Strafrecht: Erhebung von Verkehrsdaten bei Straftaten von erheblicher Bedeutung – §100g StPO

§100g StPO sieht die Möglichkeit der Erhebung von Verkehrsdaten vor:

Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer (…) eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung (…) oder (…) eine Straftat mittels Telekommunikation begangen hat, so dürfen auch ohne Wissen des Betroffenen Verkehrsdaten (…) erhoben werden (…)

Hier stellt sich häufig die Frage, wann eine Straftat mit erheblicher Bedeutung vorliegt. Mit der Rechtsprechung ist dies – auch ausweislich des Gesetzestextes – im Einzelfall festzustellen, mir sind Entscheidungen bekannt, in denen regelmäßige Verleumdungen bereits eine erhebliche Bedeutung erlangen konnten. Nunmehr hat der BGH (1 StR 156/13) sich des Thema nochmals angenommen und stellt allgemein fest:

Eine Straftat hat „erhebliche Bedeutung“, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (BT-Drucks. 13/10791, S. 5; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 344; BGH, Beschluss vom 22. März 2012 – 1 StR 359/11). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber der Straftat allgemein ein besonderes Gewicht beimisst und sie im konkreten Fall erhebliche Bedeutung hat (BVerfG, Urteil vom 12. März 2003 – 1 BvR 330/96, NJW 2003, 1787, 1791).


Hier ging der BGH davon aus, dass selbst eine Straftat unterer Kriminalität wie das Vortäuschen von Straftaten (§145d StGB) eine erhebliche Bedeutung gewinnen kann:

Der Verdacht richtete sich auf eine Straftat gemäß § 145d StGB; eine solche Tat ist im Höchstmaß mit drei Jahren bedroht. Sie ist deshalb nicht mehr ohne weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen (BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43), aber im Hinblick auf die gegenüber der gesetzlich vorgesehenen Mindesthöchststrafe erhöhte Strafdrohung als Anlasstat nicht von vornherein ausgeschlossen. In Einzelfällen kann auch solchen Taten aufgrund der besonderen Bedeutung des geschützten Rechtsguts oder des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung erhebliche Bedeutung zukommen (vgl. BT-Drucks. 16/5846, S. 40)

Dies entspricht ständiger Rechtsprechung, es kommt auf die gesamte Gewichtung an – die im Einzelfall, auf Grund der besonderen Umstände, anders ausfallen kann als in grundsätzlich anderen Tatbestandsverwirklichungen. Vorliegend waren es die beabsichtigen Konsequenzen, die dem §145d StGB in diesem Fall eine erhebliche Bedeutung verliehen haben:

Mit rechtsfehlerfreien Erwägungen haben sie aber angesichts der außergewöhnlichen, der Tat ein deutlich über das durchschnittliche Gewicht einer Tat nach § 145d StGB herausragendes Gepräge gebenden Umstände des Einzelfalls – des Verdachts der Begehung der Tat als Bürgermeister im Zusammenhang mit dem Amt, der Vortäuschung, Opfer eines Brandanschlages im Rathaus geworden zu sein, durch den er zur Aufgabe seines Amtes genötigt werden sollte, der dadurch zu erwartenden Schädigung des Ansehens der betroffenen Gemeinde, des durch die Tat hervorgerufenen öffentlichen Aufsehens und des zum Anordnungszeitpunkt anzunehmenden Motivs der Erlangung von wirtschaftlichen Vorteilen durch die Anerkennung als Dienstunfall – eine erhebliche Bedeutung angenommen.

Anmerkung: Die Diskussion ist äusserst Praxisrelevant, ich muss sie hin und wieder mit Staatsanwaltschaften führen, auch unter dem Aspekt, dass ein Geschädigter vertreten wird, der zur Ermittlung des Täters auf die Auswertung der Verkehrsdaten angewiesen ist. Pauschale Bewertungen gibt es hier nicht, man muss im Einzelfall argumentieren. Eine regelmäßige, gehäufte Begehung von kleineren Delikten ist bereits ein Argument, um eine erhebliche Bedeutung anzunehmen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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