Deal im Strafprozess: Zur Verständigung in der Praxis

Das BVerfG soll sich heute zur Frage äußern, ob der „Deal“ im Strafprozess, der inzwischen gesetzlich – zumindest rudimentär – geregelt ist, mit unserem in Einklang zu bringen ist. Wesentliche Regelung ist der §257c StPO, der in formeller Hinsicht in wenig Stütze durch §273 Ia S.3 StPO erfahren hat. Wichtig ist einmal, dass der §257c II StPO vorgibt, dass einmal ein Geständnis regelmäßiger Gegenstand der Verständigung sein soll (also quasi der gesetzlich vorgesehene „Preis“ ist). Andererseits ist klar gestellt, dass im wesentlichen Kern vor allem die Rechtsfolgen (also das Strafmaß) Gegenstand des Verständnisses ist. Insbesondere gilt:

Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

Sprich: Das Gericht wird nicht insofern entlastet, dass es in der Schuldfrage auf die Verständigung verweisen kann – der Strafprozess als Erkenntnisverfahren wird hier anders als im Zivilprozess also nicht entlastet, wo man einen Vergleich schliessen und die Sache insgesamt beenden kann.

Soviel zur gesetzlichen Theorie – was sagt die Praxis, die auch Betroffene zum BVerfG „trieb“?

Der Vorwurf lautet gerne, dass Druck ausgeübt wird, also dass das Gericht sich zu weit aus dem Fenster lehnt und bereits konkrete Szenarien ausmalt, die man mit einem Geständnis verhindern kann. Das ist nichts neues, schon früher gab es Szenen, bei denen im Rahmen einer Haftprüfung in Aussicht gestellt wurde, dass eine „ausgesetzt“ werden kann (der ausser Vollzug gesetzt werden kann), wenn man sich im Prüfungstermin zu einem Geständnis hinreissen lässt. Derartige faktische Erpressungsversuche sind abzulehnen – Grund für die U-Haft sind dringender Tatverdacht und die gesetzlich vorgesehen Haftgründe. Gleichwohl bietet sich „Hintertüren“ an, etwa wenn Verdunkelungsgefahr angenommen wird, die man mit einem Geständnis natürlich beseitigen könnte – man merkt: In der Praxis bieten sich dem intelligent agierenden Richter durchaus Möglichkeiten, weiter geschickt und formell abgesichert Druck auszuüben.

An der Stelle mag man die Verständigungsregeln nicht verteufeln, zu gross sind die Risiken mit einem Geständnis ohne klare Verständigung – dem Gericht bieten sich schnell Wege, am Geständnis (das immerhin einen Bonus bei der späteren Strafe verspricht) herum zu lamentieren. Die wohl beliebtesten „Kritikpunkte“:

  1. Das Geständnis kam zu spät, man hat sich erst auf Grund von Druck oder unter Eindruck der dazu entschlossen, weswegen Abstriche zu machen sind.
  2. Das Geständnis ist nicht umfassend genug, man hat nur zugestanden, was die Aktenlage hergibt.
  3. Innerhalb des Geständnisses bieten sich wiederum (kleine) Widersprüche, weswegen man an der Qualität des Geständnisses zweifeln möchte.

Das Risiko liegt auf der Hand, die obigen „Kritikpunkte“ lassen sich auf nahezu jedes Geständnis in irgendeiner Form anwenden. Eine klare Verständigungsregelung verspricht hier Sicherheit für alle Beteiligten. Für mich bis heute ein Vorteil.

Nicht zu vergessen das Risiko, dass ein Gericht auf eine Verständigung schlichtweg nicht eingeht. Erlebt habe ich das erst kürzlich, als ein Mit-Verteidiger sich während des laufenden Verfahrens mit der Staatsanwaltschaft „einigte“ und die Kammer dazu kurzerhand „nö“ sagte. Dieses Problem ist von früher auch schon bekannt, wenn man sich mit der Staatsanwaltschaft „einigt“, die StA sodann einen entsprechenden Strafrahmen beantragt, das Gericht aber schlicht nicht folgt.

Es gibt viele weitere Probleme: Wie geht man damit um, wenn nach einer Verständigung und geplantem Ausgang des Verfahrens die Staatsanwaltschaft plötzlich Rechtsmittel einlegt? Kann man den Druck bei dem Angeklagten, aus taktischen Gründen mehr einzuräumen als tatsächlich geschehen ist, wirklich in den Griff bekommen (siehe dazu oben die „Kritikpunkte“, dort speziell Nr.2)?

Mit dem Blick auf die Realität sehe ich aber, dass es hierbei um Fragen geht, die sich im Strafprozess seit je her finden – nur dass sie nun zunehmend offen debattiert werden (müssen). Insgesamt sehe ich hier dann auch die grössten Probleme: Die Regelung der Verständigung im Gesetz erfolgte nur rudimentär, viele Problembereiche wurden aussen vorgelassen. Die Protokollierung der Verständigung müsste mindestens differenzierter geregelt sein; letztlich werden sich damit informelle Einflussnahmen auf dem Gerichtsflur aber auch nicht verhindern lassen – ebenso wenig, wie die Abschaffung der Verständigungsregelungen Einfluss darauf hat, dass dem Angeklagten mehr oder minder deutlich mitgeteilt wird, eine Einlassung wäre klug. Dass ausgerechnet in diesem Bereich die Formvorschriften dünn angesiedelt sind, ist ein berechtigter Kritikpunkt. Hier mag letztlich das BVerfG hoffentlich auch Kritik üben – nicht an der an sich, aber an ihrer viel zu dünnen gesetzlichen Regelung, gerade bei der Form.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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