Stellen Sie sich vor, morgen steht auf ihrer Lieblings-Chips-Tüte, das der Verzehr der halben Tüte kalorientechnisch einem Döner entspricht – schmeckt das dann noch? Oder die Nuss-Nougat-Creme: Wollen wir die nicht lieber essen, wenn wir uns – mit Unterstützung der Werbung – nicht zumindest einreden können, dass sie unserer Gesundheit (trotz der Unmengen Zucker) eher zuträglich als abträglich ist? Kein Wunder, dass die Lebensmittelindustrie bemüht ist, ihre Produkte entsprechend zu vermarkten. Und ebenfalls kein Wunder, dass die Rechtsprechung sich hiermit schon beschäftigen durfte.
Ein kleiner Rundgang durch die Rechtsprechung, der zeigt, was es so alles gibt.
Links zu gesundheitsbezogenen Werbeaussagen:
- Lebensmittelwerbung – ein Rundblick zur Bewerbung von Lebensmitteln und Urteilen dazu
- Health-Claims-Verordnung (HCVO): Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben
- Lebensmittelinformationsverordnung: Allergenkennzeichnung und Informationspflichten zu Zusatzstoffen
- Wann sind gesundheitsbezogene Angaben beigefügt?
- Lebensmittelwerberecht beim BGH
- Abmahnungen wegen übersehener Kennzeichnungspflichten
Suggestive Bilder…
Wer auf einer Verpackung einen Nougat-Block („Nougat-Stande“) abbildet und damit suggeriert, seine Waffelhörnchen seien – zumindest teilweise – mit Nougat statt tatsächlich nur mit Nougat-Creme gefüllt, begeht eine Irreführung der Verbraucher (LG Köln, 31 O 349/11). Das auf den ersten Blick profane Beispiel zeigt, wie man mit geschickter Bildplatzierung Erwartungen wecken kann, ohne tatsächlich offen eine entsprechende Zusage zu geben.
Inzwischen hat der EUGH sogar abschliessend geklärt: Wenn eine natürliche Zutat abgebildet ist, also etwa ein Obst, dann muss ein natürlicher Teil dieser Zutat enthalten sein. Es genügt also nicht, nur entsprechende natürliche Aromen zuzufügen (dazu hier bei uns).
Gesundes Essen
Gesundes Essen ist der Verkaufsschlager schlechthin – denken wir nur an die Schokolade, mit der man beim Essen abnimmt. Solange es die noch nicht gibt, muss man sich aber mit kleinen Tricks abhelfen.
Geradezu legendär ist hier das Nutella-Nährwert-Etikett geworden, welches das OLG Frankfurt a.M. (6 U 40/11) beschäftigte. Hier hatte man oben die „unangenehmen“ Daten platziert, mit einer blauen Farb-Hervorhebung. Dabei war dann z.B. die Kalorienzahl in der ersten Spalte pro 100 Gramm, in der zweiten Spalte pro 15 Gramm und in der Dritten Spalte in Prozenten an der durchschnittlichen Tageszufuhr eines Erwachsenen dargestellt. Die %-Angabe bezog sich dann (natürlich) auf die 15-Gramm-Portion. Darunter, in einem hellen („freundlichen“) Gelb gab es dann die Darstellung der „gesunden“ Daten, etwa Vitamin E, Magnesium und Eisen.
Dort gab es aber nur noch zwei Spalten: Nämlich der Anteil pro 100 Gramm und dann die %-Angabe, allerdings bezogen diesmal auf 100 Gramm. Das bedeutete: Mit einem flüchtigen Blick sah man nur oben bei der unangenehmen Kalorienzahl eine „4%“, dafür bei den „angenemhmen“ Vitaminen & Co. teilweise „78%“. Im konkreten Vergleich sieht das doch sehr gesund aus – und ist inhaltlich nicht einmal falsch. Da OLG kippte diese Darstellung trotzdem, denn immerhin wird ja eine Fehlvorstellung erzeugt:
Diese Zusammenhänge werden allerdings auch dem verständigen Durchschnittsverbraucher erst dann klar, wenn er sich eingehend mit der Tabelle befasst. Die dafür erforderliche Zeit und Aufmerksamkeit bringt jedoch der Verbraucher jedenfalls in der typischen Kaufsituation, insbesondere etwa vor dem Verkaufsregal eines Supermarktes, nicht auf. […]
Die auf dieser Weise hervorgerufene Fehlvorstellung führt auch zu einer relevanten Irreführung, da sie die Kaufentscheidung spürbar beeinflussen kann; denn ein Lebensmittel, das vermeintlich nur wenig Nährstoffe wie Zucker und Fett, dafür aber viel Vitamine und Mineralstoffe enthält, wird als besonders wertvoll angesehen.
Fatal auch der Versuch des Herstellers eines Quark-Produktes („Monsterbacke“) mit Assoziationen zu arbeiten, wenn er meinte „So wichtig wie das tägliche Glas Milch“. Auf den ersten Blick unverfänglich, denn nur weil es „wichtig“ ist, was ja der persönlichen Wertung unterliegt, ist es noch lange nicht besonders Gesund; man denke hier nur an die vielen Menschen, denen das tägliche Stück Schokolade besonders „wichtig“ ist. Gleichwohl aber wird hier letztlich im Gesamtbild durch den Bezug auf das „tägliche Glas Milch“ eine besonders positive Hervorhebung erzeugt:
Zwar handelt es sich bei dem Wort „wichtig“ an sich um einen offenen Begriff, der Raum für subjektive Wertungen lässt. Das Wort „wichtig“ ist bedeutungsoffener als es Formulierungen wie „so wertvoll“, „so gut“ oder „so gesund“ sind. Warum einem etwas „wichtig“ ist, hängt auch von subjektiven Einstellungen ab.
Bei einer Gesamtbetrachtung der Werbung ergibt sich aber, dass sich diese aus Sicht des angesprochenen Verkehrs aufgrund der Passage „wie das tägliche Glas Milch“ nicht in einer subjektiven Wertung (des Herstellers) und dem Hervorrufen einer positiven, aber nicht konkreten Assoziation (etwa in dem Sinne „das Produkt tut gut wie Milch auch gut tut“) erschöpft.
Vielmehr nimmt der angesprochene Verkehr jedenfalls aufgrund der vergleichenden Bezugnahme („wie“) auf das „tägliche Glas Milch“ und nicht nur Milch allgemein an, das Produkt weise bei (nahezu) täglichem Konsum ähnliche Vorteile für die Ernährung auf wie Milch, insbesondere bei Kindern, ohne dass sein (nahezu) täglicher Konsum aufgrund einer von Milch deutlich abweichenden Zusammensetzung mit Nachteilen, insbesondere für Kinder, verbunden sein kann.
Nun ist diese positive Assoziation nicht grundsätzlich verboten – aber dann kommt es doch auf die Details an, insbesondere auf den zu gerne eingesetzten Zucker. Und da entsteht beim konkreten Vergleich mit dem täglichen Glas Milch eben doch eine Irreführung, nämlich dadurch
dass das Produkt auf dieselbe Menge bezogen ein Mehrfaches an Zucker enthält als (Voll-)Milch, nämlich nach der Tabelle auf Bl. 3 – deren Inhalt unstreitig geblieben ist – 13 g gegenüber 4,7 – 4,8 g, also das ca. 2,7 – 2,8 fache. Dadurch enthält das Produkt pro 100 g auch deutlich mehr Kalorien als (Voll-) Milch (105 kcal gegenüber 64 – 70 kcal).
Essen, das schön macht…
Ja, man kann es ja mal probieren: Einfach nur „reichhaltig an wertvollen Vitaminen“ auf eine Verpackung schreiben reicht nicht aus. Wer sich mit einem besonderen Nährwertgehalt schmücken möchte, der muss auch Mengenangaben liefern (so die Nährwert-Verordnung, dazu LG Rostock, 6 HK O 120/10). Das OLG Hamm (4 U 30/06) musste dabei sogar einen Slogan stoppen, der vorgab, durch eine besondere Zimt-Menge gegen die Zuckerkrankheit zu wirken.
Das OLG Hamm (I-4 U 88/10) musste einem Hersteller auf die Finger klopfen, der seinem Diät-Mittel eine “fett fressende” Funktion andichten wollte. Eine solche Werbeaussage ist irreführend, urteilte das OLG Hamm. Der Versuch des Herstellers, mit einer nicht näher benannten Studie zu punkten, funktionierte nicht: „Die Studie entsprach bereits nicht den anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen. Ihre Autoren sind nicht mitgeteilt. Eine Veröffentlichung, die Grundvoraussetzung für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist, ist nicht erfolgt.“. Naja.
Das OLG Hamburg (3 U 15/07) hat übrigens die Werbung mit dem Slogan “Abnehmen ohne Hunger” ausbremsen müssen – jedenfalls so lange, wie nicht nachgewiesen wird, dass definitiv kein Hunger kommt. Und auch wenn so genanntes „Eiweißbrot“ weniger Kohlehydrate enthält: Es fördert nicht aktiv das Abnehmen, weswegen man es auch nicht mit dem Slogan „Schlank im Schlaf“ bewerben darf (OLG Schleswig, 6 W 1/12).
Lecker – wenn man weiß, was drin ist
Beim VG Stuttgart (4 K 2394/11) ging es um einen wahren Leckerbissen, der wie folgt bezeichnet wurde:
„Puten-Formschnitte Cordon Bleu; Schnitte aus zum Teil fein zerkleinertem Putenfleisch zusammengefügt, mit Schinken und Käse gefüllt, paniert und gegart“
Der Trick nur: Selbst diese schmackhafte Bezeichnung verheimlichte immer noch, dass hinter dem „Käse“ tatsächlich eine „Schmelzkäsezubereitung“ steckte. Das ging so nicht durch.
Und denken Sie immer daran: Surimi ist nicht gerade das beste vom Fisch – „Surimi ist nach den Definitionen der deutschen Lebensmittelbuch-Kommission eine „Fischzubereitung aus Fischmuskeleiweiß““. Hergestellt wird es in einem technischen Verarbeitungsprozess aus herausgelösten Fischeiweißfraktionen und weiteren Zutaten. Lecker. beim VGH Baden-Württemberg (9 S 1130/08) wurde zu Surimi entschieden: Jedenfalls dann, wenn 20% Surimi einer “Meeresfrüchte-Mischung” beigemischt sind, ist dies in der Produktbezeichnung irgendwie zu benennen, etwa als “Meeresfrüchte-Mischung mit Surimi”.
Gut war auch der „Schweinebraten“, mit dem sich das VG Berlin (14 K 43.09) beschäftigte und feststellte, dass jedenfalls wenn ein „Stück Fleisch“ aus mehreren Fleischstücken manuell zusammen gesetzt wird, es nicht als „Schweinebraten“ bezeichnet werden darf. Kein Verbraucher erwartet beim Kauf eines Schweinebratens eine industrielle Wolpertinger-Version. Einschreiten musste das VG Berlin (14 A 7.08) auch, als es einem Hersteller untersagen musste, eine Wurst als „Delikatessjagdwurst“ zu bezeichnen, die aus wiederverwerteten Fleischresten hergestellt wurde. Vollkommen Überraschend meint das Gericht, dass der Verbraucher bei Begriffen wie „Delikatesse“ oder „Spitzenqualität“ auch eine entsprechende Qualität des Ursprungsmaterials erwartet – und nicht nur des Endprodukts.
Die Versuche sind letztlich immer die gleichen, etwa beim VG Kassel (5 L 208/10), das ernsthaft feststellen musste, dass wenn „Vorderschinken“ draufsteht, dieser auch enthalten sein muss – und nicht Formfleisch. Auch Kreativbezeichnungen wie „Vorderschinken-Erzeugnis“ sind keine alternativen Namen (VG Aachen, 7 K 1467/09). Ebenso darf man Hähnchenfleisch ohne Innenfilet nicht als Brustfilet anbieten (Verwaltungsgericht Oldenburg, 7 B 1107/11), oder einen „Putenbrust-Fleischspieß“ aus Formfleisch (VG Berlin, 14 A 133.07). Ebenso darf Zerkleinerungsfleisch nicht als „Hähnchen-Filetstreifen“ angeboten werden, wo man halt Filet erwartet (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, 13 LB 9/08 ).
Die Tricks gibt’s dann auch beim „Kebab“ – hiermit durfte sich das VG Berlin (VG 14 K 48.11) auseinandersetzen. Ein Hersteller vermischte sein Hähnchenfleisch mit Gewürzen, tat es in einen Mischer und verfüllte dies in einen Kunstdarm, der sodann in „Kebab-Stücke“ geschnitten wurde. Dies jedoch ist kein Kebab, wie das Gericht wohl zu recht feststellte. Der Verbraucher erwartet bei der Bezeichnung „Hähnchen-Kebap“ nun mal gewachsenes Fleisch, kein Wurstbrät.
Wussten Sie eigentlich: Wenn man Fleisch mit Sauerstoff hochdruck-behandelt, hält es länger diese schöne frische rote Farbe. Die Rechtsprechung verlangt, dass in diesem Fall ein Hinweis auf die Behandlung erfolgen muss (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, 13 LA 28/09; Verwaltungsgericht Braunschweig, 5 A 185/07).
Ein besonderes Hobby im Verkauf scheint auch der Verkauf wieder aufgetauter Produkte als Frischware zu sein. Besonders dreist war etwa eine Metzgerei, die Fleisch auftaute, marinierte und dann „frisch“ als lose Fleischstücke direkt aus der Fleischtheke verkaufte (VG Mainz, 6 K 224/07). Heftig aber auch, dass erst gerichtlich festgestellt werden musste, dass ein zum Zweck des Transports erneut eingefrorener (und später wieder aufgetauter!) Lachs ohne Kennzeichnung nicht verkauft werden darf (VG Stuttgart, 4 K 4277/08; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 9 S 1910/09).
Interessant auch, dass man bei der Herstellung von Schinkenspeck einen „Schaumverhüter“ verwenden kann, mit dem das Fleisch behandelt wird (Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, 13 ME 85/10). Auch hier gibt es eine Kennzeichnungspflicht.
Übrigens: „Sahne Eiscreme“ darf man eine Eiscreme nur dann nennen, wenn diese bereits vor dem Zuführen der Sahne Eiscreme-Qualität erlangt hat (VG Berlin, VG 14 K 272.10). Mit dem Deutschen Lebensmittelbuch ist zu verlangen, dass «Sahneeis» mindestens 18% Milchfett und «Eiscreme» mindestens 10% Milchfett vorweisen können.
Verpackungen können nicht lesen…
…aber ich. Das Mindesthaltbarkeitsdatum („MHD“) ist für nicht wenige Menschen eine magische Grenze – wenn der Joghurt nur einen Tag darüber ist, wird er ungeöffnet weggeworfen. Eine fragwürdige Einstellung, die aber nun mal Realität ist. Entsprechend muss das MHD auch im Handel berücksichtigt werden. Jedenfalls dürfen „abgelaufene“ Produkte nicht mehr als „Normalware“ offeriert werden, also etwa ohne Hervorhebung im normalen Verkaufsregal neben den anderen Produkten (OLG Hamburg, 3 U 187/99; OLG Köln, 6 U 45/87).
Fazit: Guten Hunger
Der kleine Rundgang soll nicht ärgern, sondern klar machen, dass es heute um Lebensmittel-Marketing und eine ganze Industrie geht. Und mag die Schauspielerin im Oma-Look noch so Hausmütterlich von der Verpackung strahlen: Es bleibt ein Industrieprodukt. Und gerade wer sich bemüht, für ein Nahrungsmittel möglichst wenig Geld auszugeben, darf nicht erwarten besonders viel Qualität zu erhalten. Das ist eine Binsenweisheit, die leider nicht oft genug betont werden kann.
Wer wirklich wissen möchte, was in seinem Essen steckt, wird nicht umhin kommen, sich die Zutaten zu kaufen und selber zu kochen. Im übrigen gilt das Credo eines jeden mündigen Verbrauchers: Informieren. Und jedenfalls sollte man bemüht sein, nicht jedem Produkt-Design oder Slogan gleich zu verfallen.
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