Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV führt nicht zur Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

Völlig überraschend hat der (1 StR 295/22) klargestellt, dass ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV nicht zur Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO führt – denn die Regelung der Steuererklärungspflicht allein in § 15 Abs. 1 KraftStDV genügt nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG!

Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO macht sich strafbar, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Täter einer durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann danach nur sein, wer selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist. Dabei können sich Offenbarungspflichten sowohl aus den gesetzlich besonders geregelten steuerlichen Erklärungspflichten als auch aus allgemeinen Garantenpflichten ergeben, die jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Das Kraftfahrzeugsteuergesetz enthält keine Anzeigepflicht. Eine solche ergibt sich lediglich aus der aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mit Wirkung vom 20. Juli 2017 in Kraft getretenen Regelung des § 15 Abs. 1 KraftStDV (BGBl. I S. 2374). Danach hat die Person, die das Fahrzeug im Inland verwendet, bei einer vorschriftswidrigen Verwendung nach § 2 Abs. 5 KraftStG unverzüglich eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beim zuständigen Hauptzollamt abzugeben.

Der BGH hatte die Frage, ob ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV zu einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO führen kann, bislang offen gelassen und nunmehr entschieden, dass eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KraftStDV mit den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar wäre. Hierzu führt der BGH aus:

Dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebot genügen Blankettstrafgesetze nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe also bereits entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich umschrieben sind. Zudem müssen neben der Blankettstrafnorm auch die sie ausfüllenden Vorschriften die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen erfüllen (…)

Legt die Blankettstrafnorm nicht vollständig selbst oder durch Verweis auf ein anderes Gesetz fest, welches Verhalten durch sie bewehrt werden soll, sondern erfolgt dies erst durch eine nationale Rechtsverordnung, auf die verwiesen wird, müssen daher nach Art. 103 Abs. 2 GG und ─ soweit angedroht wird ─ in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes und nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Rechtsverordnung vorhersehbar sein. Um den Grundsatz der Gewaltenteilung zu wahren, darf dem Verordnungsgeber lediglich die Konkretisierung des Straftatbestandes eingeräumt werden, nicht aber die Entscheidung darüber, welches Verhalten als Straftat geahndet werden soll (…)

Die als Voraussetzung der Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist für den Bürger nicht schon aufgrund des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vorhersehbar; sie wird vielmehr erst aus § 15 KraftStDV deutlich.

Das Kraftfahrzeugsteuergesetz sieht keine Erklärungspflicht vor. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG wird das Bundesministerium für Finanzen ermächtigt, Rechtsverordnungen zu erlassen über „das Besteuerungsverfahren, insbesondere die Berechnung der Steuer und die Änderung von Steuerfestsetzungen, so- wie die von den Steuerpflichtigen zu erfüllenden Pflichten und die Mitwirkungspflicht Dritter“.

Damit wird dem Normadressaten nicht erkennbar vor Augen geführt, dass der Gesetzgeber von einer Erklärungspflicht ausgeht und nur deren weitere Ausgestaltung dem Verordnungsgeber überlassen wollte. Aus dem Wortlaut der Regelung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG ergibt sich eine Erklärungspflicht nicht. Dieser erstreckt sich zwar auf die „von den Steuerpflichtigen zu erfüllenden Pflichten“. Um welche Pflichten es sich dabei handelt, ergibt sich aber weder aus der Vorschrift selbst noch aus ihrem Kontext. Es versteht sich auch nicht von selbst, dass der Gesetzgeber den Verordnungsgeber damit zur Statuierung (auch) von Erklärungspflichten ermächtigt hat. Denn steuerliche Erklärungspflichten sind nicht derart selbstverständlich, dass es deren ausdrücklicher Erwähnung und Regelung nicht bedürfte. Schließlich beschränken sich Pflichten eines Steuerpflichtigen weder im Allgemeinen noch im hier relevanten Zusammenhang typischerweise auf die Abgabe einer Erklärung. Dementsprechend sieht die auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG erlassene Durchführungsverordnung neben den Erklärungspflichten auch andere, den Steuerschuldner treffende Pflichten vor. So statuiert etwa § 13 KraftStDV Mitführ- und Auskunftspflichten des Steuerschuldners. Weitere Pflichten ergeben sich aus § 7 Abs. 1 KraftStDV und § 6 KraftStDV. Dem Normadressaten ist es anhand des Wortlauts der Regelung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mithin nicht möglich vorauszusehen, ob und unter welchen Umständen ihn eine Erklärungspflicht trifft. Da Art. 103 Abs. 2 GG gerade das Vertrauen auf den Wortlaut einer Norm schützt, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vor. Sollte sich daraus eine nicht gewollte Strafbarkeitslücke ergeben, wäre deren Schließung allein Aufgabe des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 Rn. 77).

Ob § 15 Abs. 1 KraftStDV in der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG eine hinreichende Grundlage findet, ist zumindest zweifelhaft. Denn es ist schon unklar, ob der Gesetzgeber dem ermächtigten Bundesministerium tatsächlich die Befugnis übertragen wollte, eine Erklärungspflicht wie erfolgt zu statuieren.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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