Bei OpenJur findet sich ein Urteil des OLG Hamburg (2 – 27/09), das zu dem Ergebnis kommt, dass bereits das Laden von kinderpornographischen Schriften in den Arbeitsspeicher einen Besitz begründet – es kommt demnach nicht darauf an, dass die Daten (etwa mittels Cache) auf der Festplatte landen.
Über das Urteil wurde schon mehrfach im Vorhinein berichtet. Auf den ersten Blick verbietet sich m.E. eine schnelle Analyse: Das OLG Hamburg hat keineswegs leichtfertig den Besitz angenommen, sondern äusserst ausführlich Argumentiert (im Urteil Rn.32, sodann Rn.39ff). Insgesamt muss schon jetzt angemerkt werden, dass die Argumentation durchaus stichhaltig ist und nicht unmittelbar von der Hand gewiesen werden kann.
Nach meinem ersten Eindruck dürfte die Schwachstelle in der Argumentation des OLG aber sein, dass der gewählte normative Besitz-Begriff uferlos ist. Es ist, mit dem OLG Hamburg, nicht mehr möglich, sich etwas am PC anzusehen, ohne es zugleich zu besitzen. Zudem wird alleine mit der Möglichkeit etwas zu speichern (der Rechtsklick auf das angezeigte Bild steht dem Nutzer ja durchaus offen) der tatsächlich begründete Besitz gleichgestellt. An diesem Punkt wird unerlaubt die Strafbarkeit weit in das Vorbereitungs, ja sogar Entschlussstadium hin ausgedehnt. So gut sich die Argumentation auch lesen mag: Das OLG HH verpasst es, Grenzkriterien aufzustellen.
Man wird prüfen müssen, inwiefern diese weite Ausdehnung einerseits mit der allgemeinen Handlungsfreiheit vereinbar ist: Ein Surfen im Netz ist nicht mehr ernsthaft möglich, wenn man Angst haben muss, jede aufgerufene Webseite wird gleich als Besitz fingiert. Andererseits muss man sich, trotz der differenzierten Analyse des OLG, fragen, ob es wirklich mit dem Wortsinn des „Besitzes“ vereinbar ist, das (bewusst nur als solches vorgenommene!) Betrachten gegen den ausdrücklichen Besitzbegründungswillen des Nutzers als Besitz zu fingieren. Als Einfallstor sehe ich dabei vor allem diesen Satz bei Rn.49:
Vielmehr werden die Dateien bei jedem Aufruf durch einen Internet-Nutzer „vervielfältigt“ und stehen dem jeweiligen Nutzer und Betrachter im selben Umfang wie dem Anbieter zur Verfügung.
Das ist durchaus fraglich: Anders als beim Anbieter, der die Daten ja vorrätig hält, muss der Nutzer die Daten – auch wenn sie bereits im Arbeitsspeicher sind – mit einem notwendigen Zwischenschritt erst noch dauerhaft fixieren. Bildlich: Rechtsklick, dann „Bild speichern unter…“. Die hier gewählte Argumentation verwischt den Unterschied zwischen Vorbereitungshandlung, Versuchsstadium und Vollendung so, als würde man den geneigten Kaufhausdieb schon dann bestrafen, wenn er die Bierflasche nur in die Hand nimmt und noch überlegt, ob er sie einsteckt oder doch bezahlt (oder zurückstellt).
Die detaillierte Analyse wird mich einige Tage kosten, sie wird auf Daten-Strafrecht.de erscheinen.
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