Völkerrechtliche Immunität und geheimdienstliche Agententätigkeit

Am 27. August 2024 fällte der (BGH, StB 54/24) eine Entscheidung von erheblicher Bedeutung im Bereich der geheimdienstlichen Tätigkeiten und der damit verbundenen völkerrechtlichen Immunität. Die Entscheidung betrifft die und eines Beschuldigten, der sich der geheimdienstlichen Agententätigkeit für einen fremden Geheimdienst schuldig gemacht haben soll.

Die zentrale Frage, die der BGH in diesem Fall behandelte, ist, ob der Beschuldigte aufgrund der Funktionsträgerimmunität von einer Strafverfolgung ausgeschlossen sein könnte. Die Entscheidung des Gerichts hat weitreichende Implikationen für die Behandlung von Spionagefällen und verdeckten Operationen auf deutschem Staatsgebiet.

Völkerrechtliche Immunität und ihre Grenzen

Völkerrechtliche Immunität schützt grundsätzlich Staatsvertreter und Funktionsträger vor der Strafverfolgung durch fremde Staaten, wenn diese in Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten handeln. Diese sogenannte Funktionsträgerimmunität ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und gilt unabhängig davon, ob die Person in einem festen Dienstverhältnis zum Staat steht oder nur im Einzelfall für diesen tätig wird. Sie umfasst alle Handlungen, die als staatliches Handeln eines fremden Staates qualifiziert werden können.

Allerdings gibt es völkerrechtlich anerkannte Ausnahmen von dieser Immunität. Insbesondere bei und geheimdienstlichen Gewaltakten, die eine Souveränitätsverletzung darstellen, wird diese Immunität nicht gewährt. Der BGH bestätigt in seiner Entscheidung, dass bei fremdstaatlicher Spionage und geheimdienstlich gesteuerten Gewaltakten auf deutschem Staatsgebiet die Funktionsträgerimmunität nicht greift. Diese Ausnahmen stützen sich auf das legitime Interesse eines Staates, seine Souveränität und Sicherheit zu schützen und Verstöße gegen das nationale Strafrecht zu ahnden:

Es besteht kein – gemäß Art. 25 GG und § 20 Abs. 1 Satz 1 GVG beachtliches – Verfahrenshindernis der völkerrechtlichen Immunität. Zwar wurde der Beschuldigte mutmaßlich im Auftrag eines fremden Staates und für diesen tätig. Auch kommt Personen, die für einen Staat hoheitlich tätig werden, grundsätzlich aus der Staatenimmunität abgeleitete und völkergewohnheitsrechtlich anerkannte (funktionelle) Immunität in Bezug auf ihr hoheitlich-staatliches Handeln gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten (allgemeine Funktionsträgerimmunität) zu.

Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffende Person in einem festen Dienstverhältnis – etwa als Beamter oder Soldat – zu dem ausländischen Staat steht oder – wie möglicherweise hier – nur einzelfallbezogen für diesen tätig wird; entscheidend ist allein, dass sich die Tätigkeit funktional als fremdstaatliches hoheitliches Handeln darstellt (…) Auch bei fremdstaatlicher Spionage gilt die allgemeine Funktionsträgerimmunität nicht; insofern anerkennt das Völkerrecht das legitime Interesse des betroffenen Staates, solchen Souveränitätsverletzungen mit dem Mittel des Strafrechts zu begegnen (…) Das gleiche gilt für geheimdienstlich gesteuerte Gewaltakte auf fremdem Staatsgebiet; bei solchen Taten – etwa der (beabsichtigten) Tötung oder Entführung von Regimegegnern im Ausland – stellt die allgemeine Funktionsträgerimmunität gleichfalls kein völkerrechtlich begründetes Strafverfolgungshindernis dar (…)


Was ist eine geheimdienstliche Agententätigkeit?

Im Sinne des deutschen Strafrechts, insbesondere nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB, umfasst die geheimdienstliche Agententätigkeit die aktive Mitarbeit für einen fremden Nachrichtendienst. Diese Tätigkeit muss nicht zwingend eine Eingliederung in den organisatorischen Apparat des Geheimdienstes bedeuten, sondern es reicht aus, dass die Person sich funktionell in dessen Ausforschungsbestrebungen eingliedert. Dazu gehören verdeckte Überwachungsmaßnahmen und andere nachrichtendienstliche Operationen, die typischerweise von Agenten oder Hilfspersonen durchgeführt werden.

In diesem konkreten Fall wurde dem Beschuldigten vorgeworfen, sich an Observationsmaßnahmen beteiligt zu haben, die Teil der Ausforschungsbemühungen eines nicht näher bestimmten fremden Geheimdienstes waren. Die Tätigkeiten waren auf die Sammlung von Informationen über einen ehemaligen Offizier der ukrainischen Streitkräfte gerichtet, der in Deutschland lebt und mutmaßlich Zielperson eines ausländischen Geheimdienstes wurde:

Eine geheimdienstliche Tätigkeit für den Geheimdienst einer fremden Macht übt aus, wer eine aktive Mitarbeit für einen fremden Nachrichtendienst entfaltet und dadurch seine Bereitschaft verwirklicht, sich funktionell in dessen Ausforschungsbestrebungen einzugliedern, ohne dass damit notwendigerweise eine Eingliederung in den organisatorischen Apparat des Geheimdienstes verbunden sein muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. März 2022 – AK 9/22, NStZ 2022, 737 Rn. 22; vom 7. August 2019 – 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 16; Urteil vom 5. Juli 1972 – 3 StR 4/71, BGHSt 24, 369, 372; MüKoStGB/Hegmann/Stuppi, 4. Aufl., § 99 Rn. 7 mwN).

Diese Voraussetzungen sind hier angesichts des hochwahrscheinlichen Agierens des Beschuldigten erfüllt; es handelte sich bei den verdeckten Observationsmaßnahmen auch um „geheimdienstliches“ Verhalten, also um ein Handeln, das dem Bild entspricht, welches für die Arbeit von Agenten und anderen Hilfspersonen, die für nachrichtendienstliche Zwecke eingesetzt werden, typisch ist (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Beschlüsse vom 31. März 2022 – AK 9/22, NStZ 2022, 737 Rn. 22; vom 7. August 2019 – 3 StR 562/18, NJW 2020, 856 Rn. 16; Urteil vom 5. Juli 1972 – 3 StR 4/71, BGHSt 24, 369, 372; LK/Barthe/Schmidt, StGB, 13. Aufl., § 99 Rn. 4 mwN).

Der gesamtpolitische Kontext

Die Entscheidung des BGH spiegelt einen größeren geopolitischen Kontext wider, in dem Spionage und geheimdienstliche Aktivitäten als Mittel der Machtausübung und Informationsbeschaffung zunehmend an Bedeutung gewinnen. Insbesondere im Zuge der Konflikte zwischen Russland und der Ukraine sowie der damit verbundenen internationalen Spannungen nehmen die Aktivitäten fremder Geheimdienste in Europa zu. Staaten nutzen ihre Nachrichtendienste nicht nur zur Informationsbeschaffung, sondern auch zur gezielten Einflussnahme und zur Durchführung verdeckter Operationen gegen politische Gegner oder Personen, die als wahrgenommen werden.

Die BGH-Entscheidung verdeutlicht, dass Deutschland seine Souveränität gegen solche fremdstaatlichen Einflüsse schützt und dabei auch vor der Verfolgung von ausländischen Agenten auf deutschem Boden nicht zurückschreckt. Die gerichtliche Klarstellung, dass die allgemeine Funktionsträgerimmunität bei Spionage nicht greift, ist ein starkes Signal, dass Deutschland keine rechtsfreien Räume für ausländische Nachrichtendienste zulässt.

Fazit

Der Beschluss des BGH vom 27. August 2024 verdeutlicht die Bedeutung einer strikten Auslegung der völkerrechtlichen Immunität im Kontext von Spionage und geheimdienstlichen Gewaltakten. Indem das Gericht die Immunität in diesen Fällen ausdrücklich ausschließt, stärkt es die Handlungsfähigkeit des deutschen Strafrechts im Kampf gegen Souveränitätsverletzungen durch fremde Geheimdienste. Diese Entscheidung unterstreicht, dass Deutschland auch gegenüber hoheitlichem Handeln fremder Staaten auf eigenem Territorium seine Rechtsordnung durchsetzen wird, um die nationale Sicherheit und den Schutz seiner Einwohner zu gewährleisten.

Dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, völkerrechtliche Normen im Lichte der modernen Bedrohungen durch Cyber- und Nachrichtendienste zu interpretieren und anzuwenden, um die Integrität und Sicherheit des eigenen Staates zu bewahren.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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