Einschleusen von Ausländern – Der Alltag von Schleusern

Das „Einschleusen von Ausländern“ nach §96 Aufenthaltsgesetz ist eine Straftat, die derzeit auch von starker Berichterstattung flankiert wird. Wer von „Schleusern“ hört, hat automatisch organisierte Banden vor Augen. Dazu kommt, dass die Bundespolizei von immer mehr festgenommenen „Schleusern“ spricht, was dann die Vorstellung erhöht, dass hier laufend Banden in Massentransporten Menschen über die Grenze bringen. Jedenfalls mein Alltag als Strafverteidiger sieht anders aus.

Der Standardfall

Natürlich kennen wir hier die Fälle, die man in Krimis sieht, wenn Menschen in LKW transportiert werden oder speziell Frauen über die Grenze und zielgerichtet ins „Milieu“ verbracht werden. Diese Fälle sind aber eben nicht der „Standard“, die grosse Masse. Das sind andere Fälle.

Dazu muss man die Routen der Banden kennen, die für unsere Region von Bedeutung sind – die führen häufig nach Rotterdam oder Paris. Dabei läuft es regelmäßig so ab, wie man es sich auch vorstellt: Die „Fahrtgäste“ werden zwar bis nach Paris oder Rotterdam gebracht, hier dann aber auf sich alleine gestellt zurückgelassen. Teilweise mit anderen Versprechungen angelockt gibt es keine „Anschlussangebote“ und natürlich erst recht keine „Betreuung“, obwohl gerne zu Beginn der (teuren) Fahrt versprochen. Immerhin ist es noch so, dass die Betroffenen an Reisepunkten, etwa einem der Zentralbahnhöfe in Paris, abgesetzt und dann alleine gelassen werden.

Dies ist dann die Ausgangssituation, die dazu führt, dass sich im „Speckgürtel“ um diese Bahnhöfe eine eigene „Dienstleistungssparte“ gebildet hat. Zahlreiche Menschen, ebenfalls vollkommen verarmt aber mit dem Luxus eines eigenen Autos, stehen hier schon bereit, um „Taxifahrten“ anzubieten. Das wird auch tatsächlich so genannt und genauso möchte man sich auch selbst verstehen, auch wenn man am Ende genau weiss, dass es um den Transport von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis geht. Man bietet dann seinen PKW samt Fahrleistung an, meistens nimmt man 3-4 Personen auf; nicht mehr, da ansonsten die Gefahr einer Kontrolle steigt. Die Preise für die Fahrt liegen wohl im Schnitt bei teilweise 40 Euro bis zu 80 Euro – pro Person versteht sich. Das Ziel ist dabei von Anfang an vorgegeben und lautet regelmäßig: Bruxelles Midi, der grösste Bahnhof in Belgien.

Die Strecke Rotterdam/Paris-Bruxelles Midi wird nach meinem Eindruck von denen befahren, die zumindest noch etwas mehr verdienen. Diese fahren wohl auch bewusst nicht von Paris direkt bis nach Deutschland, da ihnen das zu gefährlich ist: Angeblich soll es innerhalb des Verbundes Frankreich/Benelux etwas einfacher sein als später bei der Einreise nach Deutschland. Mir ist bisher nur ein einziger Fall untergekommen in dem einer auf eigene Faust diese Route befuhr und der hat Prügel kassiert, als er von denen erwischt wurde, die auf der Strecke Paris/Bruxelles sonst fahren – er wurde auf einem Ratsplatz nachts abgefangen und man liess erst von ihm ab, als der Kiefer gebrochen war und etliche Zähne fehlten. Entsprechendes höre ich auch von anderen Fahrern, die berichten, man dürfe zwar in Bruxelles „abgrasen“, habe aber die Finger von den lukrativeren Routen nach Bruxelles hin zu lassen. „Lukrativ“ in dem Zusammenhang bedeutet wohl am Ende, dass die Menschen auf dem ersten Teil der Router schlicht noch etwas mehr Geld haben als später in Bruxelles.

In Bruxelles dann wiederum am Bahnhof beginnt der zweite und letzte Teil der Taxifahrt, von hier beginnt dann die Fahrt nach Deutschland. Auch hier ist es wieder so, dass vor Ort jemand mit seinem Auto steht und dann die Zielorte (bevorzugt Köln, manchmal Aachen) abfragt. Wenn er vier Personen zusammen hat geht die Fahrt los, es kostet hier dann ab 20 Euro bis zu 60 Euro (selten mehr, die Menschen haben in diesem Stadium der „Reise“ schlicht nichts mehr). Die Beträge sind halbwegs sicher und nicht „geschönt“, sie stammen aus zahlreichen Angaben in Vernehmungen sowohl der Fahrer als auch der Mitfahrer.

Die Fahrer

Die Fahrer auf dieser letzten Route sind nicht organisiert in Form einer Bande. Es drängt sich mir mitunter manchmal der Eindruck auf, dass vor Ort am Bahnhof in Bruxelles Banden die Szene kontrollieren, also etwa Schutzgeld abpressen oder unter Einsatz von Gewalt Fahrgäste zuordnen bzw. vorenthalten („Vermittlungsprovision“) – konkret erwiesen hat sich dies bisher aber für mich nicht. Man merkt auf jeden Fall schnell: Es geht hier um Menschen, die im Elend versuchen ihrem Elend zu entfliehen und dabei von anderen armen Menschen mit ausgebeutet werden.

Eine einfache Rechnung verdeutlicht das: Der Fahrer bekommt im Schnitt 40 Euro pro Passagier pro Fahrt, also 160 Euro. Dafür fährt er die Strecke Bruxelles/Köln hin und zurück mit insgesamt gut 400 Kilometern. Die Schrottlauben die man nutzt sind meistens alte Dreckschleudern (Benziner) mit Verbrauch um die 9 Liter/100 Kilometer, somit muss man mindestens 36 Liter ansetzen, bei 1,50 Euro der Liter macht das bereits 54 Euro. Es verbleiben also gut 100 Euro für Fahrt und Reparaturkosten am Auto. Da das Geld natürlich nicht versteuert wird, fliesst es zwar direkt in die Tasche, wer nun aber 30*100 Euro rechnet, liegt falsch (zumal ich davon ausgehe, dass ein ordentlicher Anteil vor Ort an Banden fliesst und im Schnitt weniger als 40 Euro pro Passagier erwirtschaftet werden).

Da die Fahrer für sich keinen anderen Weg sehen wie man Geld verdient, wird so oft wie möglich gefahren. Dabei gibt man sich keine ernsthafte Mühe sich zu verstecken, wer glaubt da kommen vollgestopfte Autos über Feldwege im dunklen Nebel, der irrt. Sämtliche Fälle hier bei mir wurden auf der Autobahn hoch genommen, bei Tageslicht „ganz normal“ über die Grenze fahrend. Das Erwischtwerden wird schlicht einkalkuliert, die Fahrer sehen in Ihrer eigenen Position schlicht keine Alternative.

Der rechtliche Ablauf

Inzwischen immer häufiger wird das so genannte beschleunigte Verfahren (§417ff. StPO) zur Anwendung gebracht. Die Fahrer verteidigen sich laufend mit den gleichen Erklärungen: Man fahre nur Taxi und habe sich die Ausweise vor der Abfahrt zeigen lassen. Warum da jetzt keine Ausweise mehr sind weiss man nicht, man wurde herein gelegt. Das funktioniert beim ersten Mal tatsächlich noch halbwegs, zumal der über das Erlaubtsein des Verbringens über die Grenze hinzukommt; spätestens ab dem zweiten Mal ist es dann aber damit vorbei. Die Justiz reagierte früher regelmäßig mit Geldstrafen, inzwischen häufig mit Freiheitsstrafen zur , verbunden mit der Drohung, wenn man wiederkehre und erneut auffalle, müsse man ins Gefängnis. Die Ansage dahinter ist klar: Geh zurück nach Belgien und bleib da.

Fazit

Dieser Beitrag soll einen kleinen Einblick geben in eine Welt, die vielen nicht zugänglich ist. Hier bei uns in der Region gibt es Schlepper und Schleuser, der Regelfall ist aber eine „Dienstleistungsbranche“, die sich im Speckmantel um das Leid derer entwickelt hat, die für sich keinen Ausweg mehr sehen. Man mag sich damit begnügen, die Statistik heran zu ziehen, die von mehr Schleusern spricht. Doch um die komplexe Thematik zu verstehen ist es besser, die Geschehnisse insgesamt zu hinterfragen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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