Sicherungsverwahrung – wenn der Staatsanwalt mit dem MdB…

Wenn ein Staatsanwalt und ein Mitglied des deutschen Bundestages gemeinsam – und dann auch noch in der ZRP (6/2010, S.172ff.) – einen Artikel zur schreiben, dann erwartet man nicht wirklich eine Positionierung pro EGMR. Insofern ist der Beitrag von Grosse-Brömer und Klein wenig überraschend. Leider aber ist er auch insofern nicht überraschend, als das nichts wirklich neues geboten wird. Erschreckend vielmehr, dass wieder einmal auf die „Mehrpoligkeit“ der Grundrechte verwiesen wird.

Dies ist das Einstiegs“argument“ der beiden: Der EGMR verkenne die Mehrpoligkeit der Grundrechte, stelle alleine auf die Abwehrfunktion des Schutzes der Freiheit ab und vergesse, den Anspruch der Gesellschaft auf Sicherheit mit dem Recht des einzelnen auf Freiheit abzuwägen. Das ist nicht neu und kann man u.a. beim OLG Celle in voller Länge nachlesen. Alleine die ständige Wiederholung macht es aber nicht richtig: Es ist und bleibt ein falsches Argument, eine Täuschung. Denn wer auf diesen Punkt verweist, der tut so, als ginge es beim EGMR – und in der Sachfrage insgeamt – alleine um Grundrechte, die abgewogen werden könnten. Dabei geht es in Wirklichkeit um die Frage, was eine „Strafe“ ist und wann insofern der Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ Anwendung findet. Dieser Grundsatz ist ein Eckpfeiler rechtsstaatlich orientierten Strafrechts und er kann nicht durch irgendwelche Überlegungen aufgeweicht werden.

Wer wie Grosser-Brömer und Klein so tut, als könnte man mit grundrechtlichen Abwägungen diesen Eckpfeiler einschränken, der reduziert das Kern-Element unseres Strafrechts auf einen von Ausnahmen dominierten Grundsatz. Das Strafrecht würde verkommen zum Sicherheitsrecht, zu einem Polizei- und Ordnungsrecht das mit den Mitteln strafrechtlicher Sanktionen ungehemmt gegen jede (vermeintliche) Gefährdung vorgehen könnte. Wenn die beiden Autoren dem EGMR vorwerfen möchten, dass dieser das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft „nicht einmal als Rechtfertigungsgrund heranzieht“, dann verkennen beide dass dies eben gar nichts mit dem hier berührten Grundsatz zu tun hat. Es wäre schlichtweg falsch (und im übrigen gefährlich), auch nur ein Wort dazu zu verlieren.

Wirklich Schlimm wird es aber, wenn die Autoren ihre „Lösung“ demonstrieren: Sowohl nach Art. 5 I 2 (a) als auch (c) EMRK solle nämlich die Sicherungsverwahrung möglich sein. Wie die Autoren das schaffen, wird deutlich, wenn man genau liest: Während (a) nämlich von „rechtmäßiger Freiheitsentziehung“ spricht (die freilich bei einem Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nicht vorliegen kann), ist bei den Autoren nur noch die Rede von einer „Verurteilung durch ein zuständiges Gericht“. Da wird dann schnell aus dem rechtmäßigen Urteilsspruch irgendein Urteilsspruch. Beeindruckend erschreckend.

Genauso leicht macht man es sich dann bei (c): Die Autoren verweisen darauf, dass es dort ja gerade um die „präventive Haft“ geht, gehen auf das Wörtchen „rechtmäßig“ aber gar nicht mehr ein. Stattdessen wird auf die Entscheidungen in den Fällen Guzzardi und Eriksen verwiesen, die angeblich das Gegenteil der Entscheidung zur Sicherungsverwahrung darstellen. Wobei die Autoren – aus gutem Grund! – vermeiden, beide Fälle im Detail zu erläutern: Während Guzzardi unter „Bannung“ gestellt wurde, was der EGMR zur Recht als Beschränkung und nicht Entzug der Freiheit einstufte, ging es bei Eriksen um eine (zugegeben grenzwertige) Anwendung der . Beides mit einer Sicherungsverwahrung auch nur zu vergleichen lässt jeglichen Bezug zur Lebenswirklichkeit bei den Autoren vermissen.

Den Beitrag als Kritik an der EGMR-Entscheidung zu beurteilen, wäre ihm am Ende zu viel der Ehre: Zu wenig Stichhaltig ist er, geht an der wesentlichen Frage vorbei und verkennt die deutsche Problematik, dass die Sicherungsverwahrung bei uns zu sehr an der Haft orientiert ist. Insofern dürften die Autoren mit zunehmender Verwirrung reagieren, wenn beispielsweise die französische Sicherungsverwahrung (die eine in Therapiezentren vorsieht) vor dem EGMR besteht. Anders als nämlich die Autoren zwischen den Zeilen schreiben ging es beim EGMR nicht um „die Sicherungsverwahrung“ die gekippt wurde, sondern vielmehr um die Form der Sicherungsverwahrung, wie sie derzeit in Deutschland praktiziert wird, die keinen Bestand hatte. Das ist nicht das gleiche.

Übrigens: Beide Autoren möchten am Ende zu der These gelangen, dass die Sicherungsverwahrung ein „Verfassungsauftrag“ ist – dass also geradezu der Zwang für den Staat besteht, eine solche Möglichkeit einzurichten. Diese These steht keineswegs im Widerspruch zum EGMR-Urteil, wie ich soeben ausgeführt habe. Darüber hinaus sehe ich die Autoren mit dieser These sogar im Recht, allerdings kann man sich die singuläre Sichtweise, dass man die Sicherungsverwahrung alleine zum vielbeschworenen „Schutz der Gesellschaft“ benötigt, dazu sparen: Es ist nicht nur im Interesse der „Gesellschaft“ ein solches Instrument anzubieten, sondern auch im Interesse der „Verwahrten“. Mit Blick auf beide Seiten lässt sich nicht nur problemlos das Bedürfnis einer Sicherungsverwahrung an sich, sondern auch die konkrete Gestaltung einer solchen herbei argumentieren.

Entlarvend ist übrigens der letzte Abschnitt des Artikels, der unverklärt des Geistes Kind der Autoren zeigt:

In keinem Fall darf sich der Staat damit zufriedengeben, gleichsam schulterzuckend eine grundstürzende Änderung seines demokratisch legitimierten Straf- und Sanktionensystems entgegen zu nehmen und sich in die schematisch urteils-exekutierende Entlassung von derzeit mindestens 70 hochgefährlichen Schwerverbrechern zu schicken. Dies würde zu einer Unruhe in den betroffenen Gemeinden führen, die den gesellschaftsvertraglich geschlossenen inneren Frieden des Landes in Frage stellte. Das Heinsberger Menetekel mit der Errichtung von Bürgerwehren und der Androhung von Selbstjustiz sollte insoweit von hinreichend deutlicher Handschrift sein.

Die schwülsigen Wörter sollten nicht darüber hinweg täuschen, dass hier m.E. allen ernstes gesagt wird:

  1. Der Bruch von rechtsstaatlichen Prinzipien mag zumindest abgefedert werden dadurch, dass es sich ja um ein „demokratisch legitimiertes Prinzip“ handelt. Übersetzt: Wo die Mehrheit einen Grundrechtseingriff vornehmen möchte, ist dieser hinzunehmen auch wenn damit ein Rechtsbruch einhergeht?
  2. Wieder einmal wird von „70 hochgefährlichen Schwerverbrechern“ gesprochen – wobei die Autoren hier, wie so oft, ohne Substanz diese Behauptung in den Raum stellen. Der BGH ebenso wie das BVerfG haben aber zunehmend Zweifel, ob ein seit 20 Jahren „Verwahrter“ mit über 70 Lebensjahren freilich noch so genannt werden darf. Wobei erste Gerichte, so wie die Autoren hier, so weit gehen und ohne aktuelle Einschätzungen von Sachverständigen einfach eine Gefährlichkeit nach eigenem Gutdünken annehmen. An diesem Punkt demonstrieren die Autoren selber nur allzu gut die Stichhaltigkeit der Kritik des EGMR am deutschen System, in dem jeder meint, auf Grund pauschaler Behauptungen – ohne fachlichen Hintergrund – Menschen als (nicht) gefährlich einstufen zu können.
  3. Ausgerechnet Heinsberg als Beispiel heranzuführen bedarf keines weiteren Kommentars. Abgesehen davon, dass der „Fall Heinsberg“ mit dem Thema EGMR & Sicherungsverwahrung gar nichts zu tun hat. Vielmehr ist der „Fall Heinsberg“, in dem es ja angeblich alleine um „Formalien“ geht, gerade ein Grund das Recht der Sicherungsverwahrung zu überarbeiten.

Was heißt das im Fazit: Ich glaube, die Sicherungsverwahrung ist ein Instrument, mit dem in wenigen Sonderfällen durchaus dem Bedürfnis der Gesellschaft nach mehr Sicherheit und den Interessen des Betroffenen in einer ausgewogenen Maßnahme begegnet werden kann. Dass die bisher praktizierte Form der Sicherungsverwahrung überarbeitet werden muss sehe ich (a) als zwingend gegeben und (b) auf gar keinen Fall als Grund zur Sorge, dass mit einer Reform zugleich eine Unsicherheit einhergeht. Anders als im Beitrag behauptet, geht es ja gerade nicht um ein „schulterzuckendes Entlassen“ – die hier deutlich heraus sprechende Angst, die von der Presse auch bei Laien zunehmend gestreut wird, darf nicht dazu führen, die Augen zu verschließen.

Dabei muss speziell mit Blick auf Laien, Politik und Presse festgestellt werden, wie gezielt mit der Angst „gespielt“ wird: Richter werden mit und vollem Namen bloß gestellt, nur weil sie sich an das Gesetz halten und eben keinen Rechtsbruch begehen, damit die Auflage sich besser verkauft. Politiker versuchen sich im Dunstkreis von Wahlen damit zu profilieren, dass sie bekannt geben, jemand der eigentlich in Sicherungsverwahrung gehöre, wohne nun im eigenen Landkreis und man wolle die Bevölkerung warnen. Daneben dann andere Politiker, die handwerklich schlechte Gesetze fabriziert haben, die aus gutem Grund von der Rechtsprechung gekippt werden – was die Politiker zum Anlass nehmen, mit dem Finger auf die Gerichte zu zeigen, anstatt eigene Verantwortung zu suchen.
Und zwischen all dem der Laie, der aus verschiedensten Befindlichkeiten heraus zunehmender Angst ausgesetzt wird – und im Ergebnis zum Spielball, zum reinen Objekt reduziert wird. Durchbrechen kann man dies am Ende nur, indem man aufhört, auf Angst als Mittel zu setzen und mit klaren, sachlichen Worten transportiert worum es hier geht. Es scheint aber, dass die von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Stimmen genau daran kein Interesse haben. Freilich verkauft sich die Schlagzeile „Irrsinns Justiz“ wohl immer am besten.

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Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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