Notwendige Feststellungen im Strafurteil: Beweiswürdigung in den Urteilsgründen

Beweiswürdigung im Strafurteil: Wir sind Beweise und Indizien im Strafurteil zu Würdigen? Hier gibt es viele Angriffspunkte – doch Der Bundesgerichtshof prüft nur wenn man den richtigen Einstieg findet.

Notwendige Feststellungen und Beweiswürdigung im Strafurteil: Ein Klassiker beim sind Urteile, die sich zu ausschweifend zur Beweisaufnahme oder Beweiswürdigung verhalten. Entgegen einer häufig verbreiteten Auffassung gilt beim Schreiben eines Strafurteils nämlich tatsächlich: Es kann auch zu viel sein.

Dabei ist an den Grundsatz des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO zu denken, demzufolge die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Die Sachverhaltsschilderung im Strafurteil soll ein geschlossenes Ganzes bilden und – ausdrücklich unter Weglassung alles unwesentlichen – kurz, klar und bestimmt sein.

Dabei verpflichten §§ 261 und 267 StPO den Tatrichter, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht. Die wesentlichen Beweiserwägungen müssen daher – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – in den schriftlichen Urteilsgründen so dargelegt werden, dass die tatgerichtliche Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler hin zu überprüfen ist (BGH, 4 StR 421/23).

Hier gilt, dass die für die Überzeugung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte klar und bestimmt im Rahmen einer „strukturierten, verstandesgemäß einsichtigen und auf das Wesentliche konzentrierten Darstellung“ nachvollziehbar niedergelegt werden.

Die Beweiswürdigung soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte, für die Schuld- und die Straffrage bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind wie geschehen

BGH, 4 StR 326/18 und 4 StR 102/20

Der Bundesgerichtshof hat dies in einer Entscheidung hervorragend auf den Punkt gebracht:

Die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 23. August 2012 – 1 StR 311/12 und vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 145/17; s. auch Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 350 mwN; Sander in Löwe/Rosenberg, , 26. Aufl., § 261 Rn. 58). Das Einrücken von Akteninhalt in die Urteilsgründe ersetzt diese wertende Auswahl zwischen Wesentlichem und Unwesentlichen nicht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17).

BGH, 1 StR 56/18

Grundsatz beim BGH: Das Urteil darf nicht zu lang sein

Der BGH macht gerne deutlich, dass er keine Lust hat, mit Informationen in Urteilen „überschwemmt“ zu werden. Und es ist daran zu denken, dass – von den Sonderfällen des § 267 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 StPO abgesehen – Verweisungen oder Bezugnahmen auf Schriftstücke oder anderer Erkenntnisquellen außerhalb des Urteils unzulässig sind, jedenfalls, sofern dadurch die gebotene eigene Sachdarstellung ersetzt werden soll.

Das Einrücken von Akteninhalt in die Urteilsgründe ersetzt diese wertende Auswahl zwischen Wesentlichem und Unwesentlichen nicht

BGH zur Beweiswürdigung im Strafurteil

So ist es regelmäßig verfehlt,

  • den Inhalt einer überwachten Kommunikation (Chats, E-Mails, Protokolle von Telefon- und Innenraumgesprächen) wörtlich oder auch nur in einer ausführlichen Inhaltsangabe wiederzugeben (siehe nur BGH, 3 StR 145/17 sowie speziell zu Kryptomessengern);
  • für jede einzelne Feststellung einen Beleg in den Urteilsgründen zu erbringen, denn auch dies stellt sich lediglich als Beweisdokumentation, nicht aber als Beweiswürdigung dar (ebenfalls ausdrücklich BGH, 3 StR 145/17 sowie kurz in BGH, 3 StR 111/17);
  • Blattzahlen von Urkunden aus der Gerichtsakte in den Urteilsgründen anzugeben, die in der verlesen wurden oder im in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, da es insoweit auf den Inbegriff der Hauptverhandlung ankommt (zumal dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Akteninhalts insoweit ohnehin verwehrt ist, so ausdrücklich BGH, 3 StR 111/17);
  • den Gang des Ermittlungsverfahrens im Urteil darzustellen – ein solcher Aufwand ist für den BGH nicht angezeigt und überfrachtet die Urteilsgründe, denn er verstellt den Blick auf ihren wesentlichen Inhalt, nämlich zu belegen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände, so wie geschehen, festgestellt worden sind (dazu BGH, 1 StR 311/12);
  • die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen aus der Hauptverhandlung in ihren Einzelheiten mitzuteilen (BGH, 3 StR 111/17 und 3 StR 179/15); erforderlich ist dies aber, wenn bei einem im Übrigen nicht eindeutigen Beweisergebnis einer Aussage entscheidende Bedeutung zukommen könnte und dem Revisionsgericht ohne Kenntnis ihres wesentlichen Inhalts die Prüfung verwehrt ist, ob im Rahmen der Beweiswürdigung alle wesentlichen Gesichtspunkte beachtet worden sind (BGH, 6 StR 401/21 und 6 StR 244/22);
  • besondere Anforderungen gelten bei Aussagen von Zeugen zur Täteridentifizierung
  • auch eine wörtliche Wiedergabe umfangreicher Vernehmungsprotokolle in den Urteilsgründen allein auf der Grundlage von Vorhalten gegenüber dem jeweiligen Vernehmungsbeamten ist schon für sich genommen rechtlich bedenklich (so ausdrücklich BGH, 2 StR 7/20).

Daher nochmals zusammenfassend: Es ist mit dem BGH rechtsfehlerhaft, die Beweisaufnahme in den Urteilsgründen zu dokumentieren. Vielmehr hat das Tatgericht die vorzutragende Einlassung des Angeklagten zusammen mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme in einer Gesamtschau so zu würdigen, dass das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung nachvollziehen kann (§ 261 StPO).

Diese unverzichtbare Gesamtwürdigung kann mit dem BGH gerade nicht dadurch ersetzt werden, dass etwa die Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen in der Art eines Wortprotokolls wiedergegeben oder Urkunden – wie verschriftlichte Gesprächsnotizen oder über Mobiltelefone ausgetauschte Nachrichten – vollständig zitiert werden; auch ist es verfehlt, über die Verteidigung schriftlich eingereichte Stellungnahmen im Urteil abzuschreiben. Vielmehr hat das Tatgericht den Tatsachenstoff durch Konzentration auf die entscheidenden Gesichtspunkte zu bewältigen und die Aussagen, Erklärungen und Urkunden ihrem wesentlichen Inhalt nach wiederzugeben und sodann miteinander zu vergleichen (BGH, 1 StR 92/23).


Würdigung von Indizien

Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln: Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen:

Ein auf einen feststehenden Kern gestütztes Beweisanzeichen, dessen Bedeutung für sich genommen unklar bleibt, darf nicht nur isoliert beurteilt werden. Beweisanzeichen können in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen …

BGH, 2 StR 50/21

Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt.


Erst durch die Gesamtwürdigung zusammen mit den weiteren Beweisergebnissen entfalten Einzelindizien ihr wahres Beweisgewicht

BGH, 2 StR 50/21

Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können. Denn mit dem BGH gilt, dass sich der Beweiswert einzelner Indizien regelmäßig erst aus dem Zusammenhang mit anderen Indizien ergibt, weshalb der Inbezugsetzung der Indizien zueinander im Rahmen der Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt.

Deshalb muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden (BGH, 1 StR 549/08, 1 StR 63/14 und 2 StR 326/19).

Beruht die Überzeugung des Landgerichts auf einer Vielzahl von Indizien – wie hier zur Täterschaft des Angeklagten darauf, dass er im Besitz einer Vielzahl verfahrensrelevanter Dokumente war -, so ist es im Interesse der Verständlichkeit des Urteils dringend angezeigt, diese Indizien nicht in den Feststellungen, sondern ausschließlich im Rahmen der Beweiswürdigung abzuhandeln. Dies vermeidet eine umfangreiche, das eigentliche Tatgeschehen in den Hintergrund drängende Darstellung von zuerst mehr oder minder belanglos erscheinenden Umständen und stellt zudem sicher, dass nur solche Tatsachen Erwähnung im Urteil finden, die in der Beweiswürdigung eine Rolle spielen (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 StR 238/05, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 14).

BGH, 3 StR 111/17
Beweiswürdigung im Strafurteil: Rechtsanwalt und Strafverteidiger Ferner zur Beweiswürdigung im Strafurteil

Die Beweiswürdigung im Strafurteil ist durchaus trickreich – es gibt zahlreiche Fehler die in der Revision eine Korrektur ermöglichen!

Die Beweiswürdigung

Den gesetzlichen Anforderungen an eine – aus sich heraus verständliche (BGH, 5 StR 268/05, 3 StR 391/95) – Beweiswürdigung genügt es, klar und bestimmt die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung hervorzuheben (BGH, 5 StR 392/54, 5 StR 32/11 und 5 StR 357/11).

Hinweis: Allgemeine Erkenntnisse aus frei zugänglichen Internetquellen sind dagegen problemlos zu verwerten und müssen nicht einmal in den Urteilsgründen aufgeführt werden, siehe hier!

Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis daher nur so weit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist (BGH, 2 StR 470/06, 3 StR 486/17). Eine Dokumentation des Ermittlungsverfahrens und der Beweisaufnahme ist damit ebenso wenig angezeigt wie die Angabe eines Belegs für jede Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein (BGH, 3 StR 111/17, 3 StR 145/17, 3 StR 586/17, 3 StR 486/17).


Schlussfolgerungen des Tatgerichts brauchen nicht zwingend zu sein

BGH, 4 StR 422/15

Neben einem klaren sprachlichen Ausdruck dient die Gliederung der notwendigen intersubjektiven Vermittelbarkeit der bestimmenden Beweisgründe (BGH, 5 StR 160/94). Dabei sollte durch das Gliederungssystem insbesondere erkennbar sein, auf welche Feststellungskomplexe sich die jeweiligen Ausführungen etwa zur Beweiswürdigung beziehen (BGH, 2 StR 380/19).

Übrigens: Erörterungen von Prozesserklärungen eines Verteidigers unter dem Gesichtspunkt der Einlassung eines Angeklagten sind immer verfehlt (siehe BGH, 1 StR 385/07 und 4 StR 102/20, dazu auch hier zur Verteidigererklärung).

Allein aus dem Umstand, dass ein Beweismittel in den Urteilsgründen nicht erwähnt wird, kann allerdings nicht geschlossen werden, dass es im Rahmen der Beweiswürdigung übergangen wurde. Die Pflicht zur erschöpfenden Beweiswürdigung ist nur dann verletzt, wenn sich die inhaltliche Erörterung des Beweismittels unter Berücksichtigung der übrigen Feststellungen aufdrängen musste (BGH, 1 StR 472/22).

Einlassung des Angeklagten

Es ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass in den Urteilsgründen wiederzugeben ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Beschuldigte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat (siehe nur BGH, 4 StR 371/20, 1 StR 205/20, 1 StR 518/19, 5 StR 444/19, 3 StR 489/14 und 2 StR 403/14).

Zwar ergibt sich dies nicht aus dem Wortlaut des § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe bestimmt. Aus sachlichrechtlichen Gründen ist mit dem BGH aber regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich (BGH, 4 StR 471/20). Dies, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich das Tatgericht unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (BGH, 4 StR 371/20, 2 StR 416/19 und 2 StR 403/14). Pauschale Regeln gibt es dabei nicht:

Die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umfasst die Verpflichtung, auch die geständige Einlassung des Angeklagten jedenfalls in ihrem wesentlichen Inhalt wiederzugeben. Denn ein Geständnis enthebt das Tatgericht nicht seiner Pflicht, es einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen.

Erforderlich ist außerdem, dass das Tatgericht in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegt und begründet, weshalb es das Geständnis für glaubhaft erachtet. Hierbei hängt das Maß der gebotenen Darlegung von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab.

Es steht – wie der weitere Aufklärungsbedarf (§ 244 Abs. 2 StPO) – in einer umgekehrten Wechselbeziehung zu der inhaltlichen Qualität des Geständnisses … Bei einem detaillierten Geständnis des Angeklagten können knappe Ausführungen genügen … Decken sich die Angaben des Angeklagten mit sonstigen Beweisergebnissen und stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses auch auf diese Beweisergebnisse, so ist er zu deren jedenfalls gedrängter Wiedergabe verpflichtet, da anderenfalls eine revisionsgerichtliche Überprüfung seiner Überzeugungsbildung nicht möglich ist (…)

BGH, 4 StR 421/23

Hinweis: Wenn das Gericht nicht mitteilt, ob sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat, kann dies ausnahmsweise gleichwohl beachtlich sein: Bei einer klaren und dichten Beweislage können die Urteilsgründe mit dem BGH ausnahmsweise belegen, dass sich das Gericht eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft hat (BGH, 5 StR 96/23).

Rechtsfehlerhaft ist es dabei, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat. Demnach sind mit dem BGH entlastende Angaben eines Angeklagten nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt – Tatsachenmitteilungen des Angeklagten müssen vielmehr auf ihre Glaubhaftigkeit überprüft werden. An die Bewertung seiner Einlassung sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (zu alledem: BGH, 2 StR 50/21).

Zur Vertiefung beachten Sie bitte unseren Beitrag zur Würdigung des Einlassungsverhaltens des Angeklagten!

Sprache und Gliederung des Strafurteils

Es ist daran zu erinnern, dass insbesondere bei einer umfangreicheren Beweiswürdigung mit dem BGH darauf zu achten ist, diese durch eine erkennbare Struktur – etwa eine Gliederung – klar und nachvollziehbar zu machen; ist eine Beweiswürdigung unstrukturiert, kann allein dies den Bestand eines Urteils gefährden (siehe BGH, 3 StR 271/99).

Die schriftlichen Urteilsgründe sollen in allgemein verständlicher und sachlicher Form abgefasst sein. Ein klarer sprachlicher Ausdruck dient mit dem BGH – wie eine Gliederung – der notwendigen intersubjektiven Vermittelbarkeit der bestimmenden Beweisgründe. So finden auch Eigentümlichkeiten in Sprache und Gedankenführung in tatrichterlichen Urteilen ihre Grenzen in den aus den §§ 261, 267 StPO folgenden gesetzlichen Anforderungen (zu alle dem: BGH, 2 StR 435/08, 5 StR 160/94, 2 StR 380/1 und 2 StR 7/20).

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Ausgewählte Einzelfragen zu den Urteilsfeststellungen

Wie ist mit TKÜ umzugehen?

Gerade im BTM-Strafrecht spielen TKÜ eine herausragende Rolle – nicht zuletzt bei der Frage, wie viele selbstständige Handlungen Feststellungen sind. Dabei kommt dann die Frage auf, wie TKÜ-Feststellungen in den Urteilsfeststellungen zu berücksichtigen sind. Hierzu bedarf es mit dem BGH einer nachvollziehbaren Darstellung der für den Schuldspruch maßgeblichen Eintragungen.

Dies nicht in Form einer Übernahme von Ablichtungen oder detaillierten Ausführungen der TKÜ in das Urteil! Gegenüber einer wörtlichen Übernahme der Aufzeichnungen in Form von Abschriften oder Ablichtungen in die Urteilsgründe erscheint dem BGH eine eigene, nachvollziehbare Sachdarstellung des Tatgerichts, aus der sich die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands ergeben, immer vorzugswürdig (hier siehe BGH, 3 StR 179/15). Hinweise auf die Fundstellen der Aufzeichnungen außerhalb der Urteilsgründe vermögen allerdings (natürlich, siehe oben) Darstellungslücken nicht zu füllen.

Was ist hinsichtlich DNA-Treffern festzustellen?

Bei DNA-Treffern gelten einige Besonderheiten, die hier in einem Beitrag umfänglich dargestellt werden.

Darstellungen zur Einlassung des Angeklagten

Es entspricht der gefestigten BGH-Rechtsprechung, dass in den Urteilsgründen wiederzugeben ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Beschuldigte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat (dazu auch oben mit vertiefendem Link). Das ergibt sich zwar nicht aus § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe bestimmt. Aus sachlich-rechtlichen Gründen ist mit dem BGH aber regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich das Tatgericht unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (zusammenfassend BGH, 4 StR 471/20). Siehe dazu auch weiter oben.

Aussage gegen Aussage

Dieser Fall ist Hochkomplex und bei uns in einem gesonderten Beitrag ausführlich dargestellt.

Besitz kinder- oder jugendpornographischer Schriften

Bei der Abfassung der Urteilsgründe muss der Tatrichter in den Blick nehmen, dass unterschiedliche gesetzliche Anforderungen an die Abfassung von Anklageschrift (§200 Abs.1 StPO) und die Urteilsfeststellungen nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO insbesondere für Feststellungen zum Besitz kinder- oder jugendpornographischer Schriften zu stellen sind (siehe OLG Stuttgart, 2 Rv 16 Ss 795/19)

Wird wegen der Einzelheiten auf Abbildungen verwiesen, die sich bei den Akten befinden, so werden diese bildlichen Darstellungen als Ganzes Bestandteil der Urteilsgründe und unterstehen unmittelbar einer rechtlichen Prüfung durch das Revisionsgericht (BGH, 2 StR 365/99). Die erforderliche deutliche Bezugnahme kann allerdings zweifelhaft sein, wenn sie sich pauschal auf den Inhalt eines oder mehrerer Sachaktenordner bezieht, der verschiedene – etwa sowohl kinder- als auch jugendpornographische – Abbildungen enthält (zuletzt BGH, 2 StR 380/19).

Darstellung von Vorstrafen

Insbesondere wenn eine kurze verhängt werden soll, sind ernsthafte Feststellungen zu den Vorstrafen notwendig – schlichtes Copy&Paste mit dem BZR genügt nicht. Wenn einzelne Vorstrafen in der berücksichtigt werden sollen, wird man hierzu die wesentlichen Feststellungen zu treffen haben!

Ausführungen des Sachverständigen

Wenn sich der Tatrichter darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist.

Eine Abweichung im Gutachten in der Hauptverhandlung vom vorbereitenden Gutachten bedarf regelmäßig näherer Darlegung (zu den Darlegungsanforderungen bei Abweichungen zwischen schriftlichem und in der Hauptverhandlung erstattetem mündlichen Sachverständigengutachten vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2016 – 2 StR 458/15; zum ständigen Problemfall der Psychosen in diesem Bereich siehe dagegen BGH, 2 StR 173/21).

Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie:

Diese führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. LK-StGB/Cirener, 13. Aufl., § 63 Rn. 56, 74 mwN.).

Erforderlich ist vielmehr stets die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung und eine konkretisierende Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. Oktober 2020 – 2 StR 83/20, NStZ-RR 2021, 69, 70; vom 10. November 2021 – 2 StR 173/21; Beschluss vom 15. September 2016 – 4 StR 400/16).

BGH, 6 StR 355/22

Prüfung der Beweiswürdigung im Strafurteil in der Revision

Eine grundsätzliche Prüfung der Beweiswürdigung ist in der Revision nicht vorgesehen: Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters und ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen für den BGH nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind! Es kommt dabei insbesondere nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte – vielmehr hat die Revision die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre.

Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich im Ergebnis allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.

Das Urteil muss dabei erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden.

Wann ist eine Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft

Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung für den BGH dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit, sondern es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (siehe BGH, 2 StR 326/19 sowie oben unter „Einlassung“).

Sonderfall: Prüfung des Freispruchs in der Revision

Die Ausführungen zur Prüfung der Beweiswürdigung in der Revision gelten umfänglich – auch bei einem Freispruch, wenn auch (natürlich) mit Besonderheiten.

Es gilt der Grundsatz: Das Tatgericht darf bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. So ist der BGH kritisch, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen wird, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist mit dem Bundesgerichtshof weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind.

Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist auch beim Freispruch rechtsfehlerhaft – dazu ein paar beispielhafte Fallgruppen:

  • Alibi: Die Feststellungen müssen sich nicht nur dazu verhalten, dass man an einem anderen Ort war, sondern auch warum es nicht möglich war, von diesem Ort zur Tatzeit doch noch anzureisen (BGH, 2 StR 474/21).
  • Einstellungen: Dass die Auseinandersetzung mit eingestellten Taten im Urteil erforderlich ist, wenn sie beweismäßige Relevanz für die abgeurteilten Taten entfalten, ist in der Rechtsprechung des für Verurteilungsfälle anerkannt – ebenso bei Teilfreisprüchen (BGH, 3 StR 11/22)
  • Freispruch aus tatsächlichen Gründen: Wird ein Angeklagter aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen hält. Auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können (6 StR 519/21)
  • DNA: Das Gericht muss sich mit Alternativhypothesen beschäftigen hinsichtlich des Entstehens einer DNA-Spur; aber: Es reicht nicht, wenn diese lediglich pauschal in den Raum gestellt, jedoch nicht mit konkreten Feststellungen unterlegt werden. Ein Tatgericht darf nicht über das „schwerwiegende Verdachtsmoment“ eines DNA-Treffers hinweggehen (BGH, 3 StR 11/22)
  • DNA / Sekundärübertragung: Wenn eine Sekundärübertragung im Raum steht, verlangt der BGH, dass dem Urteil konkrete Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, wie die DNA-Spuren im Wege einer Sekundärübertragung entstanden sein können (BGH, 6 StR 109/22). Anmerkung: Aus hiesiger Sicht bastelt der BGH seit geraumer Zeit daran, aus dem früher nur Indiz eines DNA-Treffers über das aktuell „schwerwiegende Indiz“ durch die Begründungsnaforderungen einen faktischen Beweis mit Vermutungswirkung für die Tatbedeutung zu schaffen! (Die BGH-Richter mögen sich in Ruhe Gattaca ansehen und sich ihrer Bedeutung für die Gesellschaft gewahr werden – es stellt sich auch die Frage, wie man sich gegen drapierte DNA-Spuren durch Dritte überhaupt wehren möchte in einem Gerichtssaal)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.