Abgasskandal: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Verwendung manipulierter Software

Unter anderem das Landgericht Kiel (12 O 371/17) hat die umfassende verbreitete Rechtsprechung aufgegriffen, derzufolge die Installation manipulierter Software eine zum Schadensersatz verpflichtende vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellt. Diese fällt den Entwicklungsingenieuren des Herstellers, die für den Einbau der Funktion zur Manipulation der Emissionswerte auf dem Prüfstand verantwortlich sind, zur Last. Hieraus ergibt sich eine Haftung des Herstellers für seine Entwicklungsingenieure sowohl als Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) als auch wegen eines Organisationsverschuldens (§ 31 BGB).

Im Ergebnis bedeutet dies, dass im Zuge des Schadensersatzanspruchs der Käufer verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob er den nicht abgeschlossen hätte. Dem Anspruch auf Schadenersatz steht dabei nicht entgegen, wenn die vom Hersteller angebotene technische Überarbeitung des Fahrzeugs („Software-Update“) erfolgt ist.

Beispielhaft sei ergänzend auf eine Entscheidung des Landgerichts Bielefeld (8 O 8/18) verwiesen, wo man ebenfalls – unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts Kiel – ein sittenwidriges Verhalten annimmt:

Ein Verhalten ist sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob die Handlung nach ihrem Gesamtcharakter, der der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmen ist, mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12 m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung (vgl. BGH Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15) oder der vorsätzlichen Herbeiführung eines (Sach-)Mangels (LG Kiel Urteil vom 18.05.2018 – 12 O 371/17) ergeben.

Nach diesen Grundsätzen stellt sich das Verhalten der verantwortlichen Mitarbeiter, vorsätzlich mangelhafte Fahrzeuge unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Funktion zur Manipulation der Emissionswerte auf dem Prüfstand in Verkehr bringen zu lassen, als sittenwidrig dar. Die der von der Beklagten hergestellten Motoren an konzernverbundene Unternehmen erfolgte zu dem Zweck und mit dem Wissen, dass diese Motoren in herzustellende Neufahrzeuge eingebaut und sodann im Straßenverkehr verwendet werden. Die Beklagte hat bei den von ihr hergestellten Motoren durch den Einbau einer Erkennungssoftware bewirkt, dass diese erkannte, wenn sich das Fahrzeug im Prüfstand befand, um dann ein speziell nur für den Prüfzyklus vorgesehenes Abgasrückführungsverfahren einzuleiten. Hierdurch sollte erreicht werden, dass die gesetzlichen Grenzwerte der EU-Verordnung 715/2007/EG über die Typengenehmigung von leichten Pkw und Nutzfahrzeugen für Abgase eingehalten werden, um so die Zulassung des Fahrzeugs zu erreichen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die erteilte EG-Typengenehmigung wirksam erteilt wurde und es allgemein bekannt sein mag, dass die unter Laborbedingungen ermittelten Herstellerangaben nicht den Emissionswerten im normalen Straßenverkehr entsprechen. Für die Entscheidung, ob das Verhalten der Beklagten verwerflich ist, ist darauf abzustellen, dass sie für das Zulassungsverfahren einen Betriebsmodus entwickelt und eingebaut hat, dessen alleiniger Zweck in der Manipulation des Schadstoffausstoßes im Genehmigungsverfahren bestand. Wenn üblicherweise im Labor andere Messwerte erzielt werden als im realen Fahrbetrieb, so liegt dies daran, dass die äußeren Rahmenbedingungen eben nicht dem normalen Fahrbetrieb entsprechen, nicht jedoch an einer gezielten Manipulation, die dem Verbraucher bewusst verschwiegen wird. Die Beklagte hat mit dem Einsatz der Manipulationssoftware zudem massenhaft und mit erheblichem technischem Aufwand gesetzliche Vorschriften zum Umwelt- und Gesundheitsschutz ausgehebelt und zugleich Kunden getäuscht. Sie hat damit nicht einfach nur Abgasvorschriften außer Acht gelassen, sondern zugleich eine planmäßige Verschleierung dieses Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden, den Verbrauchern und Wettbewerbern vorgenommen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen oder sie wettbewerbsfähig zu halten, weil sie entweder nicht über eine Technik verfügte, um die gesetzlichen Abgasvorschriften einzuhalten, oder weil sie aus Gewinnstreben den Einbau der ansonsten notwendigen teureren Vorrichtungen unterließ. Die daraus zu entnehmende Gesinnung, aus Gewinnstreben massenhaft die Käufer der so produzierten Fahrzeuge bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen und Wettbewerber zu benachteiligen, lässt das Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheinen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Anschaffung eines Fahrzeugs für einen Verbraucher in der Regel um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht handelt und ein Verbraucher als technischer Laie die Manipulation nicht erkennen kann. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit und das ihr entgegengebrachte Vertrauen bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt, was eine besonders verwerfliche Vorgehensweise darstellt. Die Beklagte ist ein bedeutender Fahrzeughersteller und -exporteur, so dass von ihr vorgenommene gezielte Manipulationen in Genehmigungsverfahren geeignet sind, das Vertrauen einer Vielzahl von Kunden in die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu untergraben. Aus der Konzerngröße der Beklagten können sich aus einer solchen gezielten Manipulation des Genehmigungsverfahrens Risiken in volkswirtschaftlich relevanter Dimension ergeben. Wenn die Beklagte behauptet, die Folgen des Einsatzes der Software sei für die klagende Partei (und andere Käufer betroffener Fahrzeuge) nicht spürbar, ändert dies nichts daran, dass die Beklagte ein solches Risiko negativer Entwicklungen mit volkswirtschaftlich messbaren Auswirkungen jedenfalls ihrem mit missbräuchlichen Mitteln verfolgten eigenen Gewinnstreben untergeordnet hat und damit verwerflich handelte (LG Kiel Urteil vom 18.05.2018 – 12 O 371/17).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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