Verkehrsunfall: Rasen und Vorfahrtsverletzung – wer zahlt was?

Es passiert immer wieder. Der Fahrzeugführer auf einer bevorrechtigten Straße hat es eilig, fährt erheblich schneller als es eine Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubt und meint, hierauf würden sich wartepflichtige Verkehrsteilnehmer untergeordneter Straßen schon einstellen. Diese wiederum schätzen die Geschwindigkeit falsch ein, wollen nicht warten und meinen, es noch vor dem Vorfahrtsberechtigten über die Straße zu schaffen. Kommt es dann zum Unfall, ist häufig unklar
und umstritten, wer was zu zahlen hat. Eine Quote liegt da nahe.

Gilt das auch dann, wenn der Bevorrechtigte gerast ist, also z.B. mit mehr
als der doppelten als der erlaubten Geschwindigkeit unterwegs war? Mit einem solchen Fall hat sich der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts
Hamm befasst.

Die Entscheidung des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm
vom 23.02.2016:

Die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
(hier 121 km/h statt zugelassener 50 km/h) durch einen vorfahrtberechtigten
Motorradfahrer vor dem Zusammenstoß mit einem aus einer
rechtsseitig gelegenen, untergeordneten Autobahnabfahrt nach links
abbiegenden Pkw-Fahrer kann eine Haftungsverteilung von 30 % zu
70 % zu Lasten des Motoradfahrers rechtfertigen.

Zum Fall:
Klägerin ist die Krankenkasse des im September Jahre 2011 28 Jahre
alten Motorradfahrers aus Hamm. Sie nimmt den seinerzeit 58 Jahre
alten Pkw-Fahrer aus Arnsberg und dessen Haftpflichtversicherung auf
Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr aufgrund eines Unfalls
des Motorradfahrers entstanden sind. Im September 2011 befuhr
der Motorradfahrer den Haarweg in Werl. Im Bereich der von rechts
einmündenden Autobahnabfahrt ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit
auf dem Haarweg auf 50 km/h begrenzt. Diese Begrenzung ließ
der Motorradfahrer außer Acht, sein Motorrad Yamaha war mindestens
121 km/h schnell. Der beklagte Pkw-Fahrer bog mit seinem Pkw VW
Touran langsam nach links ab, als das Motorrad noch ca. 250 m entfernt
war. Aufgrund des Abbiegemanövers leitete der Motorradfahrer
eine Bremsung ein und wich nach links aus, kollidierte jedoch mit dem
abbiegenden Pkw. Bei dem Unfall zog sich der Motoradfahrer schwere
Verletzungen zu. Im vorliegenden Zivilprozess haben die Parteien im
Wege der Feststellungsklage darüber gestritten, ob der beklagte Pkw-
Fahrer für den Unfall mitverantwortlich ist und die Beklagten der Klägerin
deswegen 1/3 der unfallbedingten Aufwendungen zu ersetzen haben.

Im Unterschied zum Landgericht, das die in der Annahme eines die Verantwortung der Beklagten ausschließenden, überwiegenden Verschuldens des Motorradfahrers abgewiesen hatte, hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm eine 30 %ige Haftung der Beklagten für das Unfallgeschehen bejaht. Auf Seiten des Motorradfahrers sei zunächst, so der Senat, die unfallursächliche, massive Tempoüberschreitung zu berücksichtigen, von der die Klägerin selbst ausgehe.

Allerdings liege auch auf Seiten des Pkw-Fahrers ein schuldhaftes
Verhalten vor. Beim Beginn seines Abbiegevorgangs sei das mit eingeschaltetem
Fahrlicht herannahende Motorrad für den Pkw-Fahrer zu
sehen gewesen. Wenn er dieses – seinen Angaben vor Gericht entsprechend
– erst nach Abbiegebeginn erstmals wahrgenommen habe,
habe er den Verkehr auf der bevorrechtigten Straße nicht ausreichend
beachtet. Bei ausreichender Ausschau habe er die erhebliche Geschwindigkeit
des Motorrads erkennen können und dann zuwarten
müssen. Keinesfalls habe er in der tatsächlich erfolgten langsamen
Weise mit nur geringer Beschleunigung abbiegen dürfen, sondern –
wenn überhaupt – zügig anfahren müssen. Beim Zuwarten und – nach
den Angaben des vom Senat befragten Sachverständigen – auch beim
zügigen Abbiegen wäre der Zusammenstoß zu vermeiden gewesen.
Die damit ebenfalls unfallursächliche Vorfahrtsverletzung des Pkw-
Fahrers rechtfertige eine Haftungsquote von 70 % zu 30 % zu Lasten
der Beklagten.

Rechtskräftiges Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Hamm vom 23.02.2016 (9 U 43/15); Quelle: Pressemitteilung des Gerichts

Rechtsanwalt Dieter Ferner (Fachanwalt für Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Dieter Ferner (Fachanwalt für Strafrecht)

Rechtsanwalt Dieter Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht und Anwalt in der Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf. Spezialgebiete von RA DF: Verkehrsstrafrecht, Kapitalstrafsachen, Drogendelikte, Sexualstrafrecht und Arbeitsstrafrecht.

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