Was ist Netzneutralität?

„Netzneutralität“ – das klingt schon wieder nach einem dieser hochtrabenden Begriffe, ist aber (leider) eines der wesentlichen juristischen Netz-Themen der Gegenwart und Zukunft. Im Bundestag wurde kürzlich dazu debattiert (hierzu der Heise-Bericht) und anders als man dort seitens der Regierungskoalition lesen kann:

Nadine Schön von der CDU/CSU-Fraktion befand indes, dass man allein über die Begriffsdefinition von Netzneutralität „stundenlang streiten könnte“.

Gehe ich davon aus, dass längst ein Usus besteht, worum es bei der Netzneutralität zumindest im Kern geht: Nämlich (1) einerseits eine gleichberechtigte Übertragung von Datenpaketen, losgelöst von ihrem Inhalt und (2) eine nicht stattfindende Manipulation der übertragenen Daten. Insofern ist der Wikipedia-Artikel zum Thema m.E. durchaus zutreffend.

Insofern ist eine Netzneutralität zumindest dann nicht mehr gegeben, wenn entweder (1) bestimmte Datenpakete mit anderer Gewichtung (langsamer oder gar nicht) transportiert werden oder (2) eine Manipulation von Daten stattfindet. Man denke bei (2) etwa daran, dass ein Internetprovider verschickte EMail-Nachrichten nach unerwünschten Worten, etwa Fäkalsprache, durchsucht und diese „im Interesse seiner Nutzer“ zensiert. Technisch ist das, zumindest bei unverschlüsselten Nachrichten, durchaus möglich.

Das was da als 1984-Szenario erscheint, ist heute auch alles andere als unüblich: Jeder durchschnittliche Spam-Filter arbeitet damit, dass einkommende Mails analysiert und deren Zustellung verhindert oder zumindest verändert wird.

Natürlich ist das Mail-Szenario nicht das, woran viele Kritiker denken, wenn sie die Netzneutralität gefährdet sehen. Wovor so viele – leider berechtigt – Angst haben, ist dass Daten jeglicher Art manipuliert werden können. Etwa die Abfrage einer Webseite (genauer: Die Abfrage der des zugehörigen Servers zu einer Domainadresse) manipuliert wird. Damit kann man dann verhindern, dass bestimmte Webseiten aufgerufen werden, die berühmten „Netzsperren“ kommen ins Spiel. Das Ergebnis könnte in naher Zukunft sein, dass auf Grund eines Fehler der Staat willkürlich Webseiten sperrt, die gar nicht hätten gesperrt werden dürfen – wie etwa aktuell in den USA geschehen. Konkreter sieht man das in Ländern wie , wo der Staat entscheidet, was der nationale Benutzer überhaupt sehen darf und was nicht, wobei eben nicht nur strafrechtliche Aspekte eine Rolle spielen sollen ( etwa), sondern eben auch staatspolitische Ziele. Vor dem Hintergrund ist es einem intellektuell begabten Blogger auch nicht mehr möglich, zu kommentieren, was von einem FDP-Bundestagsabgeordneten zu dem Thema gesagt worden sein soll:

Es dürfe nicht zu einer „sozialistischen Gleichmacherei“ im Netz kommen. „Das ‚Sozialismus-Internet‘ haben wir schon in China“, ergänzte der Liberale Jimmy Schulz. „Das wollen wir alle nicht.“

Hier zu unterstellen, dass Unverständnis des Problems zu dieser Äußerung führte, ist m.E. noch die höflichste Variante. Fakt ist: Nur eine grundgesetzlich verbürgte, also unmittelbar den Staat bindende, Netzneutralität verhindert gerade Auswüchse eines „sozialistischen Internet“ nach dem Vorbild Chinas.

Auch wirtschaftspolitisch muss man die Augen offen halten, was NetzpolitikBegrifflich muss ich natürlich am Ende klarstellen, dass man durchaus diskutieren kann, was genau die „Netzneutralität“ ausmachen soll. Auf der IRIS2011 gab es dazu eine Diskussion, die hier gut dargestellt wird und einen Überblick über Ansatzpunkte gibt. Und wer auf juristisch-wissenschaftlicher Ebene dazu etwas beitragen möchte, der ist vom Humbold-Forum-Recht dazu herzlich eingeladen.

Letztlich, wie so oft, empfehle ich in dem Bereich neben der wissenschaftlichen Diskussion, die Wesensgehaltslehre des BVerfG: Den Kern der Netzneutralität auszumachen, fällt nicht schwer. Oben von mir genannte 2 Punkte finde ich bisher in jedem Beitrag, in jeder Diskussion, zum Thema wieder. Was man neben diesem Kern als erweiterten „Schutzbereich“ annehmen möchte, kann dabei durchaus einer fliessenden Diskussion unterliegen – so wie alle unsere Grundrechte. Deswegen nicht schon den Grundsatz grundgesetzlich zu verankern ist nicht nur nicht zeitgemäß: Es ist gefährlich.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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