetreiber mithin personenbezogene Daten, die er dann mit seinen Indexierprogrammen „ausliest“, „speichert“ und „organisiert“, auf seinen Servern „aufbewahrt“ und gegebenenfalls in Form von Ergebnislisten an seine Nutzer „weitergibt“ und diesen „bereitstellt“. Diese Vorgänge sind in (…) der (…) ausdrücklich und ohne Einschränkung genannt, so dass sie als „Verarbeitung“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen sind (…)

Keine Rolle spielt es dabei, ob genau so mit allen Informationen verfahren wird und ob der Suchmaschinenbetreiber alle Informationen gleich behandelt oder unterschiedliche Verarbeitungsprozeduren bereit hält. Fraglich wäre es aber durchaus, ob man eine Verarbeitung nicht annehmen möchte, weil fremde Informationen unverändert schlicht weitergegeben, quasi „durchgeleitet“ werden. Hierzu hat der EUGH klar gestellt, dass es keine Bedeutung hat, ob die Daten verändert werden – denn die Veränderung ist zwar ein datenschutzrechtlich relevanter Vorgang, aber eben nicht einzige Voraussetzung für eine datenschutzrechtliche Relevanz. Letztlich verhält sich der EUGH dann zu der Frage aber kurz und selbstreferentiell, wenn er feststellt:

Der Gerichtshof hat (…) bereits entschieden, dass die (…) genannten Vorgänge auch dann als Verarbeitung personenbezogener Daten einzustufen sind, wenn sie ausschließlich Informationen enthalten, die genau so bereits in den Medien veröffentlicht worden sind. Eine allgemeine Ausnahme (…) in solchen Fällen würde die Richtlinie nämlich weitgehend leerlaufen lassen (…)

Das Ergebnis somit: Wenn ein Informationsmittler personenbezogene Daten aus fremden Quellen erhebt und unverändert weiterreicht, handelt es sich hierbei um einen datenschutzrechtlich relevanten Vorgang, denn es liegt die Verarbeitung solcher Daten vor. Rechtlich ist dies vertretbar und im Hinblick auf das Datenschutzrecht meines Erachtens sogar ein zwingendes Ergebnis. Jegliche Argumentation einer Privilegierung hat an dieser Stelle nichts verloren, sondern gehört in die Interessenabwägung – hier wird am Ende durch einen Dienstleister ein personenbezogenes Datum vorgehalten und verbreitet, eben dies ist der Bereich in dem die Datenschutzrichtlinie Anwendung finden soll und was gerade Gegenstand des Datenschutzrechts darstellt.

2. Datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit von Google

Dass der gesamte Vorgang datenschutzrechtlich relevant ist, ist das eine – die Verantwortlichkeit von Google ist dann aber wieder etwas anderes. So kann man etwa die Frage stellen, ob überhaupt eine Verantwortlichkeit anzunehmen ist, wenn Daten nur „durchgeleitet“ werden. Auch ist die Frage, wer hier letztlich die Daten verarbeitet: Wenn das nämlich Google in den USA ist, wie kommt dann die europäische Rechtslage zur Anwendung? Der EUGH erledigt beides, ausgehend von einem einfachen Credo:

Über die Zwecke und Mittel der genannten Tätigkeit und somit der in deren Rahmen vom
Suchmaschinenbetreiber selbst ausgeführten Verarbeitung personenbezogener Daten entscheidet (…) der Suchmaschinenbetreiber, so dass er als für diese Verarbeitung „Verantwortlicher“ (…) anzusehen ist.

Sprich: Wenn der Suchmaschinenbetreiber diese Daten zielgerichtet verarbeitet und dabei selber auswählt bzw. auswählen kann welche Daten er verarbeitet, dann ist er dafür eben auch verantwortlich. Dann kommt ein unauffälliger Absatz in der Entscheidung, der für mich ausschlaggebend ist:

Im Übrigen ließe es sich nicht nur nicht mit dem klaren Wortlaut, sondern auch nicht mit dem Ziel der genannten Bestimmung, durch eine weite Bestimmung des Begriffs des „Verantwortlichen“ einen wirksamen und umfassenden Schutz der betroffenen Personen zu gewährleisten, vereinbaren, den Suchmaschinenbetreiber deshalb von diesem Begriff auszunehmen, weil die auf den Internetseiten Dritter veröffentlichten personenbezogenen Daten nicht seiner Kontrolle unterliegen (…)

Hiernach gilt es den Blick nach oben zu richten; zur Erinnerung: Die datenschutzrechtliche Relevanz wurde bereits damit begründet, dass ansonsten ein leerlaufen der Richtlinie zu befürchten ist. Und nun, bei der Verantwortlichkeit, liest sich im Kern das gleiche, eine teleologische Analyse dahingehend, dass man den „Verantwortlichen“ weit fassen muss, weil ansonsten niemand Verantwortlich wäre und eben dieser Zustand zu verhindern ist. Diese Argumentation ist rein ergebnisorientiert, streitbar – aber vertretbar und dabei keineswegs aus der Luft gegriffen. Wohl deswegen findet man in diesem Kontext dann Ausführungen zur Schwere des Eingriffs in das Datenschutzrecht, die doch gar nichts bei der Frage der Verantwortlichkeit verloren haben, so etwa:

Außerdem ist unstreitig, dass diese Tätigkeit der Suchmaschinen maßgeblichen Anteil an der weltweiten Verbreitung personenbezogener Daten hat, da sie diese jedem Internetnutzer zugänglich macht, der eine Suche anhand des Namens der betreffenden Person durchführt, und zwar auch denjenigen, die die Internetseite, auf der diese Daten veröffentlicht sind, sonst nicht gefunden hätten.

Nach diesem Ausgangspunkt dürfte es nicht überraschen, dass sonstige rechtliche Erwägungen dann keine Rolle mehr spielen, schliesslich ist das Ergebnis ja bereits vorgezeichnet. Wenig überzeugend ist es ohnehin, wenn ein Suchmaschinenvermittler darauf vreweist, dass die jeweiligen Seitenbetreiber die Erfassung durch Hinweise, etwa in der robots.txt, verhindern könnten. Hierzu sagt der EUGH zu Recht

dass das Fehlen eines solchen Hinweises seitens der Herausgeber von Websites den Suchmaschinenbetreiber von seiner Verantwortung für die von ihm im Rahmen der Tätigkeit der Suchmaschinen vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten befreite (…) Dies ändert nämlich nichts daran, dass der Suchmaschinenbetreiber über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten entscheidet.

Wie löst man aber nun das „Problem“ mit dem Sitz in den USA? Hier verdeutlicht der EUGH, was man unter weiter Auslegung der Verantwortlichkeit zu verstehen hat:

Da aber zusammen mit den Ergebnissen auf derselben Seite die mit den Suchbegriffen verknüpften Werbeanzeigen angezeigt werden, ist festzustellen, dass die in Rede stehende Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Werbetätigkeit erfolgt, die von der Niederlassung, die der für die Verarbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats – im vorliegenden Fall in Spanien – besitzt, ausgeübt wird.

Der vorangehende Absatz bedeutet, dass bei Schaltung von Werbeanzeigen die Anzeige der Suchergebnisse „im Rahmen“ der werbenden Tätigkeit erfolgt. Dies ist dann der Weg, über den eine Zurechnung vorgenommen wird, da hier Anknüpfungspunkt dann die Tätigkeit der Niederlassung in Spanien ist. Übersetzt heisst das vor allem eines – es ist mit dem EUGH immer genau danach zu suchen, ob man im Zweifel nicht doch irgendeine Verantwortlichkeit begründen kann. Das angestrebte Ergebnis eines effektiven Datenschutzes steht für den EUGH hier schlicht an erster Stelle, wie er – geradezu entlarvend – zum Abschluss dieser Thematik noch einmal feststellt. Denn für den EUGH

kann es nicht angehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, die zum Betrieb der Suchmaschine ausgeführt wird, den (…) vorgesehenen Verpflichtungen und Garantien entzogen wird, was die praktische Wirksamkeit der Richtlinie und den wirksamen und umfassenden Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen, die mit ihr gewährleistet werden sollen, einschränken würde

Das Ergebnis an dieser Stelle: Der EUGH hat ein Ziel. Wenn eine Entscheidung oder Argumentation als „Ergebnisorientiert“ bezeichnet wird, ist dies heutzutage schon fast eine Beschimpfung, sie muss es aber nicht sein. Der EUGH möchte darauf achten, dass die Gedanken der -Richtlinie nicht einfach durch organisatorische Vorkehrungen unterlaufen werden können, dass die Richtlinie zur Makulatur verkommt. Die vorliegende Argumentation geht meines Erachtens mitunter etwas zu weit, wenn nämlich Offenkundig wird, dass auf Grund der Schwere des (möglichen) Eingriffs die Notwendigkeit einer Verantwortung konstatiert wird. Gleichwohl ist die Argumentation des EUGH nicht zu verteufeln. Es verbleibt dennoch Überraschung, nicht nur im Ergebnis, sondern teilweise auch in der Kürze, auf die sich die sachlich-juristischen Argumente reduzieren lassen.

Zwischenergebnis

Die Feststellungen bis hier hin haben ganz erhebliche Auswirkungen, wobei es ein herausragender Fehler ist, dies nur auf Google oder Suchmaschinen zu beschränken. Sowohl in unmittelbarer Anwendung, als auch mit Umkehrschlüssen an den richtigen Stellen, lässt sich aus dieser Entscheidung des EUGH sehr viel „gewinnen“. Wenn nämlich bereits die Aufbereitung in Form von Suchmaschinen eine datenschutzrechtlich relevante Verarbeitung ist, dann ist jeglicher Vorhalt personenbezogener Daten von datenschutzrechtlicher Relevanz. Das betrifft im Ergebnis jeden Informationsmittler, neben Suchmaschinen zum Beispiel dann auch Registrierungen von Domains, bei denen ja auch Inhaberdaten durch Dritte hinterlegt sind. Bei der Verantwortlichkeit erleben wir nun mit dem EUGH etwas, dass den Auswirkungen einer enorm nahe kommt; denn das was der EUGH letztlich erklärt ist, dass es „nicht angehen kann“, dass die Datenschutz-Richtlinie leerläuft. Mit dieser klaren Ansage ist dann aber auch das Ergebnis jeder Argumentation vorweggenommen – die Tatsache, dass jemand solche Daten verarbeitet aber nicht verantwortlich ist, ist so gut es eben geht zu verhindern. Und verantwortlich sein soll am Ende der, der die Verarbeitung steuert.

3. Recht der Betroffenen: Löschung nach Prüfung

Sehr ausführlich erklärt der EUGH im Folgenden, welche Rechte von den Suchmaschinenbetreibern einzuhalten sind. Dass die Betreiber insoweit die nationalstaatlich umgesetzten Vorgaben der Richtlinien einzuhalten haben, wird nicht überraschen. Das Ergebnis ist in einer Zusammenschau dann folgendes:

Nach (…) der Richtlinie (…) erkennen die Mitgliedstaaten das Recht der betroffenen Person an, (…) jederzeit aus überwiegenden, schutzwürdigen, sich aus ihrer besonderen Situation ergebenden Gründen dagegen Widerspruch einlegen zu können, dass sie betreffende Daten verarbeitet werden, wobei dies nicht bei einer im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen
entgegenstehenden Bestimmung gilt. (…) Im Fall eines berechtigten Widerspruchs kann sich die vom für die Verarbeitung Verantwortlichen vorgenommene Verarbeitung nicht mehr auf diese Daten beziehen.

Zum einzuhaltenden Prozedere wird sodann erläutert:

Anträge (…) können von der betroffenen Person unmittelbar an den für die Verarbeitung Verantwortlichen gerichtet werden, der dann sorgfältig ihre Begründetheit zu prüfen und die Verarbeitung der betreffenden Daten gegebenenfalls zu beenden hat. Gibt der (…) Verantwortliche den Anträgen nicht statt, kann sich die betroffene Person an die Kontrollstelle oder das zuständige Gericht wenden, damit diese die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den (…) Verantwortlichen entsprechend anweisen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen.

Sprich, man muss einen Antrag an den Betreiber stellen. Dieser prüft den Antrag; bei Ablehnung wendet man sich dann in Deutschland entweder erst noch an den zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten oder klagt direkt. Somit ist der Betroffene also nicht (mehr?) schutzlos, sondern kann seine Ansprüche immer durchsetzen – wenn sie denn auch vorhanden sind.

Interessant ist an der Stelle wieder einmal der Blick auf die letztlich verlinkten Webseiten, die ja nun einmal (rechtmäßig) die Informationen vorhalten. Bisher war es einhellige Meinung, dass wenn dann dort die Löschung vorzunehmen ist – warum nun nicht mehr? Es liegt, man ahnt es schon, erneut an ergebnisorientierten Überlegungen – der Gewährleistung eines effektiven Schutzes:

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, da auf einer Website veröffentlichte Informationen leicht auf anderen Websites wiedergegeben werden können und die für die Veröffentlichung Verantwortlichen nicht immer dem Unionsrecht unterliegen, ein wirksamer und umfassender Schutz der betroffenen Personen nicht erreicht werden könnte, wenn diese vorher oder parallel bei den Herausgebern der Websites die Löschung der sie betreffenden Informationen erwirken müssten.

4. Wann besteht ein Anspruch auf Löschung von Links

Nach dem mühevollen Weg verbleibt eine Frage, die aber dann auch ausschlaggebend ist: Wann ist ein Link zu löschen? Keineswegs ist es nämlich so, dass jeder Anspruch darauf hat, alle ihn betreffenden Daten kurzerhand bei Suchmaschinen löschen zu lassen! Der EUGH hat vielmehr klar gestellt, dass die Tätigkeit von Suchmaschinen eine Verarbeitung darstellt, die durch Art 7f der Richtlinie gedeckt ist. Allerdings sieht eben dieser Rechtfertigungsgrund vor, dass eine Interessenabwägung stattzufinden hat, die ich bereits am Anfang allgemein angesprochen habe – hier geht es nun um die widerstreitenden Interessen. Dabei stellt der EUGH direkt einmal klar:

Wegen seiner potenziellen Schwere kann ein solcher Eingriff nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden.

Das bedeutet, alleine die Gefahr, dass durch datenschutzrechtliche Vorschriften der Betrieb der Suchmaschine in wirtschaftlicher Hinsicht gefährdet wird, ist kein Argument. Es sei am Rande der Hinweis erlaubt, dass gerade die deutsche Rechtsprechung an dieser Stelle bisher eher den Bestand eines Geschäftsmodells schützen möchte. Zugleich gibt der EUGH allerdings auch eine allgemeine Formulierung zur Frage der Interessenabwägung:

Zwar überwiegen die (…) geschützten Rechte der betroffenen Person im Allgemeinen gegenüber dem Interesse der Internetnutzer (…) der Ausgleich kann in besonders gelagerten Fällen aber von der Art der betreffenden Information, von deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information abhängen, das u. a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren kann.

Dieser Absatz ist der nun und für die Zukunft ausschlaggebende Teil: Es wird als erstes „in Stein gemeißelt“, dass die Rechte der einzelnen Person gegenüber dem allgemeinen Informationsinteresse grundsätzlich überwiegen. Der EUGH geht sogar noch weiter und verliert hier deutliche Worte

Da die betroffene Person (…) verlangen kann, dass die betreffende Information der breiten Öffentlichkeit nicht mehr durch Einbeziehung in eine derartige Ergebnisliste zur Verfügung gestellt wird, ist (…) davon auszugehen, dass diese Rechte grundsätzlich nicht nur gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers, sondern auch
gegenüber dem Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, die Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche zu finden, überwiegen (…)

Dies ist aber nur eine erste Auslegungsregel. Danach muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob durch Art und Bedeutung der Information eine Zulässigkeit der Verarbeitung angenommen werden kann. Falls nein ist zu prüfen, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit so hoch ist, dass eine Ausnahme vorliegt. Letzteres kann dann dadurch beeinflusst werden, ob es um eine Person oder ein Geschehnis der Zeitgeschichte geht. Insbesondere bei Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, hat der EUGH klar gestellt, dass hier eine ganz erhebliche Verschiebung zu Lasten der öffentlichen Person stattfinden wird. Was aber nicht nötig ist, ist die Frage, ob die Informationen überhaupt so negativ sind, dass sie einen Schaden verursachen – alleine der Wille des Betroffenen soll hier ausschlaggebend sein.

An der Stelle bietet sich übrigens auch ein Gedankenspiel an: Wenn zu jemandem massiv viele Informationen via Google zu finden sind – ist er dann nicht bereits eine Person des öffentlichen oder der Zeitgeschichte? Sicherlich mag es keine Formel geben, ab wie vielen Links man „bekannt“ ist, gleichwohl ist es ein Faktor, der zu bedenken ist – und der automatisch geprüft werden kann.

Löschanspruch für alle unliebsamen Informationen?

Die Wochen nach der Entscheidung waren geprägt von hektischen Stellungnahmen, Zensurängsten, Ankündigungen einer staatlichen Kontrollbehörde für Anträge, zahlreichen Musterformularen zur Löschung unliebsamer Links und öffentlichen Hoffnungen von Kollegen, Google würde vielleicht seine nun anstehenden juristischen Tätigkeiten auf externe Kanzleien auslagern. Google dagegen reagierte wie gewohnt professionell: Gelassen, nicht hektisch, wurde erklärt man prüfe die Auswirkungen. So geht man mit solchen gerichtlichen Entscheidungen um.

Und diese Entscheidung gibt auch Anlass, erst einmal genau hinzusehen und zu überlegen. Tatsache ist, so lese ich jedenfalls diese Entscheidung, dass Google eine datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit hat und sich aus dieser nicht mehr heraus stehlen kann. Mit dieser Verantwortlichkeit habe ich auch kein Problem, denn es ist nun einmal Fakt, dass eine Suchmaschine für ein erhebliches „mehr“ an Öffentlichkeit sorgt. Und es ist auch Fakt, dass eine Suchmaschine wirtschaftliche Umsätze erzeugt, die – wie bei jedem Geschäftsmodell – nun einmal ausreichend sein müssen, um der eigenen Verantwortung gerecht zu werden. Und doch sehe ich, dass Google nun keineswegs Fluten von Löschanträgen einfach hinnehmen muss. Und ich glaube auch nicht, dass Google oder andere Suchmaschinenbetreiber nun nur noch die einzige Option haben, Löschungen vorzunehmen.

Hintergrund ist wiederum die Entscheidung des EUGH. Beim EUGH ging es nämlich nicht um Suchen im Allgemeinen, es ging um konkrete Suchen nach individualisierten Personen alleine an Hand des Namens. Der EUGH war auch nicht müde, das immer wieder zu betonen:

„Außerdem ist unstreitig, dass diese Tätigkeit der Suchmaschinen maßgeblichen Anteil an der weltweiten Verbreitung personenbezogener Daten hat, da sie diese jedem Internetnutzer zugänglich macht, der eine Suche anhand des Namens der betreffenden Person durchführt, und zwar auch denjenigen, die die Internetseite, auf der diese Daten veröffentlicht sind, sonst nicht gefunden hätten.“ (Rn. 36)

  • „…bei einer anhand des Namens einer natürlichen Person durchgeführten Suche…“ (Rn. 37)
  • „…Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens einer Person durchgeführte Suche angezeigt wird…“ (Rn. 62)
  • „…wenn die Suche mit dieser Suchmaschine anhand des Namens einer natürlichen Person durchgeführt wird…“ (Rn. 80)
  • „…aus der Liste mit den Ergebnissen einer anhand des Namens einer Person durchgeführten Suche…“ (Rn. 82)
  • „…Liste mit den Ergebnissen einer anhand des Namens der betreffenden Person durchgeführten Suche..“ (Rn. 87)
  • „…von der Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens einer Person durchgeführte Suche…“ (Rn.88)
  • „…Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird…“ (Rn. 94)

Bei Randnummer 96 stellt der EUGH sogar klar, dass sich die Anträge zur Löschung bzw. Widersprüche auf Suchen nach/mit dem konkreten Namen zu beziehen haben:

Somit ist im Rahmen der Beurteilung solcher Anträge, die gegen eine Verarbeitung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gerichtet sind, u. a. zu prüfen, ob die betroffene Person ein Recht darauf hat, dass die Information über sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr durch eine Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird (…)

Die Rechtsprechung des EUGH ist somit auf ein sehr konkretes Szenario anzuwenden – und entsprechend zu handhaben. Was noch recht theoretisch klingt, kann schnell Auswirkungen haben – wenn etwa Google die Möglichkeit einräumt, über einen individualisierten Google+-Account selber, konkret im Falle von Namenssuchen, Ergebnislisten zu filtern. Ggfs. wird Google auch darüber nachdenken, den bisherigen Profilmanager zu einem Identitätsmanager zu erweitern und sich somit Antragsfluten zu ersparen.

Weiterhin bieten sich Ansätze für automatisierte Vorprüfungen. Während die Richtlinie nur den Rahmen vorgibt, ist natürlich weiterhin auch nationales Recht zu beachten. Da der EUGH klar gestellt hat, dass die Verarbeitung der Daten durch Suchmaschinen nicht per se unzulässig ist, sehe ich vor allem in Richtung des §35 II Nr.4 BDSG. Mit diesem sind die Daten nämlich bei Widerspruch jedenfalls nach 3 Kalenderjahren, beginnend mit dem auf die Speicherung erfolgenden Kalenderjahr, zu löschen. Zugleich bedeutet dies aber, dass die Speicherung – wenn man keine Ausnahmen wie etwa unrichtige Daten vorbringen kann – so lange erst einmal zulässig ist. Google wird also durchaus automatisiert prüfen können, ob überhaupt ein Zeitrahmen vorliegt, innerhalb dessen eine Löschung in Frage kommt. Oder anders ausgedrückt: Wer Übermorgen bei Google einen Löschantrag wegen Informationen stellt, die gestern gespeichert werden, der hat meines Erachtens ohnehin keinen Löschanspruch. Insgesamt wird im Rahmen einer Abwägung dabei zu erwarten sein, dass bei rechtmässig gespeicherten Informationen ein gewisser Zeitablauf notwendig ist, da bei Berichten in der Öffentlichkeit mit zunehmendem Zeitablauf das Interesse der Öffentlichkeit nachlässt. Eine Formel bietet sich hier pauschal aber nicht an. Dass es beim EUGH um einen Sachverhalt ging, der aus dem Jahr 1998 stammt, zeigt an dieser Stelle auf, warum hier der EUGH von einem offenbar fehlenden überwiegenden öffentlichen Interesse an der Verbreitung spricht (Rn.98).

Fazit

Im Fazit sehe ich, dass der EUGH erst einmal Google das aufgebürdet hat, was angemessen ist: Verantwortung für die eigene Tätigkeit. In berechtigten Fällen wird dabei eine Löschung von Links zu Informationen nunmehr durchaus durchzusetzen sein, allerdings nur im Rahmen von Personensuchen an Hand eines Namens – gleichwohl können wir es nicht erreichen, unsere Profile im Netz komplett zu löschen. Das Urteil ist damit kein Urteil in Sachen „Internetsuche“, sondern ein Urteil zum Thema „Personensuche“.
Google kann nach meinem Dafürhalten durchaus eine Vorauswahl bei Löschanträgen automatisiert vornehmen, da sich regelmässig erst nach einem gewissen Zeitablauf ein Anspruch ergeben wird, so dass „zu frühe Anträge“ automatisiert zurückgewiesen werden könnten. Ob man darüber hinaus schlicht Anträge abwartet, oder ein Identitätstool entwickelt, um dem Szenario von Namenssuchen zu begegnen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls aber muss man nicht Links aus abstrakten Suchanfragen löschen, eine Gefahr für die Internetsuche an sich würde damit kaum bestehen. Problematischer dürfte es sein, dass nunmehr insgesamt das Datenschutzrecht Anwendung findet, denn bei unrichtigen Daten besteht ein Anspruch auf Sperrung bzw. Löschung. Hier ist abzuwarten, ob man in diesem Fall einen unmittelbaren Anspruch gegen Suchmaschinenbetreiber haben soll, oder hier dann nicht doch unmittelbar gegen die fehlerhafte Quelle vorzugehen ist. Ich tendiere zu letzterem, da dieser Weg letztlich im Interesse des Betroffen ist (anders als bei einer rechtmäßigen Veröffentlichung wo eine Löschung ja gar nicht möglich ist).

Das Urteil schafft damit kein Recht auf Vergessen oder Vergessenwerden oder wie man es nennen möchte – es schafft eine gewisse Kontrolle bei Namenssuchen und schreibt grundsätzliche Verantwortung zu. Das Breitschwert gegen Suchergebnisse ist es aber nicht.

Allerdings darf man sich auch andere Gedanken machen: Auch wenn man vielleicht begrüsst, dass Google Verantwortung für seine Tätigkeit übernimmt, so ist dies dennoch ein finanzieller Mehraufwand. Ich bezweifle, dass Google diesen Mehraufwand nicht leisten kann – für neue Suchmaschinen dagegen ist es ein weiterer Hemmschuh, auf dem Markt Fuss zu fassen. Ein Stückweit kann das Urteil damit sogar zur Verfestigung des Quasi-Monopols von Google führen.

Auch darf die Entscheidung nicht über Gebühr ausgedehnt werden. Wenn ich etwa lese, dass nun erste Suchmaschinen/Webkataloge aufgefordert werden, namentliche Erwähnungen von Personen zu unterlassen, deren Name in amtlichen Veröffentlichungen von Gerichtsentscheidungen erwähnt werden, ist dies zurückzuweisen. Der EUGH hat selber klar gestellt, dass im Einzelfall abzuwägen ist, ob es besondere Gründe gibt, die ein öffentliches Interesse begründen können. Sofern gerichtliche Entscheidungen mit Namen versehen sind, sind dies amtliche Veröffentlichungen, an Hand derer ein Auffinden des Urteils erleichtert werden soll – dies ist ein „Quasi-Standard“, wobei auch in juristischen Fachzeitschriften auf Urteile entsprechend verwiesen wird. Dies ist ein besonderer Grund und Löschungen sind weder notwendig noch zu befürchten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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