Unternehmens-OWI: Organisationsverschulden braucht eine konkrete Person

BayObLG zur Zurechnungsstruktur nach § 30 OWiG bei der Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person: Die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten gegen juristische Personen ist im deutschen Recht seit jeher ein juristischer Sonderfall. Denn: Sanktioniert wird nicht etwa ein eigenes Handeln der juristischen Person, sondern das Fehlverhalten einer natürlichen Leitungsperson, das dieser gemäß § 30 Abs. 1 OWiG zugerechnet wird. Dass die praktische Anwendung dieser Vorschrift anspruchsvoll bleibt, zeigt ein aktueller Beschluss des BayObLG vom 7. Juli 2025 (202 ObOWi 278/25).

Das Gericht hebt darin eine amtsgerichtliche Entscheidung auf, weil das Urteil keine hinreichend konkreten Feststellungen zu den Zurechnungsvoraussetzungen enthält. Die Entscheidung ist ein lehrbuchartiges Beispiel für die dogmatischen und prozessualen Anforderungen an die Sanktionierung von Unternehmen im Ordnungswidrigkeitenrecht – und eine klare Mahnung zu rechtsstaatlicher Präzision im Unternehmensbußgeldverfahren.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens war eine rumänische Gesellschaft mit beschränkter Haftung (SRL), die im Bereich des internationalen Autotransports tätig ist. Das Unternehmen war Halterin eines Sattelzugs, der mit neun Fahrzeugen überladen und ohne die erforderliche Sondergenehmigung durch Deutschland fuhr. Bei einer Kontrolle wurde eine Überschreitung der zulässigen Gespannlänge um 1,63 Meter festgestellt. Das Amtsgericht verhängte daraufhin gegen die juristische Person eine Geldbuße in Höhe von 2.850 Euro. Zur Begründung führte es aus, der Transport sei von der Betroffenen selbst bzw. ihren verantwortlichen Personen beauftragt worden, obwohl bekannt gewesen sei, dass eine Überschreitung der zulässigen Länge in Deutschland nicht erlaubt sei. Eine konkrete Person, die für das ordnungswidrige Verhalten verantwortlich war, wurde im Urteil jedoch nicht benannt.

Rechtliche Würdigung

Zurechnungsstruktur des § 30 OWiG

Zentraler dogmatischer Ausgangspunkt ist § 30 Abs. 1 OWiG. Die Norm erlaubt es, eine Geldbuße gegen juristische Personen festzusetzen, wenn eine Leitungsperson im Sinne des Gesetzes eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die entweder Pflichten der Organisation verletzt oder diese bereichert worden ist. Erforderlich ist somit stets:

  1. eine Anlasstat,
  2. begangen durch eine konkret bestimmbare Leitungsperson,
  3. ein Zurechnungszusammenhang zwischen Handlung und Organisation.

Das BayObLG stellt klar, dass allein die Stellung als gesetzlicher Vertreter – etwa als Geschäftsführer – nicht genügt. Es muss vielmehr festgestellt und begründet werden, welche konkrete natürliche Person welche Pflichtverletzung begangen hat und warum dies der Organisation zurechenbar ist.

Kritik an den Urteilsgründen des Amtsgerichts

Das angegriffene Urteil genügte diesen Anforderungen nicht. Zwar wurde ein Geschäftsführer namentlich benannt, jedoch fehlte jede Feststellung dazu, ob und wie genau dieser in die Disposition des überlangen Transports eingebunden war. Vage Formulierungen wie „der Betroffenen bzw. den für sie handelnden Personen war bekannt“ reichen dem BayObLG nicht aus. Solche Wendungen seien auslegungsbedürftig, geben aber keine tragfähige Antwort auf die Frage, wer konkret gehandelt oder unterlassen hat und mit welcher inneren Haltung. Auch die Ausführungen zum Vorsatz seien unzureichend. Es genüge nicht, auf angebliche Aussagen eines nicht einvernommenen Fahrers oder auf pauschale Kenntnisse von Disponenten zu verweisen, deren Identität und Verantwortung innerhalb des Unternehmens unklar bleiben.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Das Gericht erinnert in diesem Zusammenhang an die ständige Rechtsprechung, wonach auch im Bußgeldverfahren die Urteilsgründe so beschaffen sein müssen, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht eine sachlich-rechtliche Überprüfung ermöglichen. Dazu bedarf es einer nachvollziehbaren und auf tatsächliche Ergebnisse der Beweisaufnahme gestützten Argumentation. Insbesondere die Frage der Leitungspersonenzurechnung ist in § 30 OWiG konstitutiv und darf nicht summarisch behandelt werden.

Prozessuale Konsequenz: Aufhebung und Zurückverweisung

Mangels tragfähiger Feststellungen zum Zurechnungstatbestand hob das BayObLG das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück. Die Feststellungen zur objektiven Anlasstat – also zur tatsächlichen Durchführung des überlangen Transports – blieben indes bestehen. Denn insoweit war der Sachverhalt ausreichend belegt und durch die aufgezeigte Rechtsverletzung nicht berührt. Die Festsetzung der Geldbuße gegen die juristische Person ist somit nicht ausgeschlossen, bedarf aber einer tragfähigen Feststellung zur pflichtwidrig handelnden Leitungsperson.

Schlussbetrachtung

Der Beschluss des BayObLG unterstreicht in bemerkenswerter Deutlichkeit, dass § 30 OWiG kein Freibrief für eine organisationsbezogene Sanktionierung auf Verdacht ist. Die Zurechnung fremden Fehlverhaltens an eine juristische Person bedarf einer sorgfältigen, personell und sachlich konkretisierten Feststellung. Pauschale Formeln oder der Rückgriff auf mutmaßliche interne Zuständigkeiten reichen nicht. Damit stärkt das Gericht die rechtsstaatlichen Anforderungen an Bußgeldentscheidungen gegen Unternehmen und betont zugleich die Verantwortung der Justiz, im Unternehmenssanktionsrecht dieselben Maßstäbe an Rechtsklarheit und Beweiswürdigung anzulegen wie im Individualstrafrecht.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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Unsere Anwaltskanzlei ist spezialisiert auf Strafverteidigung, Cybercrime, Wirtschaftsstrafrecht samt Steuerstrafrecht sowie IT-Recht und Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen übernommen - wir sind im Raum Aachen zu finden und bundesweit tätig.
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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