„Du kommst hier nicht rein“: 300 Euro Schmerzensgeld bei Diskriminierung (Update)

„Endlich“ möchte ich sagen, wenn ich lese, was das AG Bremen (25 C 0278/10) entschieden hat. Es geht um die „Türsteher-Problematik“, die auch in meiner Jugend schon zu viel Wut führte: Eine Clique ist unterwegs und möchte in eine Disco. Während die gesamte Clique die Disco betreten darf, ist einer dabei, der nicht rein darf. Und rein zufällig hat der eine dunklere Hautfarbe. Genau das lag dem AG Bremen vor – und es gab Schmerzensgeld für den Betroffenen.

Hintergrund ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das sicherlich vor allem im Rahmen von Bewerbungsgesprächen eine Rolle spielen dürfte. Aber: Es gibt darüber hinaus noch einen wichtigen Anwendungsfall, der m.E. unseren Alltag nur ganz langsam erreicht. Dazu muss man den §19 AGG lesen, der lautet:

Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die

1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder
2. eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben,

ist unzulässig.

Oder kurz: Wer ein „Massengeschäft“ anbietet, bei dem es keine Rolle spielt wer da konkret der Kunde ist, der darf nicht wegen der oben genannten Kriterien seine Vertragspartner ausschliessen. Ganz krasses (erfundenes) Beispiel: In einem Restaurant wird jemand, der im Rollstuhl sitzt, nicht bedient und gebeten, sich ein anderes Restaurant zu suchen, da er zu viel Platz einnimmt. Das ist eine Verletzung des §19 I AGG.

„Massengeschäfte“ finden wir überall im Alltag: Restaurants, Kaufhäuser, Discotheken zum Beispiel. Und wenn hier dann entgegen dem §19 I AGG diskriminiert wird, hat der Diskriminierte einen Anspruch auf Beseitigung der und zukünftige Unterlassung (§21 I AGG), Schadensersatz und Schmerzensgeld (§21 II AGG).

Im vorliegenden Fall erkannte das AG Bremen auf ein Schmerzensgeld von 300 Euro.

Hinweis: Es ist natürlich möglich, mit einer Hausordnung auch eine Kleiderordnung vorzugeben – darum geht es hier aber nicht. Zu Beachten ist der Kriterien-Katalog des §19 AGG (siehe oben). Im vorliegenden Fall gab es – da es um eine Clique – ging gleich mehrere Zeugen, wobei der Türsteher samt seines Kolegen vor Gericht wohl nicht einmal mehr benennen konnte, warum denn der Besucher nicht hinein durfte. Die Beweisfrage wird letztlich in diesen Fällen sicherlich immer problematisch sein, da man schnell andere Gründe „vorschieben“ kann.

Update, nachdem mir die Entscheidung vorliegt, hier nun die Gründe der Entscheidung im Volltext:

Am 20.12.2009, morgens gegen 6.15 Uhr erschien der Kläger mit drei weiteren Personen vor der Diskothek „V…“, in B…, die von der Beklagten betrieben wird. Von den vier Personen wurde der W… vom Türsteher, dem Zeugen L…, eingelassen. Der Kläger wurde abgewiesen. Die beiden anderen Personen waren hinter dem Kläger. Sie haben danach nicht mehr versucht, ins Lokal zu kommen.
Der Kläger meint, er sei aufgrund seiner dunklen Hautfarbe abgewiesen worden.
Die Beklagte behauptet, der Kläger sei nicht wegen seiner Hautfarbe abgewiesen worden, sondern weil die Bekleidung des Klägers für diesen Abend nicht der Zielgruppe der Edeldiskothek der Beklagten entsprochen habe. Der Kläger sei im sogenannten Hipp-Hopp-Style erschienen, was in punkto Kleidung nicht der Zielgruppe der Beklagten entspreche.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der Kläger wegen seiner Hautfarbe nicht in die von der Beklagten betriebene Diskothek „V…“ eingelassen worden ist. Es steht jedenfalls fest, dass der Kläger nicht aufgrund der Kleidung abgewiesen worden ist.
Die Zeugen H… und W… haben übereinstimmend bekundet, dass der Kläger schick gekleidet war und nicht etwa wie von der Beklagten behauptet, im Hipp-Hopp-Style. Der Zeuge L… konnte sich an die Kleidung des Klägers offenbar nicht erinnern. Er hat zunächst angegeben, dass der Kläger mit einem Hemd und einer Jeans bekleidet war. Später musste er einräumen, dass er möglicherweise auch einen Mantel getragen hat, so dass Hemd und Jeans nicht zu erkennen gewesen sein dürften. Die Tatsache, ob der Kläger mit einem Mantel bekleidet war oder keinen Mantel getragen hat, hätte dem Zeugen auch nicht entgehen können, wenn er eine tatsächliche Erinnerung an die Kleidung des Klägers gehabt hätte. Das Gericht hat den Eindruck gewonnen, dass der Zeuge L sich an die tatsächliche Kleidung des Klägers nicht erinnerte und nach einer Begründung suchte, weshalb er den Kläger nicht eingelassen hat. Dazu passt es auch, dass er gegenüber dem Zeugen X…, der als Mitarbeiter der Beklagten auf die Situation zukam, keine konkreten Gründe über die Zurückweisung angegeben hat.

Danach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nicht wegen seiner Kleidung zurückgewiesen worden ist. Die von den Zeugen L… und X… angegebene zu starke Alkoholisierung hat die Beklagte nicht behauptet. Auf entsprechende Bekundungen der Zeugen L… und X… kommt es deshalb nicht an. Dem Gericht sind aber auch diese Behauptungen nicht glaubhaft erschienen, da die Zeugen W. und H. übereinstimmend bekundet haben, dass alle Vier, die zu der Gruppe gehörten, ähnlich viel getrunken hatten, danach zwar angetrunken aber nicht betrunken waren. Wenn dies der Grund gewesen wäre, hätte der Zeuge L… den Zeugen W. nicht passieren lassen dürfen. Da andere plausible Gründe nicht ersichtlich sind, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger aufgrund seiner dunklen Hautfarbe zurückgewiesen worden ist.

Diese Zurückweisung ist gemäß § 1, 2 AGG unzulässig und begründet gemäß § 19 Abs. 3 AGG ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens. Der Anspruch ist nicht ausgeschlossen, weil wie die Beklagte meint, dem Türsteher zu fortgeschrittener Stunde ein Fehler unterlaufen kann. Umstände, die das Verhalten des Türstehers als nicht schuldhaft erscheinen lassen können, sind nicht ersichtlich und ergeben sich nicht allein aus der fortgeschrittenen Uhrzeit. Bei der Bemessung des Schmerzensgelds ist davon auszugehen, dass die Beeinträchtigung für den Kläger gering war. Die Benachteiligung ist nur wenigen Personen bekannt geworden. Auf die ihn begleitenden Personen hat das keinen nachteiligen Einfluss für den Kläger gehabt, sondern sie haben sich, soweit das ersichtlich ist, mit ihm solidarisiert. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass nur ein kurzer Aufenthalt in der Diskothek beabsichtigt war, da die Diskothek bereits um 7.00 Uhr geschlossen werden sollte. Das Gericht hält daher ein Schmerzensgeld in Höhe von € 300,- für angemessen.

Der Zinsanspruch und der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten folgen aus § 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 ZPO.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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