Was ist eine Verfassungsbeschwerde und wie funktioniert sie?

Wenn Sie das Gefühl haben, dass ein staatlicher Akt – sei es ein Gesetz, eine gerichtliche Entscheidung oder eine Verwaltungsmaßnahme – Ihre Grundrechte verletzt, steht Ihnen in Deutschland die Möglichkeit offen, eine Verfassungsbeschwerde beim (BVerfG) einzureichen. Doch was genau bedeutet das, und wie funktioniert dieser Weg?

1. Was ist eine Verfassungsbeschwerde?

Die Verfassungsbeschwerde ist ein besonderes Rechtsmittel, das es Ihnen ermöglicht, die Verletzung Ihrer Grundrechte durch die öffentliche Gewalt vor dem höchsten Gericht des Landes – dem Bundesverfassungsgericht – überprüfen zu lassen. Sie ist ein zentraler Baustein im Schutz der Grundrechte in Deutschland. Wichtig dabei: Jeder kann eine Verfassungsbeschwerde einlegen, unabhängig davon, ob es sich um eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine Personengruppe handelt.

2. Wogegen können Sie Verfassungsbeschwerde einlegen?

Sie können eine Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn Sie der Meinung sind, dass durch einen staatlichen Akt eines Ihrer Grundrechte, die im (GG) festgeschrieben sind, verletzt wurde. Das kann sich auf verschiedene staatliche Handlungen beziehen, wie zum Beispiel:

  • Gesetze: Wenn ein neues Gesetz verabschiedet wurde, das Ihre Grundrechte einschränkt.
  • Gerichtsentscheidungen: Wenn Sie der Meinung sind, dass ein Gerichtsurteil auf einer verfassungswidrigen Grundlage basiert.
  • Verwaltungsakte: Wenn eine Behörde eine Entscheidung trifft, die Ihrer Meinung nach verfassungswidrig ist.

3. Wie funktioniert die Verfassungsbeschwerde?

Bevor Sie eine Verfassungsbeschwerde einlegen können, müssen Sie zunächst den sogenannten „Rechtsweg“ erschöpfen. Das bedeutet, Sie müssen alle anderen rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, die Ihnen zur Verfügung stehen. Sie können also nicht direkt eine Verfassungsbeschwerde einreichen, sondern müssen zunächst vor den Fachgerichten (z.B. Verwaltungsgerichte, Zivilgerichte) Ihre Ansprüche geltend machen.

Erst wenn alle Instanzen durchlaufen wurden und keine weitere Möglichkeit besteht, Ihre Rechte durch die Fachgerichte zu verteidigen, können Sie sich an das Bundesverfassungsgericht wenden.

4. Die Form und Fristen

Die Verfassungsbeschwerde muss schriftlich in deutscher Sprache eingereicht und begründet werden. Dabei ist es wichtig, dass Sie den Hoheitsakt genau bezeichnen, gegen den Sie vorgehen möchten, und darlegen, welches Grundrecht Sie als verletzt ansehen. Ein bloßes Verweisen auf frühere Schriftsätze reicht nicht aus. Die Frist zur Einreichung einer Verfassungsbeschwerde beträgt grundsätzlich einen Monat nach der letzten gerichtlichen Entscheidung.

5. Typische Hürden und Probleme

Eine der größten Hürden bei der Verfassungsbeschwerde ist die Zulässigkeit. Das Bundesverfassungsgericht nimmt nur solche Beschwerden zur Entscheidung an, die entweder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung haben oder zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers notwendig sind. Dies bedeutet, dass das Gericht viele Beschwerden nicht zur Entscheidung annimmt, wenn diese keine neuen verfassungsrechtlichen Fragen aufwerfen oder bereits durch die Rechtsprechung des Gerichts geklärt wurden.

Ein weiteres Problem ist die umfassende Begründungspflicht. Die Begründung muss klar und detailliert darlegen, inwiefern eine Grundrechtsverletzung vorliegt. Dazu gehört auch, dass alle relevanten Unterlagen und Entscheidungen beigefügt werden. Ohne eine sorgfältige und vollständige Begründung wird die Beschwerde in der Regel als unzulässig zurückgewiesen.

Zusätzlich gibt es aktuelle Probleme bei der Zulässigkeitsprüfung, die sich unter anderem aus der Notwendigkeit der „materiellen Subsidiarität“ der Verfassungsbeschwerde ergeben. Das bedeutet, dass alle zur Verfügung stehenden rechtlichen Schritte ausgeschöpft werden müssen, bevor eine Verfassungsbeschwerde eingereicht wird. Dies kann etwa dazu führen, dass bereits während des fachgerichtlichen Verfahrens die Beschwerdegründe umfassend vorgetragen werden müssen, einschließlich verfassungsrechtlicher Argumente, um eine spätere Verfassungsbeschwerde zu ermöglichen. Diese Anforderung wird häufig unterschätzt, kann aber entscheidend dafür sein, ob die Beschwerde als zulässig anerkannt wird.

Ein weiteres aktuelles Problemfeld betrifft die formellen Anforderungen und die Fristwahrung. Häufig wird übersehen, dass alle notwendigen Unterlagen und Begründungen innerhalb der einmonatigen Frist eingereicht werden müssen. Auch die Frage, ob zuvor alle möglichen Rechtsmittel ausgeschöpft wurden, spielt eine zentrale Rolle. Hier kann es zu Unsicherheiten kommen, etwa wenn unklar ist, ob noch eine Anhörungsrüge erforderlich ist. Solche prozessualen Details können über den Erfolg oder Misserfolg einer Verfassungsbeschwerde entscheiden.

Rechtsanwalt Ferner zur Verfassungsbeschwerde

Die meisten Menschen haben überzogene Erwartungen an das Bundesverfassungsgericht, das gerne in der Vorstellung zum ersehnten Heilsbringer oder gar Superrevisionsinstanz wird. Dabei zeigt die Statistik (siehe unten), dass sehr formal und gerade nicht wohlwollend geprüft wird.

6. Kosten und Missbrauch

Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist in der Regel kostenfrei. Allerdings kann das Gericht eine Gebühr bis zu 2.600 Euro auferlegen, wenn die Beschwerde als Missbrauch angesehen wird, also offensichtlich unbegründet oder leichtfertig eingereicht wurde.

Exkurs: Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs

Eine besonders häufige und zugleich anspruchsvolle Konstellation bei Verfassungsbeschwerden betrifft die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Dieser Anspruch sichert jedem Verfahrensbeteiligten das Recht zu, vor einer gerichtlichen Entscheidung gehört zu werden. Dies umfasst nicht nur das Recht, sich zu den Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkten eines Verfahrens zu äußern, sondern auch die Pflicht des Gerichts, diese Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Entscheidung einzubeziehen.

Die Bedeutung des rechtlichen Gehörs

Art. 103 Abs. 1 GG stellt sicher, dass niemand in einem Gerichtsverfahren ohne Anhörung verurteilt oder benachteiligt wird. Diese grundrechtliche Garantie zielt darauf ab, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, das Gericht von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen und damit das Verfahren und dessen Ergebnis zu beeinflussen. Das rechtliche Gehör umfasst dabei drei wesentliche Elemente:

  1. Recht auf Information: Die Verfahrensbeteiligten müssen über alle relevanten Tatsachen und rechtlichen Erwägungen informiert werden, die für die Entscheidung des Gerichts maßgeblich sind. Dies schließt auch die Hinweispflichten des Gerichts ein, die es den Beteiligten ermöglichen sollen, sich zu neuen oder überraschenden rechtlichen Aspekten zu äußern.
  2. Recht auf Äußerung: Die Betroffenen haben das Recht, sich zu den Sachverhalten und Rechtsfragen zu äußern, bevor das Gericht eine Entscheidung trifft. Dies kann sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. Das Gericht darf in seiner Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweismittel verwerten, zu denen die Verfahrensbeteiligten Stellung nehmen konnten.
  3. Recht auf Berücksichtigung: Das Gericht ist verpflichtet, die Vorträge der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Überlegungen einzubeziehen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt jedoch erst dann vor, wenn ein Gericht die entscheidungserheblichen Ausführungen der Parteien überhaupt nicht berücksichtigt oder diese bewusst ignoriert hat.

Typische Probleme bei der Rüge

Ein häufiger Fehler bei der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde liegt in der unzureichenden Substantiierung. Es reicht nicht aus, lediglich pauschal zu behaupten, das Gericht habe das rechtliche Gehör verletzt. Vielmehr muss detailliert dargelegt werden, welcher konkrete Vortrag nicht berücksichtigt wurde und warum dieser für die Entscheidung von Bedeutung war. Dabei muss auch aufgezeigt werden, dass das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn das Gericht den Vortrag berücksichtigt hätte.

Ein weiteres typisches Problem ist die Verwechslung der Anforderungen des einfachen Prozessrechts mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 103 Abs. 1 GG. Nicht jede Verletzung von Prozessvorschriften stellt zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Das Bundesverfassungsgericht prüft in solchen Fällen nur, ob die Gerichte die verfassungsrechtlich garantierten Mindeststandards gewahrt haben, nicht aber, ob sie das einfache Recht korrekt angewendet haben.


Fazit

Die Verfassungsbeschwerde ist ein schlagkräftiges Instrument im Kampf um die Wahrung der Grundrechte, unterliegt aber strengen formalen und inhaltlichen Anforderungen. Wenn Sie eine Verfassungsbeschwerde erwägen, ist es wichtig, sich gut vorzubereiten, den Rechtsweg voll auszuschöpfen und sicherzustellen, dass die Beschwerde gut begründet ist. Es kann auch ratsam sein, rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen, um Ihre Erfolgschancen zu erhöhen. Die aktuellen Entwicklungen und Hürden bei der Zulässigkeitsprüfung machen deutlich, dass eine gründliche Vorbereitung unerlässlich ist, um das Verfahren erfolgreich zu durchlaufen.

Die Statistik zeigt, dass nur ein sehr geringer Teil der erhobenen Verfassungsbeschwerden letztlich erfolgreich ist. In den letzten Jahren lag die Erfolgsquote meist deutlich unter 2 Prozent. Der weitaus größte Teil der Beschwerden wird nicht zur Entscheidung angenommen. Im Einzelnen:

  • Von 1951 bis Ende 2020 wurden insgesamt 240.251 Verfassungsbeschwerden erhoben. Davon wurden 245.809 Beschwerden durch Nichtannahme erledigt und nur 5.372 Beschwerden stattgegeben (2,3 %).
  • Im Jahr 2021 lag die Erfolgsquote der Verfassungsbeschwerden bei lediglich 1,29 Prozent. Das war nach 1997 mit 0,97 Prozent der zweitschlechteste Wert seit Beginn der statistischen Auswertung durch das BVerfG und lag deutlich unter der durchschnittlichen Erfolgsquote der letzten zehn Jahre von 1,85 Prozent.
  • Im Jahr 2023 hat das BVerfG über 4.735 Verfassungsbeschwerden entschieden, von denen nur 55 erfolgreich waren. Dies entspricht einer Erfolgsquote von lediglich 1,16 Prozent.
    Insgesamt waren von 1951 bis 2023 nur rund 5.500 von über 240.000 Verfassungsbeschwerden erfolgreich.

Insbesondere die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs stellt hohe Anforderungen an die Substantiierung der Verfassungsbeschwerde. Um Erfolg zu haben, muss deutlich gemacht werden, inwiefern ein Gehörsverstoß vorliegt und warum dieser entscheidungserheblich war. Es ist wichtig, die Unterschiede zwischen der Verletzung einfachen Verfahrensrechts und verfassungsrechtlicher Vorgaben zu verstehen und richtig darzustellen. Nur so kann die Zulässigkeitshürde genommen und eine inhaltliche Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht erreicht werden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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