Filesharing-Abmahnung: Amtsgericht zur Berechnung des Schadens und Weiterverbreitung

Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt (8 C 1023/15) hat sich mit sehr sauberer Mathematik und technischen Kenntnissen zur Frage der Weiterverbreitung beim Filesharing befasst. Die Entscheidung überzeugt mich in diesem Aspekt – erstmals – unter allen Entscheidungen die ich bisher zum Thema lesen durfte bzw. musste. Dabei geht es mir ausdrücklich nicht um das Ergebnis, sondern darum, wie das Gericht argumentiert hat. So manche „Spezialkammer“ im Bundesgebiet mag sich hier eine Scheibe abschneiden und die pauschale mit der Realität nicht vereinbare Praxis der des Schadensersatzes bedenken. Andererseits übe ich am Ende auch Kritik, da der konkret gefundene Schadensersatz wiederum schwer nachvollziehbar berechnet wird.

Allgemeines zur Weiterverbreitung

Als erstes geht es dem Gericht um die Weiterverbreitung und die Frage, wie sich in der Weiterverbreitungskette der einzelne Nutzer auswirkt. Dabei begehen bisher unisono alle Gerichte den Fehler, denjenigen der teilweise zum Download beisteuer so zu behandeln, als würde er den Download 1:1 weitergeben. Dies mag beim Blick auf den Einzelnen noch irgendwo praktischen Gründen geschuldet sein, führt aber im Ergebnis dazu, dass die Rechteinhaber am Ende jeden der Teile eines Werks weiterverbreitet und wo am Ende nur eine einheitliche Weiterverbreitung vorliegt, so behandeln, als würde das Werk mehrfach vollständig weitergegeben. Der Schadensersatz – nicht die Verletzungshandlung – wird daher mit der aktuellen Rechtsprechung einseitig zu Gunsten der Rechteinhaber potenziert.

Dies greift das Amtsgericht nun endlich einmal mit sauberem logischen Denken auf:

Das Zurverfügungstellen einer – wie hier – urheberrechtlich geschützten Datei ist ein von den Nutzern einer Tauschbörse in Kauf genommener Reflex darauf, dass sie selbst die Datei herunterladen.

Jede Internetverbindung ist im Stande, Daten herunterzuladen und hochzuladen. Die hierbei erreichten Geschwindigkeiten werden in „kBit pro Sekunde“ oder „MBit pro Sekunde“ angegeben. Hieraus resultieren bekannte Bezeichnungen wie „DSL 16.000“, wobei mit der Zahl stets die für die meisten Nutzer relevante Downloadgeschwindigkeit wiedergegeben wird. Nach der Norm IEC 60027-2 wurden die früheren Umrechnungsgrößen von 1.024 als „Binärpräfixe“ nicht mehr marktüblich und stattdessen die sog. „SI-Präfixe“ mit einer Umrechnungsgröße von 1.000 eingeführt, sodass folgende Umrechnungsgrößen gelten: 8 Bit sind ein Byte, 1.000 Byte sind ein Kilobyte, 1.000 Kilobyte sind ein Megabyte, 1.000 Megabyte sind ein Gigabyte; 1.000 Bit sind ein Kilobit („kBit“), 1.000 Kilobit sind ein ein Megabit („MBit“).

Tauschbörsen funktionieren so, dass sie Dateien, die sich in einem bestimmten Computerordner befinden, anderen Nutzern der Tauschbörsensoftware zum Herunterladen anbieten. In diesen Computerordner werden zugleich Dateien gespeichert, die der Nutzer von anderen Nutzern herunterlädt. Das führt dazu, dass jeder, der eine Datei herunterlädt, diejenigen Teile der Datei, die er bereits erfolgreich heruntergeladen hat, seinerseits wiederum anderen Nutzern zum Download anbietet.

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Downloads der Datei verbleibt sie in demselben Computerordner und kann – erst jetzt – von dort manuell in einen anderen Ordner verschoben werden. Regelmäßig verschieben Nutzer zeitnah nach Abschluss des Downloads die fertig heruntergeladene Datei in einen anderen Ordner, um zu verhindern, dass sie von der Tauschbörsensoftware weiterhin anderen Nutzern angeboten wird. Denn dieses „Anbieten“ der Datei erfordert stets neben den Hochlade-Kapazitäten aus technischen Gründen auch in geringem Umfang Herunterlade-Kapazitäten der Internetverbindung, die die Nutzer anderweitig – nämlich für ihre eigenen Downloads – bevorzugt nutzen.

Die Geschwindigkeit, mit der Daten über die Internetverbindung hochgeladen – und damit anderen Nutzern der Tauschbörse zur Verfügung gestellt – werden, liegt regelmäßig etwa bei 10% der Downloadgeschwindigkeit des Anschlusses (sog. „asymmetrische Bandbreite“). Das bedeutet, dass in der Zeit, in der ein urheberrechtlich geschützter Titel mit maximaler Internetgeschwindigkeit heruntergeladen wird, technisch maximal 10% des Titels anderen Nutzern zur Verfügung gestellt werden können. Dabei ist die Menge der Daten, die ein Nutzer anderen anbieten kann, stets die gleiche. D.h. je mehr Nutzer von dem PC eines anderen Daten herunterladen, desto geringer ist die Datenmenge, die jeder von ihm erhält, weil sich der Runterladende die Internet-Hochlade-Bandbreite mit anderen teilen muss. Stets verbleibt es daher, unabhängig von der Zahl der Nutzer, die von einem Urheberrechtsverletzer Daten heruntergeladen, dabei, dass der Verletzer insgesamt nicht mehr als 10% der Datei hochgeladen und damit anderen zur Verfügung gestellt haben kann.

Um in einer Tauschbörse mit voller Bandbreite herunterzuladen, ist es im Umkehrschluss erforderlich, dass pro Nutzer, der eine Datei herunterladen will, 10 Nutzer erforderlich sind, die die gewünschte Datei zum Download bereit halten. Oftmals fehlt es an dieser Zahl der Nutzer, die eine bestimmte Datei zum Download anbieten, sodass die gesamte Bandbreite eines Internetanschlusses, mit dem ein Nutzer eine gewünschte Datei von anderen Nutzern herunterlädt, zwangsläufig nicht ausgeschöpft wird. Vor diesem Hintergrund ist es regelmäßig – schätzungsweise in etwa 50% der Fälle – so, dass der Download großer Dateien wie von Filmen, Software oder Spielen vor deren Abschluss abgebrochen wird. Das führt auch dazu, dass diese Dateien nach Downloadabbruch und Löschung anderen Nutzern nicht mehr zum Download angeboten werden. Gleichzeitig wird etwa die andere Hälfte der Nutzer eine langsamere Download-Geschwindigkeit in Kauf nehmen, um die begehrte Datei zu erhalten, sodass sie auch die bereits heruntergeladenen Teile der Datei ihrerseits doppelt so lange zum Download anbietet. Daher heben sich diese Effekte gegenseitig auf.

Ausgehend hiervon wird die Datenmenge, die ein Nutzer zum Download angeboten hat, während er eine Datei heruntergeladen hat, bei den anfänglich ausgeführten 10% der Datei liegen. Hat eine Datei wie ein Film, ein oder eine Software einen Umfang von mehreren Gigabyte, kann hierauf ein Aufschlag von etwa 2% vorgenommen werden. Er ist dadurch begründet, dass eine gewisse – regelmäßig kurze – Zeit zwischen Fertigstellung des Downloads und dem manuellen Verschieben der Datei aus dem Download-Ordner verstreichen wird, innerhalb derer die Datei weiterhin anderen Nutzern angeboten wird. Der Aufschlag ist jedoch bei Musiktiteln, die nur wenige Megabyte groß sind, mit etwa 50% anzusetzen, weil bei ähnlichem, regelmäßig jedoch kürzerem Zeitablauf, zwischen Fertigstellung und Verschieben der Datei aus dem Download-Ordner der Musiktitel wesentlich häufiger heruntergeladen werden kann.

Umrechnung auf den konkreten Fall

Nun geht das Gericht den Weg und rechnet von seinen allgemeinen Ausführungen ausgehend für einen konkreten Anschluss die Weiterverbreitung aus:

Im vorliegenden Fall verfügte der Beklagte über einen DSL 6.000-Anschluss von „A…“ bzw. der T… Germany GmbH & Co. OHG. Seine Hochlade-Geschwindigkeit („Upload-Geschwindigkeit“) betrug 576 Kilobit pro Sekunde (http://www.dsl-isdn-anbieter.de/DSL-6000.htm, Abruf am 11.08.2015) und damit in etwa die vorgenannten 10% seiner Downloadgeschwindigkeit, sodass der Ansatz der insgesamt 12% des Filmwerks, die maximal über seinen Internetanschluss dritten Nutzern der Tauschbörse angeboten worden sein werden, angemessen ist.

Darstellung der Rechtslage

Diese Ausführungen sieht das Amtsgericht in der weiteren Rechtsprechung bestätigt:

Auch das Amtsgericht Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 03.06.2014 – 57 C 3122/13 (…) zu Recht bei der Bemessung des Schadensersatzes nach der auf die Anzahl der möglichen Vervielfältigungen des Werks abgestellt, die während des Downloads technisch möglich waren. Zu Recht hat es ferner in einer späteren Entscheidung davon Abstand genommen, jedem einzelnen Nutzer das Risiko unbegrenzter Weiterverbreitung zuzurechnen (AG Düsseldorf, Urteil vom 28.04.2015 – 57 C 9342/14 (…) Allerdings haftet ein Schädiger grundsätzlich auch, wenn ein Dritter eingreift und dadurch ein Schaden entsteht oder sich vergrößert. Das gilt grundsätzlich auch, wenn die Schadensvergrößerung durch vorsätzliches Verhalten verursacht wird (BGH, Urteil vom 16.02.1972 – VI ZR 128/70 (…) und insbesondere dann, wenn sich die gesteigerte Gefahrenlage, die durch das schädigende Ereignis entstanden ist, im Schaden verwirklicht (BGH, Urteil vom 30.06.1987 – VI ZR 257/86 (…) Der Erstschädiger hat sich die Rechtsgutsverletzung oder Verschlimmerung der Rechtsgutsverletzung des Zweitschädigers zurechnen lassen, wenn der Zweitschädiger nicht in völlig ungewöhnlicher Weise in den vom Erstschädiger in Gang gesetzten Kausalverlauf eingegriffen hat (BGH, Urteil vom 28.01.1986 – VI ZR 83/85 (…)

Konkrete Berechnung der Verantwortung

Und nun tut das Gericht, was Juristen generell schwer zu fallen scheint: Es rechnet. Und zwar rechnet es richtig, wobei dies in Zahlen dann zunehmend geringer wird und eben nicht – wie etwa in Köln – höher:

Ausgehend von diesen Grundsätzen muss sich der Verletzer bei Nutzung einer Tauschbörse, der deren Funktionsweise kennt und billigend in Kauf nimmt, dass während seines eigenen Downloads eines urheberrechtlich geschützten Werkes andere von ihm dieses Werk herunterladen, auch zurechnen lassen, dass diese anderen ihrerseits wiederum weiteren Nutzern das Werk zum Download anbieten und damit selbst das Urheberrecht durch weitere Vervielfältigungen verletzen.

Rechnerisch ist der durch den Nutzer verursachte Schaden jedoch begrenzt: Ermöglicht er während seines eigenen Downloads, dass ein anderer oder in der Summe mehrere andere 12% der urheberrechtlich geschützten Datei von ihm heruntergeladen und diese die Datei im Umfang von 12% von den Zweitschädigern abermals im Umfang von 12% angeboten wird, ergibt sich also für diesen „Zweit-Upload“ eine Verantwortlichkeit im Umfang von 1,44 % (0,12 x 0,12), denn nur in diesem Umfang ist der „Zweit-Upload“ technisch auf den Erstschädiger zurückzuführen. Dafür, dass diese Dritten ihrerseits wiederum Teile anbieten, die letztlich vom Erstschädiger stammen, haftet er ebenfalls, nämlich im Umfang von 0,173% (0,12 x 0,12 x 0,12). Die weiteren „Stufen“ der Schädiger sind mathematisch vernachlässigbar, sodass ein Umfang von letztlich gerundet etwa 13,62 % (12% + 1,44% + 0,173%, aufgerundet wegen weiterer „Stufen“) der Datei, an der das Urheberrecht besteht, vom Erstschädiger verbreitet wird.

Bei Musik-Downloads ergibt sich bei gleicher Rechnung ein Schaden von 60% für den ersten Upload, weiteren 36 % (0,6 x 0,6) für den „Zweit-Upload“, weiteren 21,6 % (0,6^3) für den „Dritt-Upload“, weiteren 12,96 % (0,6^4) für den „Viert-Upload“, weiteren 7,776 % (0,6^5) für den „Fünft-Upload“, weiteren 4,6656 % (0,6^6) für den „Sechst-Upload“ und weiteren 2,799 % (0,6^7) für den „Siebt-Upload“, zusammen gerundet unter Berücksichtigung weiterer Stufen etwa 150%.

Was wäre als Schadensersatz zu zahlen

Dann macht das Gericht, was Gerichte gerne vergessen – nämlich es macht sich Gedanken, was objektive Vertragsparteien für diese objektivierbaren Umstände vereinbart hätten. Hier neigen Landgerichte dazu, ständig die einseitigen Vorstellungen der Rechteinhaber heranzuziehen, was mit dem BGH aber gerade nicht zu machen ist. Das Amtsgericht kommt dann zu dem Schluss, dass man entsprechend der prozentualen Weiterverbreitung anteilig vom Ladenpreis den Schaden berechnen müsse:

Nunmehr hat der in seiner bisher nur als Pressemitteilung veröffentlichten Entscheidung vom 11.06.2015 – I ZR 7/14 angenommen, „das Berufungsgericht [sei] rechtsfehlerfrei von einem Betrag von 200 Euro für jeden der insgesamt 15 in die Schadensberechnung einbezogenen Musiktitel ausgegangen“. Die Vorinstanz, das OLG Köln, hatte sich mit Urteil vom 06.12.2013 – I-6 U 96/13, 6 U 96/13 (…) mit Recht bei seiner Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO an den verkehrsüblichen Entgeltsätzen für legale Downloadangebote im Internet orientiert, die von einem Betrag von 0,50 € pro Abruf bei Musikaufnahmen ausgehen (aaO. Rn. 16). Soweit das OLG Köln jedoch ferner davon ausgegangen war, es seien „mindestens 400“ Abrufe durch unbekannte Tauschbörsenteilnehmer erfolgt (Rn. 16) und für diese technische Auffassung seine vorangehende Entscheidung vom 23.03.2012 – I-6 U 67/11, 6 U 67/11 (…) zitiert hat, in der es der Auffassung einer Rechteinhaberin folgend von mindestens 400 Zugriffen auf den illegal angebotenen Musiktitel ausgegangen ist, ist die dortige Begründung technisch nicht haltbar. Technisch maßgeblich ist allein, wie lange ein Musiktitel bei welcher Uploadgeschwindigkeit von dem Verletzer des Urheberrechts in der Tauschbörse zum Download angeboten wurde. Diese Faktoren miteinander multipliziert ergeben die maximale Zahl der Downloads (nicht: „Zugriffe“) des Titels vom Verletzer. Wie viele Einzelzugriffe in einem bestimmten – nicht nachvollziehbar begründeten – Zeitraum insgesamt registriert worden sind, ist technisch ohne Belang (so aber OLG Köln aaO. Rn. 42) (…)

Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen kann der Klägerin ein Schaden entstanden sein, den ihr der Beklagte hätte – nach der Lizenzanalogie – entrichten müssen, wenn er von ihr die Erlaubnis erworben hätte, 13,62 % des von ihr angebotenen Titels einem anderen zur Verfügung zu stellen. Selbst wenn die Klägerin derartige Rechte nicht mit den errechneten Quoten vertreibt, hätten vernünftige Lizenzvertragsparteien für die Nutzungsrechtseinräumung als Lizenzgebühr im Zweifel exakt 13,62 % des Ladenpreises des streitgegenständlichen Filmwerks vereinbart. Das Filmwerk hat einen Ladenpreis von 14,99 €, sodass sich die Lizenzgebühr rechnerisch auf 2,04 € belaufen würde. Ob man diese Gebühr ansetzt oder davon ausgeht, zumindest der Ladenpreis für eine sei geschuldet, kann hier dahinstehen.

Fazit

Bis auf den letzten Punkt ist die Entscheidung stringent und überzeugend – erstmalig. Schwieriger ist am Ende die konkrete Bemessung des Schadensersatzes, hier ist ausdrücklich diskutabel, ob das Ansetzen am Ladenpreis wirklich der richtige Weg ist. Auch schlicht die Weiterverbreitungsquote als quotenmäßigen Schadensersatz heranzuziehen ist nicht auf Anhieb zugänglich. Man wird vielmehr, wenn man einen nachvollziehbaren Weg der Rekonstruktion einer Verbreitungsquote gefunden hat, überlegen müssen ob der Gesamtschaden nicht wenn, dann die Gesamtzahl reproduzierter Kopien wäre, was dann vielleicht anteilig zu errechnen wäre. Dieses Urteil sehe ich in der Argumentation daher als ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung, am Ende fehlt dann halt noch der letzte Schritt zur nachvollziehbaren Berechnung.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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