Grundsätzlich kann sich eine Bild- und Tonaufzeichnung wegen einer rechtsfehlerhaften Belehrung des Zeugen durch den Ermittlungsrichter als unverwertbar erweisen, so der BGH (6 StR 340/21).
Zwar steht die nachträgliche Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts der Verwertung der Bild- und Tonaufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht entgegen. Die vernehmungsersetzende Vorführung dieses Beweissurrogats nach § 255a Abs. 2 StPO setzt allerdings eine vorangegangene ordnungsgemäße Beweiserhebung unter Einhaltung der wesentlichen Verfahrensvorschriften voraus. Bei einer richterlichen Zeugenvernehmung, die in Bild und Ton aufgezeichnet wird (§ 58a StPO), sind daher insbesondere die rechtlich geschützten Belange des Beschuldigten, wie etwa seine Mitwirkungsmöglichkeit, zu wahren. Dies gilt gleichermaßen für die Zeugenrechte. Denn die gesetzliche Regelung des § 255a Abs. 2 StPO steht in einem regelungssystematischen Zusammenhang mit § 58a StPO. Dieser ermöglicht unter näher bestimmten Voraussetzungen die Videodokumentation von Vernehmungsinhalten und ergänzt insoweit die übrigen – uneingeschränkt fortgeltenden – Verfahrensvorschriften über die richterliche Vernehmung von Zeugen, etwa im Ermittlungsverfahren (vgl. §§ 162, 48 ff. StPO).
Ist die gebotene ordnungsgemäße Belehrung des Zeugen nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO versehentlich unterblieben, kann die Bild- und Tonaufzeichnung grundsätzlich nicht als Vernehmungsersatz eingeführt werden. Über § 255a Abs. 2 StPO kann die aufgezeichnete Vernehmung durch den Ermittlungsrichter – als Beweissurrogat – aus Gründen des Opferschutzes eine unmittelbare Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung ersetzen. Die ermittlungsrichterliche Vernehmung (§ 162 StPO) erweist sich damit gleichsam als vorgelagerter Teil der Hauptverhandlung. Für sie ist anerkannt, dass eine Zeugenaussage bei unterlassener Belehrung oder Einholung der Zustimmung nach § 52 Abs. 2 StPO – im gleichen Umfang wie bei § 252 StPO – weder verlesen noch verwertet werden darf. Gleiches gilt, wenn die aufgezeichnete ermittlungsrichterliche Vernehmung (§ 58a StPO) die Zeugenvernehmung über § 255a Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung als deren vorgezogener Teil ersetzen soll. Auch in diesem Fall fehlt es mangels Belehrung an einer wirksamen Disposition des Zeugen im Rahmen der richterlichen Vernehmung über sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO und damit an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren.
Bei der Belehrung ist genau hinzuschauen: Eine Belehrung nach § 52 Abs. 3 StPO erweist sich bereits im Hinblick auf den Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 StPO als unzureichend. Die im Einzelfall gewählten Formulierungen dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass der Zeuge zwar die Beantwortung einzelner Fragen (vgl. § 55 StPO), nicht aber – wie es ihm das Gesetz garantiert – die Aussage insgesamt verweigern kann. Zudem darf bei kindlichen Zeugen der Hinweis nicht fehlen, dass sie ihr Zeugnisverweigerungsrecht auch unabhängig von der Zustimmung des Ergänzungspflegers ausüben können.
Achtung: Die Frage der Verwertbarkeit kann anders zu beurteilen sein, wenn der Zeuge in die Verwertung der Aussage mit der Folge der Heilung des Verfahrensfehlers eingewilligt hat!
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