Systematik der Konkurrenzen bei mitgliedschaftlicher Beteiligung

BGH zur Abgrenzung im Kontext krimineller und terroristischer Vereinigungen: Die strafrechtliche Beurteilung mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen (§ 129 StGB) oder terroristischen Vereinigung (§§ 129a, 129b StGB) stellt in der Praxis und Dogmatik nicht nur hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen, sondern auch im Hinblick auf die Konkurrenzverhältnisse eine erhebliche Herausforderung dar.

Mit Beschluss vom 19. September 2024 (Az. 3 StR 189/24) konkretisiert der Bundesgerichtshof, wie die mitgliedschaftliche Beteiligung zu selbstständig verwirklichten Straftaten einzelner Mitglieder in ein konkurrenzrechtliches Gesamtgefüge einzubetten ist. Der Senat präzisiert dabei zugleich die Abgrenzung zur Beihilfe und vertieft die Linie seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 129 StGB und der daraus abgeleiteten Rechtsfigur der „Zurechnungszusammenhänge“.

Sachverhalt

Dem Verfahren lag die Revision eines Angeklagten zugrunde, der wegen seiner Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie wegen weiterer durch ihn (teils mit anderen Mitgliedern) begangener Straftaten verurteilt worden war. Das Tatgericht hatte die mitgliedschaftliche Beteiligung an der Vereinigung als selbständigen Strafausspruch gewertet und von den weiteren abgeurteilten Delikten abgetrennt – darunter Körperverletzungen und Sachbeschädigungen im Rahmen von Gruppeneinsätzen. Die Revisionsbegründung kritisierte insbesondere eine fehlerhafte Konkurrenzbeurteilung.

Juristische Kernfragen

1. Eigenständiger Unrechtsgehalt der mitgliedschaftlichen Beteiligung

Der Senat bekräftigt zunächst, dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung ein eigenständiges, von konkreten Einzeltaten ablösbares Unrecht darstellt. Der Schutzgutbezug richtet sich primär auf den Bestand und die Gefährlichkeit der Organisation als solcher. Die Strafbarkeit knüpft daher nicht – wie bei der Beihilfe – an die Haupttat an, sondern an die organisatorisch eingebundene Tätigkeit im Verbandsrahmen. Dieses Delikt ist folglich nicht akzessorisch, sondern eigenständig.

Für die konkurrenzrechtliche Bewertung bedeutet das: Die mitgliedschaftliche Beteiligung steht grundsätzlich selbstständig neben den Delikten, die im Rahmen oder im Umfeld der Organisation verwirklicht werden. Auch wenn beide Phänomene denselben personellen oder sachlichen Zusammenhang aufweisen, ist das Unrecht nicht identisch. Es ist daher weder ein Fall der Tateinheit noch der Bewertungseinheit im Sinne einer subsidiären Auslegung gegeben.

2. Keine Subsidiarität zur Tatbegehung

Der BGH stellt klar, dass ein Rückgriff auf das Konkurrenzmodell der „Subsidiarität“ unangebracht ist. Zwar kann die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung eine gewisse Vorwirkung auf die spätere Begehung von Delikten entfalten – etwa durch strategische Vorbereitung, ideologische Unterstützung oder Bereitstellung organisatorischer Infrastruktur. Dennoch bleibt sie ein eigenständiger Straftatbestand, der nicht von der Erfolgsverwirklichung konkreter Einzeltaten abhängt. Die mitgliedschaftliche Beteiligung erschöpft sich nicht in der Vorbereitung anderer Delikte, sondern besitzt eigenen Unwertgehalt, der auch bei Tatidentität strafrechtlich autonom zu würdigen ist.

3. Keine Bewertungseinheit mit Individualtaten anderer Mitglieder

Eine zentrale dogmatische Frage betrifft die Reichweite der sogenannten Zurechnungszusammenhänge: Ist die mitgliedschaftliche Beteiligung einem Mitglied zurechenbar, wenn ein anderes Mitglied eine Straftat begeht? Hier zieht der BGH eine klare Linie: Die mitgliedschaftliche Beteiligung begründet keine Zurechnung von Einzeltaten anderer Mitglieder über § 25 Abs. 2 oder § 27 StGB hinaus. Es ist zu differenzieren zwischen strafrechtlicher Mitverantwortung auf Grundlage gemeinsamer Tatbegehung oder Beihilfe einerseits – und bloßer Zugehörigkeit zur Gruppe andererseits. Letztere reicht nicht aus, um aus einer Tat eines Dritten eine faktisch gemeinschaftlich begangene Tat zu machen. Die Konsequenz: Die Strafbarkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung bleibt von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für konkrete Taten anderer Mitglieder getrennt.

4. Konkurrenzrechtliche Einordnung

In der konkreten Fallkonstellation hätte das Tatgericht daher die mitgliedschaftliche Beteiligung gesondert bewerten und nicht etwa in Bewertungseinheit mit konkret begangenen Straftaten setzen dürfen. Das hat zur Folge, dass jede Tat – sowohl die Mitgliedschaft als auch jede durch den Angeklagten individuell verwirklichte Handlung – im Schuldspruch und bei der Strafzumessung als selbstständige Tat zu behandeln ist.

Dabei betont der Senat die gebotene Systematik: Das Konkurrenzverhältnis ist auf Grundlage des Unrechtsgehalts zu bestimmen, nicht allein nach dem äußeren Geschehenszusammenhang. Auch bei kongruenten Handlungsabschnitten bleibt die materiell-rechtliche Trennung gewahrt, solange die einzelnen Delikte unterschiedliche Schutzrichtungen oder Handlungsformen aufweisen.

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Die Erkenntnis dieser Entscheidung liegt in der normdogmatischen Klärung: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ist keine Verlängerung der Beihilfe, sondern ein eigener Straftatbestand mit eigener Funktion im strafrechtlichen Normgefüge – und ist demzufolge auch als solcher zu sanktionieren.

Schlussfolgerung

Mit seinem Beschluss vertieft der Bundesgerichtshof nicht nur die juristische Trennschärfe zwischen mitgliedschaftlicher Beteiligung und Beteiligung an Einzeltaten, sondern schärft zugleich das Dogma der eigenständigen Strafbarkeit der Organisationsdelikte. Die Entscheidung stellt damit klar, dass § 129 StGB und seine terroristischen Pendants keine akzessorischen Hilfsdelikte sind, sondern eigenständige, im Konkurrenzverhältnis autonom zu behandelnde Straftaten.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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