Mit Urteil vom 15. Januar 2025 (Az. 5 AZR 135/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung zur Annahmeverzugsvergütung weiter präzisiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, unter welchen Umständen ein gekündigter Arbeitnehmer seine Vergütungsansprüche trotz fehlender Arbeitsleistung behält, insbesondere wenn er eine Weiterbeschäftigung zu veränderten Konditionen ablehnt. Die Entscheidung liefert bedeutsame Klarstellungen zu den Anforderungen an die Leistungsfähigkeit, zur Darlegungslast bei böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes und zur Zumutbarkeit von Änderungsangeboten im Lichte sozialrechtlicher Vergleichsmaßstäbe.
Der Streit um den Zwischenverdienst
Die Klägerin, eine langjährig beschäftigte Verwaltungsangestellte, war nach einer ordentlichen Änderungskündigung und späteren fristlosen Kündigung durch ihren Arbeitgeber über einen Zeitraum von fast zwei Jahren ohne Beschäftigung, jedoch arbeitsfähig gemeldet. Im laufenden Kündigungsschutzverfahren machte sie für diesen Zeitraum Annahmeverzugsvergütung geltend. Der Arbeitgeber berief sich auf eine fehlende Leistungsfähigkeit und warf der Klägerin zudem vor, sie habe böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, indem sie das Änderungsangebot ablehnte und sich nicht ausreichend um neue Arbeitsstellen bemüht habe.
Das Bundesarbeitsgericht gab der Klägerin letztlich in vollem Umfang Recht. Es bestätigte ihre Leistungsfähigkeit über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum und verwarf die Einwendung böswilligen Unterlassens, weil das Änderungsangebot eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen beinhaltete. Die angebotene Teilzeitstelle hätte netto weniger eingebracht als das bezogene Arbeitslosengeld – eine Beschäftigung, die aus Sicht des Gerichts während des Bezugszeitraums nicht zumutbar war. Auch das spätere Angebot einer Prozessbeschäftigung änderte daran nichts, da der Arbeitgeber zuvor eine fristlose Kündigung wegen eines angeblichen gravierenden Vertrauensbruchs ausgesprochen hatte und das Angebot nicht durch eine glaubhafte Rücknahme dieser Vorwürfe begleitet war.
Die rechtliche Tragweite
Das Urteil verdeutlicht, dass Annahmeverzugsvergütung nicht per se ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer Beschäftigungsangebote des bisherigen Arbeitgebers ausschlägt. Entscheidend ist die Zumutbarkeit des Angebots unter Berücksichtigung aller Umstände. Die Gerichte prüfen dabei insbesondere, ob die angebotene Tätigkeit wirtschaftlich schlechter gestellt ist als der Bezug von Arbeitslosengeld I, ob die angebotenen Aufgaben der bisherigen Tätigkeit entsprechen, und ob der Arbeitgeber durch frühere Kündigungen oder schwerwiegende Vorwürfe das Vertrauensverhältnis bereits nachhaltig erschüttert hat.
Gleichzeitig differenziert das BAG klar zwischen den sozialrechtlichen Handlungspflichten gegenüber der Agentur für Arbeit und den arbeitsrechtlichen Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitgeber. Während im Sozialrecht umfassende Mitwirkungspflichten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit bestehen, sind diese nicht ohne Weiteres auf das Arbeitsrecht übertragbar. Es geht nicht darum, den Arbeitnehmer als Teil einer versicherten Solidargemeinschaft zur Erwerbstätigkeit zu verpflichten, sondern um eine ausgewogene Interessenabwägung im Rahmen des individualrechtlichen Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, eine Tätigkeit zu schlechteren Bedingungen aufzunehmen, nur um den Arbeitgeber vor Zahlungspflichten zu bewahren, zumal auch für ihn das Risiko eines verlorenen Kündigungsschutzprozesses besteht.
Ergebnis
Das BAG setzt mit dieser Entscheidung ein klares Zeichen für die Grenzen arbeitsrechtlicher Obliegenheiten im Annahmeverzug und stärkt die Rechte von Arbeitnehmern im Kontext misslungener Kündigungen. Arbeitgeber können sich nicht allein durch theoretische Änderungsangebote oder pauschale Vorwürfe von der Vergütungspflicht befreien. Es bedarf substanzieller Angebote, realistischer Verdienstmöglichkeiten und eines Mindestmaßes an Vertrauensschutz – auch in der Auseinandersetzung. Die Kernaussage des Urteils lautet: Wer kündigt, trägt das Risiko – und kann nicht auf die Billigkeit des Gekündigten pochen, wenn das Vertrauensverhältnis irreparabel belastet ist.
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