Arbeitsrecht: Zur Karenzentschädigung bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot

Das nachvertragliche ist in den §§74ff. HGB gesetzlich geregelt:

(1) Eine Vereinbarung zwischen dem Prinzipal und dem Handlungsgehilfen, die den Gehilfen für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsverbot), bedarf der Schriftform und der Aushändigung einer vom Prinzipal unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden an den Gehilfen.
(2) Das Wettbewerbsverbot ist nur verbindlich, wenn sich der Prinzipal verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der von dem Handlungsgehilfen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erreicht. (§74 HGB)

In den folgenden Paragraphen ergeben sich weitere (sinnvolle) Regelungen. Es ist nun ein stetes Bestreben von Arbeitgebern, hier abweichende Regelungen zu vereinbaren. SO hatte sich das Bundesarbeitsgericht (10 AZR 243/13) mit einem Arbeitsvertrag auseinander zu setzen, in dem u.a. folgendes enthalten war

§ 15 Wettbewerbsvereinbarung

(1) Der Mitarbeiter verpflichtet sich, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer von 2 Jahren für kein Konkurrenzunternehmen selbstständig oder unselbstständig tätig zu werden.

(2) Die Firma verpflichtet sich, dem Mitarbeiter für die Dauer des Wettbewerbsverbotes eine Entschädigung zu zahlen, die in ihr Ermessen gestellt wird. Die Karenzentschädigung ist fällig am Ende eines jeden Monats.

(3) Auf die Karenzentschädigung wird alles angerechnet, was der Mitarbeiter durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

(4) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, während der Dauer des Wettbewerbsverbotes auf Verlangen Auskunft über die Höhe seiner Bezüge zu geben und die Anschriften seines jeweiligen Arbeitgebers mitzuteilen. Am Schluss eines Kalenderjahres ist er verpflichtet, seine Lohnsteuerbescheinigung vorzulegen.

Auf Grund dieser Klausel verlangte der Mitarbeiter am Ende eine angemessene Entschädigung, der Arbeitgeber wollte 20% zahlen – am liebsten aber gar nichts, aus Sicht des Arbeitgebers sei seine selbst gewählte Klausel zur Zahlung zu unbestimmt und damit unwirksam. Eine willkommene Gelegenheit für das Bundesarbeitsgericht, einige Worte zum Thema zu sagen.

Keine Nichtigkeit der Vereinbarung wegen fehlender Bestimmung der Höhe nach

Sofern der Arbeitgeber seine eigene missglückte Formulierung nun zu seinem Vorteil ausnutzen wollte, erteilt dem das Bundesarbeitsgericht eine klare Absage. Vielmehr ist die Vereinbarung durch spätere Festsetzung der Höhe nach, die dem Rechtsgedanken des §315 BGB folgt, durchaus nachvollziehbar und rechtlich problemlos möglich:

Das Wettbewerbsverbot sieht in § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags eine Entschädigung vor (§ 74 Abs. 2 HGB) und ist deshalb nicht nichtig; (…)

Wettbewerbsverbote, die entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung vorsehen, sind nichtig (st. Rspr., zuletzt zB BAG 28. Juni 2006 – 10 AZR 407/05 – Rn. 11 mwN). Weder der noch der Arbeitgeber können aus einer solchen Abrede Rechte herleiten. (…)

Die Parteien haben einen Anspruch des Klägers auf eine Entschädigung vereinbart. Dass ihre Höhe in das Ermessen des Beklagten gestellt wurde, bedeutet nicht, dass keine Entschädigung zugesagt wurde. Dies ergibt eine Auslegung von § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags. (…)

Durch § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags hat sich der Beklagte – wie schon der eindeutige Wortlaut ergibt – verpflichtet, dem Kläger für die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Entschädigung zu zahlen. Damit wird ein Anspruch des Klägers begründet, wenn er seine Verpflichtungen aus dem Wettbewerbsverbot einhält. Daran ändert sich durch den Relativsatz, wonach die Entschädigung in das Ermessen der Firma gestellt wird, nichts. Diese Formulierung betrifft die Höhe des Entschädigungsanspruchs, nicht den Anspruch selbst. (…)

Entgegen dessen Annahme ergibt sich eine Nichtigkeit der Vereinbarung auch nicht daraus, dass er – wie er meint – die Karenzentschädigung auf „Null“ festsetzen könnte. Eine solche Festsetzung wäre schon wegen § 74 Abs. 2 HGB unbillig iSv. § 315 Abs. 1 und Abs. 3 BGB, sodass durch Urteil ein angemessener Entschädigungsanspruch zu bestimmen wäre, der auf § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags beruht (…)

Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot bedarf der Schriftform (§ 74 Abs. 1 HGB iVm. § 126 Abs. 2 BGB). Das Schriftformerfordernis hat neben der Klarstellungs- und Beweisfunktion vor allem eine Warnfunktion. Es sollen nicht nur Streitigkeiten darüber vermieden werden, ob und mit welchem Inhalt eine Wettbewerbsvereinbarung geschlossen wurde. Vielmehr soll der Arbeitnehmer vor übereilten Entschlüssen im Hinblick auf sein künftiges berufliches Fortkommen möglichst bewahrt werden (BAG 14. Juli 2010 – 10 AZR 291/09 – Rn. 29, BAGE 135, 116; 24. Oktober 1972 – 3 AZR 102/72 – zu I 3 der Gründe). Ein unter Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform vereinbartes Wettbewerbsverbot ist gemäß § 125 BGB nichtig (BAG 14. Juli 2010 – 10 AZR 291/09 – Rn. 28 mwN, aaO). Auf eine nichtige Vereinbarung können sich beide Vertragsparteien nicht berufen. (…)

Der von beiden Parteien unterzeichnete Arbeitsvertrag vom 24. September 2007 erfüllt die genannten Voraussetzungen. Er enthält in seinem § 15 die vollständige Wettbewerbsvereinbarung einschließlich des Anspruchs des Klägers auf eine Karenzentschädigung. Entgegen der Auffassung des Beklagten verlangt das Schriftformgebot nicht, dass die Karenzentschädigung der Höhe nach bereits festgelegt wäre (BAG 28. Juni 2006 – 10 AZR 407/05 – Rn. 16; 14. August 1975 – 3 AZR 333/74 – zu 1 d der Gründe). Entscheidend ist vielmehr, dass der wesentliche Inhalt des der Schriftform unterliegenden Rechtsgeschäfts sich aus der Urkunde ergibt (BAG 14. Juli 2010 – 10 AZR 291/09 – Rn. 33, BAGE 135, 116 [zu einer zusammengesetzten Urkunde]). (…)

Folgen zu niedriger Entschädigung

Wenn die versprochene Entschädigung zu niedrig ist heisst das nicht, dass das Wettbewerbsverbot vollkommen unwirksam ist – der Vorteil für den Arbeitgeber wäre auch zu gross. Das Ergebnis wäre schliesslich, dass ausgerechnet der Arbeitgeber die Wahl hat, entweder zu wenig Entschädigung zu zahlen oder den Mitarbeiter ohne Wettbewerbsverbot auf den Arbeitsmarkt zu lassen. Mit dem BAG wird anders herum ein Schuh daraus: Der Mitarbeiter hat die Wahl, allerdings gilt hier nicht zwingend §74a II HGB:

Ist in einem Wettbewerbsverbot eine gegenüber der Vorgabe des § 74 Abs. 2 HGB zu niedrige Karenzentschädigung vereinbart, ist dieses nicht nichtig, sondern lediglich unverbindlich. In der Konsequenz kann sich der Arbeitnehmer entscheiden, ob er sich an das Wettbewerbsverbot hält (st. Rspr., zB BAG 18. Januar 2000 – 9 AZR 929/98 – zu II a der Gründe; 13. September 1969 – 3 AZR 138/68 – zu Teil I: III 3 der Gründe, BAGE 22, 125; vgl. auch für den Fall des unzulässig bedingten Wettbewerbsverbots oder des unverbindlichen Vorvertrags: 14. Juli 2010 – 10 AZR 291/09 – Rn. 18 ff. mwN, BAGE 135, 116). Über den Fall einer konkret zu niedrigen Karenzentschädigung hinaus tritt die Unverbindlichkeit aber auch ein, wenn aus dem Wettbewerbsverbot selbst unklar bleibt, ob die gesetzliche Entschädigungshöhe erreicht wird (Bauer/Diller Wettbewerbsverbote 6. Aufl. Rn. 454 [„angemessene Entschädigung“]; Oetker/Kotzian-Marggraf HGB 3. Aufl. § 74 Rn. 27; vgl. zur Gefahr der Unklarheit bei der Zusage fester Entschädigungssummen: Preis/Stoffels Der Arbeitsvertrag 4. Aufl. II W 10 Rn. 59). In diesem Fall kann der Arbeitnehmer nämlich nicht bereits bei Abschluss des Wettbewerbsverbots beurteilen, ob ihm eine Karenzentschädigung in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zugesagt ist (BAG 14. Juli 1981 – 3 AZR 414/80 – zu I 1 b der Gründe) und er sich des Wettbewerbs zwingend enthalten muss (vgl. zu diesem Gedanken BAG 14. Juli 2010 – 10 AZR 291/09 – Rn. 14, aaO). (…)

Entschließt sich der Arbeitnehmer zur Einhaltung eines für ihn unverbindlichen Wettbewerbsverbots, hat er Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Entschädigung, nicht hingegen auf die Mindestentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB (vgl. BAG 14. Juli 2010 – 10 AZR 291/09 – Rn. 38, BAGE 135, 116; 18. Januar 2000 – 9 AZR 929/98 – zu II a der Gründe). (…)

Anders als die Revision annimmt, bedeutet dies nicht, dass im Fall eines unverbindlichen Wettbewerbsverbots eine Karenzentschädigung, die unterhalb der von § 74 Abs. 2 HGB vorgeschriebenen Höhe liegt, stets auf diesen Betrag zu erhöhen wäre. Der Arbeitnehmer weiß in diesem Fall, welche Entschädigung ihm zusteht, wenn er sein Wahlrecht zugunsten einer Einhaltung des für ihn unverbindlichen Wettbewerbsverbots ausübt und ist dadurch geschützt. Ist aber eine Ermessensentscheidung nach § 315 BGB zu treffen, kann diese nicht ohne Beachtung des vom Gesetzgeber festgelegten Mindestwertes erfolgen.

Zur Loslösung vom Wettbewerbsverbot

Der Arbeitgeber kann sich unter bestimmten Umständen einseitig vom Wettbewerbsverbot lösen, dazu beim BAG:

Der Arbeitgeber kann sich nach § 75 Abs. 1 HGB analog binnen eines Monats von dem Wettbewerbsverbot lossagen, wenn er das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt hat (BAG 23. November 2004 – 9 AZR 595/03 – zu A I 3 der Gründe, BAGE 112, 376; 19. Mai 1998 – 9 AZR 327/96 -) oder die Parteien aus gleichem Grund das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst haben (BAG 26. Januar 1973 – 3 AZR 233/72 -). Gleiches gilt, wenn zwar nur eine ordentliche Kündigung erklärt wurde, aber für den Arbeitnehmer erkennbar ist, dass diese nur das mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung darstellt (BAG 18. November 1967 – 3 AZR 471/66BAGE 20, 162). Eine Erklärung nach § 75 Abs. 1 HGB verfolgt das Ziel, dass alle beiderseitigen Rechte und Pflichten aus einer Wettbewerbsvereinbarung wegfallen sollen. Will sich ein Arbeitgeber in dieser Weise von der vereinbarten Konkurrenzklausel lossagen, muss er klar zum Ausdruck bringen, dass er nicht nur selbst keine Karenzentschädigung zahlen, sondern auch den Arbeitnehmer von dessen Unterlassungspflicht entbinden will (BAG 13. April 1978 – 3 AZR 822/76 – zu II 2 der Gründe). Die Lossagung muss eindeutig erfolgen (ErfK/Oetker 14. Aufl. § 75 HGB Rn. 5).

Fazit

Der Kollege Grimm bietet ein Fazit, das ich nicht besser formulieren kann und dem ich mich vollumfänglich anschliesse:

Die Entscheidung verdeutlicht, dass es geradezu amateurhaft ist, von den gesetzlichen Grundregeln, insbesondere von der Regelung des § 74 Abs. 2 HGB zur Mindesthöhe der Karenzentschädigung abzuweichen.

Ebenso ist es im Ergebnis auch – bei allem Wunsch möglichst viel vertraglich zu regeln gibt es Dinge, die sich schlichtweg zum Bumerang entwickeln können.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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