Gestellter Unfall: Indizien für einen manipulierten Verkehrsunfall

Für Betroffene immer wieder überraschend ist, wie die Rechtsprechung von einem manipulierten Unfall ausgehen kann – keinesfalls genügen eindeutige Beweise, sondern ganz bestimmte Indizien sind vollkommen ausreichend. Beim Landgericht Köln (7 O 301/13) findet man eine solche Würdigung, die die Augen öffnen sollte. Insbesondere wenn man dann liest, dass als Indiz auch herangezogen wurde, dass der Sachverständige schon häufiger bei gestellten Unfällen aufgefallen ist.

Keine lückenlosen Beweise sind notwendig

Nach ständiger Rechtsprechung bedarf es zum Nachweis einer Kollisionsabsprache keiner lückenlosen Gewissheit im Sinne einer mathematischen Beweisführung. Es genügt vielmehr die Feststellung von Indizien, die in lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss eines kollusiven Zusammenwirkens zulassen (OLG Köln, Urteil vom 12.04.2013, 19 U 96/12; OLG Karlsruhe, Urteil v. 04.10.2005 – 12 U 1114/04 m.w.N.; LG Krefeld, Urteil vom 25.09.2008, 3 O 101/08). Bei einer Häufung von Anzeichen, die auf eine Manipulation hindeuten, kann ein Anscheinsbeweis für einen sog. „gestellten Verkehrsunfall“ vorliegen (OLG Köln a.a.O., m.w.N.). Unerheblich ist dabei, ob diese Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können. Ausschlaggebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller unstreitigen und bewiesenen Tatsachen, bei der aus einer Indizienkette auf eine planmäßige Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann (OLG Karlsruhe, Urteil v. 04.10.2005 – 12 U 1114/04 m.w.N.).

Indizien für einen manipulierten Verkehrsunfall

Bereits das behauptete äußere Unfallgeschehen weist eine Vielzahl von Umständen auf, die bei gestellten Unfallgeschehen besonders häufig sind:

Auffällig sind zunächst der behauptete Zeitpunkt und die Örtlichkeit des angeblichen Unfalls. Der Unfall soll sich zur Nachtzeit um 23:37 Uhr in einer eher ruhigen Einbahnstraße ereignet haben (vgl. zur Indizwirkung OLG Hamm, Urteil v. 25.04.1995 – 27 U 13/95; OLG Celle, Urteil vom 25.10.2001 – 14 U 73/01; OLG Frankfurt, Urteil v. 18.02.2004 – 7 U 87/03; LG Wuppertal, Urteil v. 28.2.2011- 2 O 160/09; LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2001 – 2 O 85/00). Daraus resultiert typischerweise, dass unbeteiligte Zeugen des Unfallhergangs nicht zur Verfügung stehen (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 23.7.2010 – 2 U 32/10; OLG Hamm, Urteil v. 25.04.1995 – 27 U 13/95; OLG Frankfurt, Urteil v. 18.02.2004 – 7 U 87/03). Als „eigentlicher“ Unfallverursacher wird zudem ein unbekannter Dritter behauptet (der Radfahrer), der aber weder vor Ort angetroffen wurde noch ermittelt werden konnte. Der Beklagte zu 1) hat den Radfahrer gegenüber den Polizisten nur sehr spärlich beschrieben und lediglich mitgeteilt, dieser sei männlich gewesen, von normaler Statur und habe schwarze Haare gehabt. Ein Wiedererkennen sei dem Beklagten zu 1. nicht möglich (Bl. 5 der Unfallakte). Auch dies stellt ein bei gestellten Unfällen auftretender Umstand dar (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 25.4.1995 – 27 U 13/95).

Hinzu kommt, dass die Art des behaupteten Unfallhergangs – Kollision mit einem parkenden PKW – eine besonders häufige Konstellation bei gestellten Verkehrsunfällen darstellt, weil sie sich leicht und ohne nennenswertes Verletzungsrisiko von den Beteiligten inszenieren lässt (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04; LG Kiel, Urteil vom 25.02.2011 – 11 O 291/09; LG Wuppertal, Urteil v. 28.2.2011 – 2 O 160/09; LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2001 – 2 O 85/00; KG Berlin, Urteil vom 17.04.2003 – 12 U 272/01; AG Essen, Urteil vom 20.10.2011 – 25 C 173/10). Außerdem ist bei einer derartigen Unfallkonstellation die Schuldfrage eindeutig – mit Einwänden eines Mitverschuldens oder einer mitwirkenden Betriebsgefahr ist bei dieser Konstellation nicht zu rechnen. Eine scheinbar eindeutige Haftungslage stellt insoweit ebenfalls einen bei manipulierten Unfallgeschehen überaus häufigen Umstand dar (vgl. OLG Köln, Urteil v. 02.03.2010 – 9 U 122/09; OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04).

Auffällig ist außerdem, dass die Schilderung des Unfallhergangs nicht plausibel erscheint, was in der Rechtsprechung ebenfalls als mögliches Indiz für einen manipulierten Verkehrsunfall anerkannt ist (KG, Urteil vom 17.04.2003 – 12 U 272/01; LG Kiel, v. 25.02.2011 – 11 O 291/09). Der Unfall soll sich so zugetragen haben, dass dem Beklagten zu 1) „mitten auf der Straße“ ein Radfahrer ohne Beleuchtung entgegengekommen sei. Diesen habe er erst spät erkannt, weil er „ein wenig“ durch sein Autoradio abgelenkt gewesen sei. Er habe dann versucht, nach links auszuweichen, wodurch er in das parkende Fahrzeug gefahren sei (vgl. Bl. 4 f. der Unfallakte). Dieses Verhalten erscheint nicht nachvollziehbar. Unabhängig davon, dass die Art der Ablenkung durch das Autoradio nicht nachvollziehbar ist, wäre die übliche und naheliegende Reaktion in der geschilderten Situation allenfalls ein scharfes Abbremsen, nicht aber ein gefährliches Ausweichen nach links gewesen (vgl. LG Kiel, v. 25.02.2011 – 11 O 291/09). Dieser Eindruck deckt sich auch mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme. So konnte sich die Zeugin I als unfallaufnehmende Polizeibeamtin daran erinnern, dass der Unfall aus ihrer Sicht vermeidbar gewesen wäre, wenn der Beklagte zu 1. „einfach angehalten hätte“ (Bl. 115 R d.A.). Auch ihr Kollege, der C, hat glaubhaft geschildert, dass auch ihm seinerzeit die Schilderung des Beklagten zu 1. nicht plausibel und nachvollziehbar vorkam. Aus seiner Sicht wäre insbesondere allenfalls ein Ausweichen nach rechts, nicht aber nach links nachvollziehbar gewesen (Bl. 114 R. d.A.). Die Zweifel an dem geschilderten Unfallhergang seien bei ihm so weit gegangen, dass er dem Beklagten zu 1. vor Ort ausdrücklich gesagt habe, dass dieser nicht lügen müsse und es zugeben könne, wenn kein Radfahrer vor Ort gewesen sei (Bl. 115 d.A.).

Desweiteren stellen sich die Art der beteiligten Fahrzeuge und der Schadensabrechnung als Indizien für ein manipuliertes Unfallgeschehen dar. So ist für einen gestellten Unfall der Umstand typisch, dass das klägerische Fahrzeug der sogenannten Luxusklasse angehört, bei dem die fachgerechte Reparatur des entstandenen Karrosserieschadens typischerweise hohe Kosten verursacht (vgl. OLG München, Urteil v. 03.10.1989 – 5 U 1689/89). Gleichzeitig kann ein solcher Schaden aber mit vergleichsweise geringeren Mitteln optisch behoben werden, so dass sich die Abrechnung auf Gutachtenbasis für den vermeintlich Geschädigten „rechnet“ (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.10.2012 – 4 U 259/11). Entsprechend macht auch hier der Kläger die Schäden fiktiv auf Gutachtenbasis geltend (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.04.1995 – 27 U 13/95; OLG Köln, Urteil vom v. 02.03.2010 – 9 U 122/09; OLG Koblenz, Urteil vom 04.10.2005 – 12 U 1114/04; OLG Frankfurt, Urteil v. 18.02.2004 – 7 U 87/03; OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.10.2012 – 4 U 259/11). Das Herbeiführen einer Beschädigung am eigenen Fahrzeug erscheint zudem vor dem Hintergrund plausibel, dass das klägerische Fahrzeug bereits Vorschäden und eine besonders hohe Laufleistung aufwies, sodass der Verkehrswert des Fahrzeugs bereits erheblich gemindert war (vgl. OLG Köln, Urteil v. 23.10.1992 – 19 U 35/92). Auf Beklagtenseite findet sich – ebenfalls typisch für gestellte Verkehrsunfälle – hingegen ein vollkaskoversichertes Vermietfahrzeug, sodass der Schaden für den Eigentümer des Beklagtenfahrzeugs über die Versicherung abgedeckt werden kann (OLG Celle, Urteil v. 13.09.2001 – 14 U 264/00).

In die vorgenannten Umstände fügt sich zudem ein – auch wenn die Kammer diesem Umstand keine zu große Bedeutung beimisst -, dass der vom Kläger mit der Erstellung des Schadensgutachtens beauftragte Sachverständige T bereits mehrfach in Fällen als Gutachter für Anspruchsteller aufgetreten ist, in denen der Vorwurf einer Unfallmanipulation erhoben wurde. Entsprechend wurde seine Beauftragung mitunter auch schon von Gerichten als Indiz für einen gestellten Verkehrsunfall gewertet (LG Köln, Urteil vom 17.02.2011 – 22 O 460/10 – nicht veröffentlicht, aber im hiesigen Verfahren der Kläger- und Beklagtenseite bekannt; OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2013 – 19 U 96/12, Rn. 39 – zitiert nach […])

Ein besonders gewichtiges Indiz für ein kollusives Zusammenwirken stellt schließlich der Umstand dar, dass sich der Kläger und der Beklagte zu 1. kennen und zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls beruflich miteinander verbunden waren (vgl. LG Krefeld, Urteil vom 25.09.2008, 3 O 101/08; LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2001 – 2 O 85/00). Eine Bekanntschaft der Unfallbeteiligten kommt bei „echten“ Verkehrsunfällen wegen deren Zufälligkeit naturgemäß eher selten vor, bei gestellten Unfällen hingegen ungleich häufiger. Sie ist gewissermaßen – auch wenn gestellte Verkehrsunfälle durchaus auch zwischen einander Unbekannten unter Einschaltung und Vermittlung Dritter vorkommen – eine Grundvoraussetzung für einen klassischen abgesprochenen Verkehrsunfall.

Bezeichnend ist insoweit auch, dass die Bekanntschaft des Klägers und des Beklagten zu 1. in der Klageschrift zunächst verschwiegen und erst nach entsprechendem Vorbringen der Beklagten zu 2) eingeräumt wurde (vgl. hierzu LG Krefeld, Urteil vom 25.09.2008, 3 O 101/08; OLG Karlsruhe, v. 01.09.1994 – 12 U 159/94).

Zuletzt wertet die Kammer auch den Umstand als gewichtiges Beweisanzeichen, dass der Beklagte zu 1. zum Termin zur Beweisaufnahme, in dem er im Wege der Parteivernehmung gehört werden sollte, trotz ordnungsgemäßer Ladung (Bl. 97 d.A.) ohne Entschuldigung nicht erschienen ist und sich überdies auch sonst im Verfahren inhaltlich nicht verteidigt hat (vgl. zum Ausbleiben eines Zeugen als Indiz LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2001 – 2 O 85/00). Es erscheint dies in keiner Weise nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass die Beklagte zu 2. dem Beklagten zu 1. in diesem Verfahren immerhin einen versuchten vorwirft. Wenn der Beklagte zu 1. dieser Vorwurf als unberechtigt empfunden hätte, hätte es aus Sicht eines Außenstehenden nahe gelegen, dass er sich schriftlich dagegen wehrt oder zumindest zum Termin, zu dem er geladen ist, erscheint, um zu versuchen, die Vorwürfe auszuräumen.

Rechtsanwalt Dieter Ferner (Fachanwalt für Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Dieter Ferner (Fachanwalt für Strafrecht)

Rechtsanwalt Dieter Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht und Anwalt in der Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf. Spezialgebiete von RA DF: Verkehrsstrafrecht, Kapitalstrafsachen, Drogendelikte, Sexualstrafrecht und Arbeitsstrafrecht.

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