Zeugen müssen gehört werden bevor man Indizien verwendet

Es mag zuerst befremdlich anmuten, aber es ist keinesfalls selbstverständlich und das OLG Frankfurt a.M. (22 U 14/10) hat glücklicherweise nur einen Grundsatz formuliert: Grundsätzlich sind Zeugen anzuhören, bevor man auf Indizien abstellt. Es geht dabei um das Zivilrecht und man muss die Sachlage kennen, warum ich von einem „glücklicherweise nur formulierten Grundsatz“ spreche.

Im Kern geht es um einen Versicherungsfall, der vor Gericht nach einem besonderen Prinzip bearbeitet wird (ich habe das hier dargestellt). Ganz grob dargestellt geht man in zwei Stufen vor:

  1. Kann der Versicherungsnehmer Umstände darlegen, die den äußeren Anschein eines Versicherungsfalls darstellen?
  2. Kann der Versicherer Umstände darlegen, die Zweifel (speziell: Eine Vortäuschung) am Versicherungsfall aufkommen lassen?

Nun kann im zweiten Schritt selten der Versicherer vollumfänglich eine Vortäuschung beweisen, meistens werden Indizien herangeführt, aus denen sich dann entsprechende Schlüsse ergeben. Dabei ist mancher Versicherungsnehmer sehr schnell geschockt, bei welchem Umständen ein atypischer Schadensverlauf angenommen wird. Oder welch verheerenden Effekt eine abgegebene eidesstattliche Versicherung über Vermögensverhältnisse haben kann.

Beim Landgericht Darmstadt (als Vorinstanz) sah man sich nun dem Sachverhalt ausgesetzt, dass auf der Stufe 2 der Versicherer eine Fülle von Indizien angeboten hat und das Landgericht meinte, eine Vortäuschung eines Unfalls sei anzunehmen. Daher verzichtete man auf Stufe 1 gleich ganz auf die Anhörung von Zeugen, die die Umstände des Versicherungsfalls belegen konnten. Das OLG Frankfurt a.M. hat diese Verfahrensweise zurück gewiesen, liegt doch im Ergebnis hierbei eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 GG: Es sei dem Gericht schlicht unmöglich „festzustellen, ob sich aus den Bekundungen des Zeugen Anhaltspunkte dafür ergaben, dass es sich vorliegend – trotz bestehender Bedenken hinsichtlich der Häufung von Unfällen und anderer Indizien – um ein zufälliges und nicht abgesprochenes Unfallereignis handelte“. Dies erscheint auch plausibel, wäre bei strikter Anwendung aber zum Nachteil des Versicherungsnehmers.

Insofern ist es zu begrüßen  und sogleich zu erklären warum – wenn das OLG ausführt

Es liegen auch keine Umstände vor, die ausnahmsweise von diesem prozessordnungsmäßig vorgeschriebenen Ablauf Abweichungen zuließen. Die vom Landgericht aufgeführten Indizien sind keineswegs so zwingend, dass sich daraus eine durch andere Umstände unumstößliche Gewissheit des Gerichts ergeben konnte.

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Es kann durchaus Umstände geben, die das Absehen der Zeugenanhörung befürworten – jedenfalls bei zwingenden Indizien sähe das OLG einen solchen Fall. Alleine eine Unfallhäufung wird dabei im konkreten Fall als Indiz ausgeschlossen. Dass die Ausnahme aber dennoch zugelassen wird, schützt am Ende den Kläger in den (sehr wenigen) denkbaren Fällen, in denen derart viele Indizien zusammen kommen, dass ein zwingender Schluss vorläge: Ich denke z.B. an denjenigen, der schon früher Unfälle gestellt hat, dies gegenüber seinem jetzigen Versicherer auf Nachfrage verschwiegen hat und einen Schadensfall nach einer falschen eidesstattlichen Versicherung erklärt (so etwas gibt es wirklich). Die Anhörung von Zeugen, die nicht den Vollbeweis sondern nur das äußere Bild beweisen sollen, würde in diesem Fall an der Annahme einer Vortäuschung nichts mehr ändern, wohl aber auf Klägerseite weitere Kosten produzieren, da dieser die Auslagen für die Zeugen trägt.

Daher ist im Ergebnis mit dem OLG Frankfurt a.M. zu postulieren: Zeugen sind grundsätzlich immer anzuhören, andernfalls wird das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt. Hierbei mag es Ausnahmen geben, die sind aber sehr restriktiv zu handhaben und im Urteil auch ausreichend darzulegen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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