Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bei neuen Straftaten

Das Saarländische Oberlandesgericht hat in einem aktuellen Beschluss vom 8. Mai 2025 (Aktenzeichen: 1 Ws 77/25) wichtige Fragen zum Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bei neuen Straftaten entschieden. Der Fall betraf einen Verurteilten, dessen Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wurde, nachdem er in der Bewährungszeit neue Straftaten begangen hatte. Der Beschluss des Oberlandesgerichts gibt Aufschluss über die rechtlichen Grundlagen und die Voraussetzungen für einen solchen Widerruf.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war mit Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 10. Januar 2023 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit begann am 23. Januar 2023. In der Bewährungszeit beging der Beschwerdeführer insgesamt 18 neue Betrugstaten, die durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Oktober 2023 rechtskräftig festgestellt wurden.

Das Landgericht Saarbrücken hat mit Beschluss vom 31. März 2025 die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde eingelegt, die das Saarländische Oberlandesgericht als unbegründet verworfen hat.

Juristische Analyse

Das Saarländische Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss die rechtlichen Grundlagen und Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bei neuen Straftaten ausführlich dargelegt.

Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung

Der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ist in § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB geregelt. Danach ist der Widerruf geboten, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht und dadurch zeigt, dass sich die der Strafaussetzung zugrundeliegende Erwartung, er werde keine Straftaten mehr begehen, nicht erfüllt hat. Das Gericht hat betont, dass die schuldhafte Begehung der neuen Tat zur Überzeugung des über den Widerruf der Strafaussetzung befindenden Gerichts feststehen muss.

Das Widerrufsgericht ist an die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts im Anlassverfahren zwar nicht gebunden, darf sich aber grundsätzlich auf ein rechtskräftiges Urteil stützen und dadurch die Überzeugung von Art und Ausmaß der Schuld des Täters gewinnen. Vorliegend steht die Begehung von insgesamt 18 neuen Betrugstaten innerhalb der Bewährungszeit aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers auch zur Überzeugung des Senats fest. Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Oktober 2023 gibt weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Anlass zu Bedenken.

Ankündigung eines Wiederaufnahmeantrags

Das Gericht hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Ankündigung eines Wiederaufnahmeantrags im Anlassverfahren einem Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB entgegensteht. Das Gericht hat entschieden, dass die bloße Absichtsbekundung, ein Wiederaufnahmeverfahren anzustreben, den Widerruf der Strafaussetzung nicht hindert. Das Widerrufsgericht ist nur dann verpflichtet, eigene Beweise zu erheben, wenn aufgrund nachträglich hervorgetretener Umstände, insbesondere etwaiger Wiederaufnahmegründe, begründete Zweifel an der Tatbegehung bestehen.

Vorliegend sind nachträglich hervorgetretene Umstände, die Zweifel an der Täterschaft des Verurteilten begründen könnten, nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Der pauschale Hinweis, dass der Verurteilte die Tatbegehung weiterhin in Abrede stelle und deshalb eine Wiederaufnahme des Anlassverfahrens anstrebe, ist nicht geeignet, durchgreifende Zweifel daran zu begründen, dass der Verurteilte die durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Oktober 2023 in der Bewährungszeit festgestellten Taten begangen hat.

Entscheidung über den Widerruf

Das Gericht hat betont, dass die Entscheidung über den Widerruf zu treffen ist, sobald Widerrufsgründe nach § 56f Abs. 1 StGB feststehen; ein Zuwarten ist unzulässig. Vorliegend war die Beiziehung der Akten des Anlassverfahrens nicht veranlasst, und es war nicht geboten, mit der Entscheidung über den Widerruf der durch Beschluss vom 10. Januar 2023 gewährten Strafaussetzung bis zur tatsächlichen Anstrengung eines Wiederaufnahmeverfahrens durch den Verurteilten und den Ausgang dieses Verfahrens zuzuwarten.

Der Widerruf von Bewährungen und der Kampf um Bewährungen gehört zu unserem strafprozessualen Alltag – und wir sind hier sehr erfolgreich, denn: nach unserer Erfahrung steckt hier viel verborgenes Potenzial – das wegen der kurzen Beschwerdefrist oft untergeht! Gerade Amtsgerichte unterschätzen die besonderen Umstände und nehmen gerne vorschnell, etwa bei nur mangelndem Kontakt mit dem Bewährungshelfer, einen Widerrufsgrund an. Beachten Sie dazu unseren zusammenfassenden Beitrag zum Thema Bewährungswiderruf sowie den Beitrag zur mehrfachen Bewährung. Wenn Sie akuten Beratungsbedarf haben: Mail oder Messenger-Nachricht senden … und zwar sofort!

Mildere Maßnahmen

Das Gericht hat auch geprüft, ob gegenüber dem Widerruf der Strafaussetzung mildere Mittel im Sinne des § 56f Abs. 2 StGB, insbesondere eine bloße Verlängerung der Bewährungszeit, ausreichend sind, um den Verurteilten zu einem nachhaltig straffreien Leben anzuhalten. Das Gericht hat entschieden, dass angesichts der erheblichen prognostisch ungünstigen Faktoren mildere Maßnahmen derzeit nicht geeignet erscheinen, der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen.

Der Verurteilte ist zum wiederholten Mal bewährungsbrüchig geworden und ließ sich auch durch frühere Hafterfahrungen nicht von der erneuten Begehung einschlägiger Taten aus dem Bereich der Vermögensdelikte abhalten. Die neuen Taten beging er teils bereits aus dem offenen Vollzug heraus und innerhalb weniger Tage und Wochen nach seiner bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug. Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte seitdem seine Lebensführung wesentlich verändert hat, liegen nicht vor. Da angesichts dieser Situation mildere Maßnahmen derzeit nicht geeignet erscheinen, der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen, war die Strafaussetzung zwingend zu widerrufen.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Der Beschluss zeigt, dass die Gerichte – wie ich immer wieder betone – bei der Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung eine sorgfältige Abwägung aller relevanten Umstände im Einzelfall vornehmen müssen. Dabei kommt es nicht nur auf die Schwere der neuen Straftaten an, sondern auch auf die Gesamtumstände des Einzelfalls, einschließlich der sozialen Verhältnisse des Verurteilten und seiner Bereitschaft, sich künftig straffrei zu führen … was in einer Einzelfall-spezifischen Gesamtschau zu bewerten isst.

Fazit

Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts gibt wichtige Aufschlüsse über die rechtlichen Grundlagen und Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bei neuen Straftaten. Das Gericht hat betont, dass die schuldhafte Begehung der neuen Tat zur Überzeugung des über den Widerruf der Strafaussetzung befindenden Gerichts feststehen muss und dass die bloße Absichtsbekundung, ein Wiederaufnahmeverfahren anzustreben, den Widerruf der Strafaussetzung nicht hindert.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Alle anzeigen)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!