Das BVerfG stärkt die Demonstrationsfreiheit – neue Fragen?

Das BVerfG (1 BvR 699/06) hat festgestellt, was in dieser Floskel nichts neues ist: Der Staat darf sich nicht in das Privatrecht flüchten, was bedeutet: Auch wenn der Staat eine zivilrechtliche Gesellschaft (etwa eine ) nutzt, um am Rechtsverkehr teilzunehmen, kann er sich seiner unmittelbaren Bindung an Grundrechte nicht entziehen. Es herrscht der Grundsatz: Keine Flucht ins Privatrecht. Und dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn der Staat zwar nicht alleine an der Gesellschaft beteiligt ist, aber hauptsächlich.

Das BVerfG drückt das vornehmer so aus (Rn. 48 a.E.):

Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden, unabhängig davon, in welcher Rechtsform er handelt. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung von Art. 1 Abs. 3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre, ist ihm verstellt.

Im Kern kommt das BVerfG zu einer einfachen Erkenntnis: An Flughäfen und Bahnhöfen darf demonstriert werden. Ein vollständiges, pauschales Demo-Verbot ist nicht denkbar. Es gibt jedoch ein „aber“, das in der normalen Presse kaum in Erscheinung tritt. Bei dem juristischen Portal LTO findet man immerhin einen kurzen Satz zu diesem „aber“:

Die Versammlungsfreiheit könne eingeschränkt werden, wenn das für die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs erforderlich sei.

Die kürze, mit der dieses „aber“ zur Zeit gewürdigt wird, überrascht dann doch, da das BVerfg (Rn.91) hier ein wenig mehr zu sagen hat. Aus diesem Abschnitt möchte ich diesen kurzen Teil zitieren, um zu unterstreichen worum es mir geht, denn es wird gleich eine besondere Rolle spielen:

Ebenso rechtfertigt die besondere Störanfälligkeit eines Flughafens in seiner primären Funktion als Stätte zur Abwicklung des Luftverkehrs Einschränkungen, die nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Straßenraum nicht hingenommen werden müssten. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die die Beachtung der besonderen Sicherheitsanforderungen des Flughafens sicherstellen.

Oder kurz: Natürlich darf auf dem Flughafen demonstriert werden, aber er ist nun einmal keine Strasse oder Wiese. Und gerade weil es natürlich Sicherheitsprobleme auf einem Flughafen gibt, muss das auch eine Rolle spielen. Das kann dann soweit gehen, dass eine Versammlung auch vollständig untersagt werden kann, aber nur, wenn bei stattfindender Versammlung gleichwertige Rechtsgüter einer konkreten Gefahr ausgesetzt werden (Rn.90). Verständlich: Wenn eine geplante Demo am Flughafen so abläuft, dass die Sicherheitsvorkehrungen faktisch nicht mehr ausgeübt werden können, kann die Demo (so) nicht stattfinden.

Das BVerfG sieht als Mittel zur Regelung das Hausrecht (Rn.92) über das insbesondere folgendes geregelt werden kann:

In Betracht kommen etwa an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpfende, klarstellende Abgrenzungen zwischen multifunktionalen Verkehrsflächen und speziellen Funktionsbereichen, die Bezeichnung von Zonen, in denen Versammlungen grundsätzlich die Sicherheit des Flugbetriebs unmittelbar gefährden, oder auch ein Verbot des Mitführens von Gegenständen wie etwa Trillerpfeifen, Trommeln oder Megafonen, sofern diese erhebliche Beeinträchtigungen der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs besorgen lassen. Auch kann sie etwa eine – die Anmeldepflicht bei den Versammlungsbehörden ergänzende – Anzeigepflicht beim Flughafenbetreiber vorsehen.

Bis hierhin wird also klar: Der Flughafenbetreiber kann über sein Hausrecht klare Regelungen schaffen – das BVerfG spricht ausdrücklich von transparenten Regelungen, der Willkür soll also ein Riegel vorgeschoben werden – mit denen grundsätzlich erlaubte Demonstrationen in ihrem Ablauf festgezurrt werden. An dieser Stelle könnte das Thema beendet sein – ist es aber nicht. Es stellt sich eine gewichtige Frage, die bisher nicht thematisiert wird. Um das zu verdeutlichen, muss ich kurz einen Schwenk einlegen.

Ende 2010 gab es grosses Aufsehen, als das OVG Münster (5 A 2288/09) feststellte, dass eine anlasslose von Demonstrationen durch die Polizei rechtswidrig ist. Mit diesem Tenor urteilte bereits im Juli 2010 das VG Berlin (VG 1 K 905.09). Vor dem Hintergrund der ausufernden Videoüberwachung in Gebäuden, speziell in Flughäfen und an Bahnhöfen, ist es doch bemerkenswert, dass weder das BVerfG, noch die Öffentlichkeit, sich gefragt haben, wie nun damit umzugehen ist, dass einmal in solchen Gebäuden eine Demonstration grundsätzlich erlaubt sein soll, andererseits aber durch die Kameraüberwachung eine Abschreckungswirkung erzielt wird, die mit der bisherigen Rechtsprechung ja gerade zu vermeiden ist.

Die Frage ist keineswegs ein Sonderfall, mir liegt hierzu eine Anfrage aus dem Raum Düren vor: Bei einer „Anti-Atom“-Demonstration vor dem Forschungszentrum Jülich (FZJ) wurden die Teilnehmer angeblich von Mitarbeitern des FZJ vom FZJ-Gelände aus gefilmt. Ist das vertretbar?

Durch das Urteil des BVerfG verschärft sich die Fragestellung und dass hier nicht zumindest ein kleiner Wink platziert wurde, kann man wohl getrost als Nachlässigkeit bezeichnen. Wenn ich mir die Entscheidung aus Karlsruhe ansehe, stelle ich jedenfalls fest, dass eine Videoüberwachung der Demonstranten nicht schlechthin untersagt ist. Im Rahmen des Hausrechts, dort wo die Sicherheit es verlangt, wird mit dem BVerfG eine Videoüberwachung wohl möglich sein. Das BVerfG dabei zu den Kompetenzen im allgemeinen (Rn. 92) dann aber:

Jedenfalls können ihre zivilrechtlichen Befugnisse grundsätzlich nicht so ausgelegt werden, dass sie über die den Versammlungsbehörden verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen hinausreichen.

Da vermag sich dann aber was zu beissen, immerhin haben wir ja Entscheidungen, die feststellen, dass eine Überwachung durch die Polizei ohne Anlass nicht zulässig ist. Allerdings muss man genau hinsehen, das OVG Münster stellt zu dem Thema fest:

Unter diesen Gesichtspunkten war der konkrete Einsatz der Kameraübertragung geeignet, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und Einschüchterungseffekten zu erzeugen.

Ist die Kameraüberwachung an Bahnhöfen und Flughäfen dazu auch geeignet? Die Antwort lautet meines Erachtens erst einmal ja, da an grösseren Bahnhöfen und Flughäfen die Bundespolizei „stationiert“ ist und Teilnehmer keine genaue Ahnung haben, ob und unter welchen Umständen die Beamten Zugriff auf die Aufnahmen nehmen. Ein gewisser Abschreckungseffekt lässt sich erstmal nicht verneinen.

Aber es ist, auch mit dem BVerfG, die konkrete Gefahrenlage eines Ortes zu berücksichtigen, der der massenhaften Abwicklung von Transporten dient. Man wird hier sicherlich eine Überwachung weiterhin zulassen, interessant wird aber die Frage, inwiefern Ansprüche an die Form und den Umfang zu stellen sind. Andererseits wird man argumentieren können, dass jedenfalls in Bahnhöfen und an Flughäfen Kameras derartiger Alltag sind, dass hiervon weniger Abschreckung ausgeht, als von speziell nur für den Anlass einer Demo genutzten Kameras, die auch noch von der Polizei eingesetzt werden.

Jedenfalls die hinsichtlich der Kameraüberwachung kritischen Entscheidungen des BVerfGes (dazu nur 1 BvR 2368/06 und 2 BvR 941/08) spielen an dieser Stelle m.E. keine Rolle, da hier immer darum gestritten wurde, ob es überhaupt eine Rechtsgrundlage gibt für die Videoüberwachung. Eine solche findet sich aber nicht nur allgemein im Hausrecht, sondern konkret im §6b BDSG.

Was heisst das nun für die Kameraüberwachung durch „private“ Stellen, die in öffentlicher Hand sind, bei Demonstrationen? Ich denke, man wird zu dem Schluss kommen, dass sie nicht per se unzulässig sind. Allerdings unterliegen sie im Fall der Demonstration nach meinem dafürhalten einer etwas strengeren Prüfung als bei dem nackten Blick auf das Hausrecht, da – mit dem BVerfG – das Hausrecht insofern Grenzen erfährt. Jedenfalls eine Abschreckung muss aber vermieden werden und wäre unzulässig. So etwas sehe ich etwa in dem Fall, in dem Mitarbeiter mit Kameras in der Hand den Demonstrationszug „abschreiten“ und den Eindruck erwecken, man würde jeden Teilnehmer einzeln erfassen wollen. Die Kameraüberwachung bei einer Demonstration hat mit dem BVerfG den Zweck, die Sicherheit des Betroffenen Gebäudes in seiner Funktion zu wahren. Jede Kameraüberwachung, die auch nur in der Wahrnehmung der Teilnehmer über diesen Zweck hinausgeht, dürfte m.E. rechtswidrig sein. Entschieden werden muss aber im Einzelfall, das Risiko für die betroffenen Eigentümer ist hier enorm, da sie den Spagat zwischen Sicherheit und Demonstrationsrecht schaffen müssen.

Im Fazit hat das BVerfG zwar eine grundsätzliche Frage geklärt, aber mindest eine weitere eröffnet. Es ist schade, dass im Allgemeinen diese Problematik bisher nicht erkannt wurde, da sich hier auch die fehlende Sensibilität für die Umsetzung von Grundrechten in der Lebenswirklichkeit zeigt. Abgesehen davon, dass die Betroffene hier immerhin 8 Jahre um ihr Recht kämpfen musste – die ständige Lobpreisung von Entscheidungen aus Karlsruhe können wir uns schlicht schenken, wenn wir nicht in der Lage sind, zu erkennen, welchen Wert sie in der Realität haben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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