BGH: Prepaid-Verträge dürfen ins Minus rutschen

Der (III ZR 33/14) hat sich mit Prepaid-Verträgen beschäftigt – und die bisherige Rechtsprechung zum Thema quasi vom Tisch gewischt. Die Entscheidung dürfte ganz erhebliche Probleme mit sich bringen und hierbei den Sinn von Prepaid-Verträgen deutlich einschränken: Mit dem BGH können nunmehr Prepaid-Verträge unter Umständen einen negativen Saldo erhalten, also „ins Minus rutschen“, so dass auch bei aufgebrauchtem Guthaben noch Kosten entstehen können – etwa durch Roaming bei Telefonaten im Ausland. Dies sahen bisher sämtliche Gerichte in Deutschland anders, der exorbitant hohe Verbraucherschutz an dieser Stelle wurde ganz erheblich – aber nicht endgültig! – geschwächt.

Dazu auch unser Beitrag: Gegenwehr gegen hohe Telefonrechnung

Worum ging es?

Es ging hier nicht um eine überhöhte Telefonrechnung, sondern um die Frage, ob eine AGB-Klausel wirksam ist, die unter Umständen einen solchen Negativ-Saldo vorsieht.

Die Klausel

Die streitgegenständliche Klausel lautet wie folgt:

Der Diensteanbieter weist ausdrücklich darauf hin, dass bei Roamingverbindungen, [in der früheren Version außerdem: anderen Internationalen Diensten,] Verbindungen zu Premiumdiensten sowie über das Sprach- oder Datennetz in Anspruch genommene Mehrwertdienste die für die Abrechnung erforderlichen Daten verzögert vom Netzbetreiber übermittelt werden können. Insbesondere kann aufgrund von verzögerten Abbuchungen ein Negativsaldo auf dem Guthabenkonto des Kunden entstehen. In diesem Fall hat der Kunde die Differenz unver- züglich auszugleichen. Dies betrifft auch Kunden, die eine Zusatzopti- on mit einem Mindestverbrauch oder Freiminuten bzw. Frei-SMS gewählt haben.

Aber: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs muss sehr genau gelesen werden, um den Tatbestand richtig zu verstehen. Erst in der Begründung der Entscheidung wird deutlich, dass es mehr Details gibt, die für den BGH Ausschlaggebend waren, als Eingangs der Entscheidung beschrieben! So findet sich bei Randnummer 22 der Hinweis, dass es bei den benannten Leistungen um solche geht, die erst nach 4 Wochen freigeschaltet wurden und deren Sperre der Kunde jederzeit verlangen konnte. Dieses Detail findet sich zwar nicht in den abgedruckten AGB, gleichwohl war es für den BGH von Bedeutung bei der Auslegung.

Was bedeutet Prepaid

Man kann die Prüfung des BGH durchaus auf den Kernaspekt konzentrieren: Was bedeutet Prepaid für den verständigen Verbraucher eigentlich? Bei der Analyse muss sich das Gericht nämlich mit der Frage beschäftigen, ob eine solche Klausel missverständlich, nicht verständlich, ist – wobei gilt:

Bei der Bewertung der Transparenz ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen

Und was heisst das hier nun? Der BGH stellt klar, dass alleine die Verwendung des Begriffs „Prepaid“ wenig bedeuten soll:

Der englische Begriff „prepaid“ hat – wie andere, insbesondere in der Telekommunikationsbranche auch im Übrigen vielfach verwendete, eher hülsenhafte fremdsprachige Produktbezeichnungen – keinen fest umrissenen Bedeutungsinhalt. Es handelt sich um eine eher schlagwortartige Bezeichnung, der sich zwar der Grundcharakter des Vertrags entnehmen lassen mag, die jedoch keinen Rückschluss auf Einzelheiten der vertraglichen Regelungen zulässt.

Das sind klare Worte – und dennoch springt der BGH dann plötzlich, wenn er ohne weitere Ausführungen erklärt:

Die durch den Begriff „prepaid“ dem Grunde nach erweckte Erwartung der Kunden, ihr Kostenrisiko sei durch den jeweils aufgeladenen Betrag beschränkt, trifft bei üblichem Gebrauch des Mobilfunkgeräts zu.

Also zusammengefasst: Es ist zwar eine bedeutungslose Worthülse, diese schafft aber die Erwartung, dass man ein nur auf das Guthaben beschränktes Kostenrisiko hat. Das ist, gelinde ausgedrückt, überraschend – entspricht aber der argumentativen Leistung der Entscheidung insgesamt, die leider auch im Weiteren nicht überzeugender wird. Denn nun plötzlich wird die Erwartungshaltung – die nur auf Grund einer Worthülse existieren soll – plötzlich wieder relativiert:

Eine Überschreitung des gutgebuchten Betrags kann nur bei Nutzung der besonderen Funktionen des Roamings und des Zugangs zu Premium- und Mehrwertdiensten eintreten.

Der „Trick“ des BGH ist es, das Telefonieren im Rahmen des „Roaming“ als „besondere Funktion“ zu erklären. Dass man mit einem Mobiltelefon auch im Urlaub im Ausland telefoniert dürfte allerdings den wenigsten Verbrauchern als „besonders“ erscheinen.

Das richtige Verständnis der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung des BGH ist von herausragender Bedeutung – umso schlimmer ist es, dass sie schlecht abgefasst ist und sich teilweise erst mit der Lupe die wesentlichen Details ergeben. So handelt es sich hier um einen sehr konkreten Fall. Ich hatte oben bereits auf Rn. 22 hingewiesen, die man lesen muss, um den Tatbestand überhaupt zu erfassen

Dass auch solche Nutzungen nur im Rahmen des Kartenguthabens kostenmäßig anfallen, kann der verständige Durchschnittskunde allein dem Schlagwort „prepaid“ nicht entnehmen. Vielmehr kann von ihm erwartet werden, dass er, wenn er solche „Zusatzleistungen“ (die nach VI 2 Buchst. a AGB regelmäßig erst vier Wochen nach Vertragsschluss freigeschaltet werden und deren Sperre der Kunde jederzeit verlangen kann) in Anspruch nimmt, sich insoweit gesondert kundig macht und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zu Rate zieht.

Dies kann durchaus ein Gesamtbild ergeben. Wenn nämlich die Leistungen erst gesondert von den sonstigen Leistungen freigeschaltet werden, kann der Verbraucher sie durchaus als „besondere Leistung“ wahrnehmen – ebenso wenn er diese Leistungen konkret jederzeit sperren kann (denn hier ergibt sich auch wieder eine Kostenkontrolle!). Es wäre an dieser Stelle durchaus nachvollziehbar, eine gesonderte Kostenregelung zu vertreten, wenn es auch um gesondert hervorgehobene Leistungen geht. Dies ist dann bereits ein wesentlicher Unterschied zu anderen Prepaid-Verträgen, wo eine derartige „Absonderung“ der Leistungen nicht existiert.

Daneben gab es im Sachverhalt einen weiteren Aspekt: Hier war unstreitig, dass der Mobilfunkanbieter gar nicht in der Lage ist, überhaupt sofort die Kosten abzurechnen, die etwa beim Roaming und der Abrechnung durch Dritt-Provider anfallen. Es wurde also kein Streit darüber geführt, inwieweit dies möglich und zumutbar ist – der BGH hat seine Entscheidung letztlich dann auch Konsequent auf den Aspekt beschränkt, dass eine direkte Abrechnung nicht möglich ist.

Bedeutung der Entscheidung

Ich sehe folgendes Fazit:

  1. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass bei „Prepaid-Verträgen“ erst einmal die Erwartungshaltung des Verbrauchers besteht, dass ein Kostenrisiko über das vorhandene Guthaben hinaus nicht besteht.
  2. Der Mobilfunkprovider kann diese Erwartung mit klar formulierten AGB hinsichtlich „besonderer Leistungen“ ausräumen.
  3. Damit es sich um derart „besondere Leistungen“ handelt, müssen diese auch nach außen hin erkennbar für den Verbraucher als „besonders“ gekennzeichnet sein. Dies kann durch gesonderte Freischaltung der Leistungen erfolgen – auch automatisch zeitverzögert. In jedem Fall sehe ich die Pflicht der Provider, eine jederzeitige Möglichkeit der Sperrung der gesondert berechneten Leistungen anbieten zu müssen. Dies ergibt für mich dann auch, dass Altverträge eben nicht automatisch betroffen sind, die diese Anforderungen bei Vertragsschluss nicht erfüllt haben.
  4. Die vorliegende Entscheidung räumt also nicht die Verteidigungsoption gegen negative Salden bei Prepaid-Verträgen aus, es ist aber nicht mehr pauschal möglich. Wer von einer hohen Rechnung betroffen ist, hat zudem weiterhin die Möglichkeit, darauf zu verweisen, dass den Mobilfunkprovider bei „explodierenden Rechnungen“ Hinweispflichten und Fürsorgepflichten treffen.
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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