Strafprozess: Wiedererkennen des Angeklagten in der Hauptverhandlung

In schwierigen Beweislagen, zu denen auch Konstellationen gehören, in denen der Tatnachweis im Wesentlichen auf dem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht, ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig gehalten, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben.

Anforderungen an die Erkennung von Zeugen

Um die tatrichterliche Würdigung nachvollziehen zu können, ist es zudem erforderlich, die Beschreibung des Zeugen mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten zu vergleichen. Das Urteil muss daher Angaben dazu enthalten:

  • welche Merkmale oder Eigenheiten des Aussehens des Angeklagten hätten es dem Zeugen zum Zeitpunkt seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung ermöglicht, den Angeklagten „anhand einer Lichtbildmappe“ wiederzuerkennen;
  • Darstellung einer konkreten Täterbeschreibung;

Besondere Anforderungen an die Darlegung des Identifizierungsvorgangs ergeben sich zudem, wenn der den Beschuldigten vorher nicht kannte. Hier gilt: Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf die subjektive Gewissheit des Wiedererkennens verlassen, sondern muss anhand objektiver Kriterien prüfen, welche Beweisqualität dem Wiedererkennen zukommt und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (zusammenfassend dazu BGH, 5 StR 483/22).

Wiedererkennen mit Wahllichtbildvorlagen

Zu einem weiteren beliebten Fehler, der eine erfolgreiche Revision sichert, konnte sich beispielhaft das Oberlandesgericht Düsseldorf (III-3 RVs 9/16) äußern – es geht um die von Gerichten nur allzu oft nicht reflektiert aufgenommene Frage, warum nach Jahren in der ein Zeuge einen Angeklagten plötzlich „ganz klar“ wieder erkennt:

Der Umstand, dass der Geschädigte den Angeklagten bei einer im „zu 80 % wiedererkannt“ hat (UA S. 3), stellt – was auch die Sicht des Amtsgerichts gewesen zu sein scheint – eine sichere Identifizierung als Täter nicht dar. Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hat es daher offensichtlich darauf gestützt, dass der Geschädigte den Angeklagten in der Hauptverhandlung „sogar zu 100 % wiedererkannt“ hat (UA S. 4). Allerdings endet die Beweiswürdigung zur eigentlichen Identifizierung des Angeklagten bereits mit diesem Hinweis. Der deutliche Zuwachs der Sicherheit des Geschädigten bei seiner Wiedererkennung in der Hauptverhandlung ist jedoch gerade vor dem Hintergrund des zu diesem Zeitpunkt beinahe zweijährigen Zurückliegens der Tat nicht ohne weiteres nachvollziehbar und hätte deshalb näherer Erläuterung bedurft. Nicht ausgeschlossen werden kann daher, dass sich hier die in den Fällen des wiederholten Wiedererkennens bestehende Gefahr der unbewussten Orientierung an den im Ermittlungsverfahren vorgelegten Lichtbildern realisiert hat (vgl. dazu im Einzelnen Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 58 Rn. 13; BGH NStZ 1996, 350). Auch hierzu hätte sich das Amtsgericht deshalb äußern müssen.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein durchgreifender Darstellungsmangel der Urteilsgründe bereits dann vorliegen kann, wenn in den Urteilsgründen nähere Ausführungen dazu fehlen, wie die im Ermittlungsverfahren veranlassten Wahllichtbildvorlagen im Einzelnen zustande gekommen sind.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass zu berücksichtigen ist, ob es sich bei dem Wiedererkennen des Angeklagten durch die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen vor dem Hintergrund der Einzel- bzw. Wahllichtbildvorlagen im Ermittlungsverfahren um ein wiederholtes Wiedererkennen handelte – denn dessen Zuverlässigkeit kann wegen der Beeinflussung durch die Situation des ersten Wiedererkennens und der dadurch bedingten Überlagerung des ursprünglichen Erinnerungsbildes erheblich herabgesetzt sein (dazu BGH, 4 StR 102/16)!

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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