Der Gesetzgeber möchte die anwaltlichen Gebühren anheben, im Schnitt um ca. 10%, was für Laien nach viel klingt, in der Praxis aber kaum Auswirkungen haben dürfte, da hiermit die Kostensteigerungen der letzten Jahre nicht einmal aufgefangen werden.
Am Rande möchte der Gesetzgeber aber noch etwas machen: Den Längenzuschlag für Pflichtverteidiger (endlich) gesetzlich regeln. Und geht damit vollkommen unbemerkt weiter den Weg der Aushöhlung der Rechte Angeklagter auf eine effektive Verteidigung.
Sicherlich werden schon bald die Stellungnahmen von Kammern und Anwaltsverein kommen, ich hoffe, man bemerkt, was der Gesetzgeber versucht. Es wird erst einmal unscheinbar folgender neuer Absatz 3 an die Vorbemerkung 4.1 im VV RVG angefügt:
Kommt es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung an, so sind Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen. Dies gilt nicht für Wartezeiten und Unterbrechungen, die der Rechtsanwalt zu vertreten hat, sowie für Unterbrechungen von jeweils mehr als einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden.
Richtig ist, dass inzwischen teilweise sehr im Klein Klein umstritten ist, wie man mit Pausen umgeht – insoweit sicherlich zu Begrüßen ist es, wenn man dies nun regelt. Doch die Auswirkungen dieser Regelung dürften sich zu einem Desaster für Angeklagte in Pflichtverteidigungen entwickeln, wenn man auf die Details blickt:
- Es wird darauf geblickt wer die Pause „zu vertreten“ hat. Das bedeutet, wenn der Anwalt eine kausale Ursache für die Unterbrechung ist, riskiert er seinen Längenzuschlag (dazu sogleich).
- Darüber hinaus ist jede Pause die länger als 1 Stunde dauert ein Grund, dies herauszubrechen. Soweit die Fortsetzung angeordnet werden muss und damit offensichtlich das Ende des Hauptverhgandlungstages gemeint sein soll ist das wenig hilfreich, da inzwischen in Verfahren selbst Mittagspausen mit Fortsetzungszeitpunkt zu Protokoll genommen werden. Hier bietet sich ein perfides Mittel der Sanktionieren von Anwälten.
Pflichtverteidiger zum Zeitsparen animiert
Es grenzt an die Perversion des rechtsstaatlichen Prozesses, dass nun Pausen für die sich der Verteidiger „verantwortlich“ zeigt zu geringen Gebühren führen können. So kann etwa plötzlich aufgetretener Besprechungsbedarf mit dem Mandanten nun dazu führen, dass der Längenzuschlag gefährdet ist (so auch ausdrücklich die Gesetzesbegründung ab Seite 63):
Wird beispielsweise die Sitzung auf Antrag der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts unterbrochen, weil eine Besprechung mit dem Mandanten erforderlich ist, handelt es sich insoweit um Vorbereitungsaufwand für den (fortzusetzenden) Termin, der bereits über die Grundterminsgebühr (ohne Längenzuschlag) abgegolten wird.
Genau: Die pauschal 160 Euro Grundgebühr, für die man bereits die Akte gelesen und sich vorher mit dem Mandanten besprochen hat, soll nun auch den gesamten Besprechungsbedarf während der Hauptverhandlung abdecken. Das mag bei kleinen Sachen beim AG nun wirklich egal sein, aber in ernsthaften Strafverfahren vor der Kammer, geschweige denn in Wirtschaftsstrafsachen mit dutzenden Verhandlungstagen, wo quasi stündlich neuer Beratungsbedarf aufploppt, wird der Mandant schnell merken, ob der Verteidiger wirklich mit 160 Euro pauschal für Dutzende Stunden Besprechungsbedarf zufrieden ist – oder anfängt „Zeit zu sparen“.
Endlich wird nun der Traum des Gesetzgebers war: Wegen der rigiden Einziehung im Strafverfahren haben ohnehin immer weniger Menschen Geld, einen Strafverteidiger ihrer Wahl zu bezahlen; zugleich sind die Gebühren für Pflichtverteidiger massiv gekürzt, was es nochmals erschwert. Und nun bringt man die Pflichtverteidiger in die Position, auch noch bei jedem Besprechungsbedarf oder schriftlich spontan vorzubereitenden Beweisantrag (!) abzuwägen, ob es sinnvoll ist, eine Pause zu beantragen – oder wenigstens jeglichen Bedarf zu schieben bis die ersten 5 Stunden für den Längenzuschlag erreicht sind. So oder so: Es leiden die Mandanten und deren Rechte am Ende massiv.
Sanktionspotential für Gerichte
Noch perfider wird es bei der Pausenregelung, diese ist quasi die Einladung für die Gerichte, Verteidiger im stillen zu sanktionieren: Eine Pause, die länger als 1 Stunde dauert, zählt nicht bei der Länge der Hauptverhandlung. Eine teilweise Anrechnung gibt es nicht, was heisst, dass bereits eine 61 Minütige Pause – wenn sie von Anfang an so angesetzt war – dazu führt, dass der Verteidiger unbezahlt herumsitzt. Welches böswillige Gericht soll denn nun bitte nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, bei angenehmen Verteidigern die bis zu 60 Minuten zu pausieren die berücksichtigt werden, während proaktiv verteidigende Kollegen dann mit 70 Minuten Mittagspause konfrontiert sind? Dabei bietet es sich doch sogar gerade an, dass ein kaltblütig lächelnder Vorsitzender unter Hinweis auf den anstrengenden Vormittag eben länger als 60 Minuten pausiert und damit subtil klar macht, wer hier an der längeren Leine sitzt.
Erosion des Rechts auf effektive Verteidigung
Es ist ein Menschenrecht, ein faires Verfahren zu erhalten, zu dem auch eine effektive Verteidigung gehört. Zunehmend ist seit Jahren zu beobachten, wie der Gesetzgeber dies gewollt und zielgerichtet unterläuft, indem er ernsthafte Verteidigung für (Pflicht-)Verteidiger zunehmend finanziell unattraktiv macht – bis hin zur existenziellen Gefährdung. Mit zu geringen Pauschalsätzen, explodierenden Lohnkosten und zugleich steigenden Kosten der eigenen sozialen Absicherung drängt immer mehr die Geldfrage bei Strafverteidigern. Es wird im Ergebnis sehenden Auges durch den Staat zugesehen, wie sich eine Zweiklassen-Strafverteidigung in diesem Land herausbilden kann – und wird.