Mundraub: Eine Darstellung des „Mundraubs“

: Der Mundraub war im StGB im §370 a.F. StGB erwähnt. Der Mundraub-Tatbestand wurde 1975 abgeschafft, doch ich habe in meiner Bibliothek u.a. ein Originalexemplar der „Guttentagschen Sammlung deutscher Reichsgesetze, StGB“ von 1914. Kommentiert von v. Liszt und Delaquis. An Hand derer ermögliche ich, kurz nachzuvollziehen, was der „Mundraub“ eigentlich ist, der als Begriff heute noch in aller Munde ist.

Kommentierung zum Mundraub

Und gerne zitiere ich hier den entsprechenden Mundraub-Gesetzestext samt Kommentierung zum Mundraub aus dieser Zeit für die juristische Nachwelt:

Mit bis zu 150 Mark oder mit Haft wird bestraft […]

5. wer Nahrungs- oder Genußmittel oder andere Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte zum alsbaldigen Verbrauch entwendet oder unterschlägt.

Wer die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen seinen Ehegatten begeht, bleibt straflos.

[…]

Die Kommentierung war seinerzeit recht kurz (das Kommentierungssystem funktionierte auch anders, es bezog sich nur auf einzelne Begriffe, nicht wie heute üblich in Kapiteln bezogen auf den Gesetzestext insgesamt):

(10) [Nahrungsmittel]: Die zur Ernährung des menschlichen Körpers bestimmten Eßwaren und Getränke. Nicht: Viehfutter. Wohl aber Saatkartoffeln, solange sie noch genießbar sind (RGSt 1, 223).

(11) [Genußmittel]: Stoffe, die von dem Körper aufgenommen, einen Reiz auf das Nervensystem auszuüben geeignet und bestimmt sind. So: , Zigarren, Parfüms. Nicht: Blumen, RGSt 4, 72; Nicht: Feuerungsmaterial (z.B. Torf, RGSt 9, 46)

(12) [Gegenstände des hauswirt. Gebrauchs]: Alle Gegenstände, die im gewöhnlichen Leben zur Befriedigung eines hauswirtschaftlichen Bedürfnisses verbraucht zu werden pflegen, einerlei ob mit diesem Verbrauch ein unimttelbares Genießen des Menschen verbunden ist oder nicht (RGSt 46, 247, 261). z.B. Viehfutter (RGSt 46, 379; RGSt 47, 247, 265). Nicht: Wäschestücke (RGSt 46, 422).

(13) [unbedeutender Wert]: Vgl. §§247 Anm. 7; 248a Anm. 3; Bei mehreren Tätern entscheidet der Gesamtwert der Nahrungsmittel: RGSt 8, 406. Ist der Vorsatz auf sukzessive Wegnahme grösserer Mengen gerichtet, so liegt vor (RGSt 17, 332).

(14) [zum]: Absicht

(15) [alsbaldiger Verbrauch]: auch dritter Personen: RGSt 13, 371. Welcher Art der Verbrauch ist, d.h. das Ausnutzen bis zum völligen Verschwinden ist, das ist gleichgültig: RGSt 47, 80

(16) [unterschlägt]: Ob die Entwendung unter erschwerenden Umständen (vgl. §243) erfolgte, ist gleichgültig; dann ist nur §370 Ziff.5 anzuwenden: RGSt 46, 376. Auch RGSt 30, 68 nimmt an, §370 Ziff.5 und schwerer Diebstahl (§243) in einer Handlung rechtlich zusammentreffen können. Vgl. dazu auch §243 Anm. 10. Dagegen bleibt §370 Ziff.5 ausgeschlossen, wenn die Tatbestände der §§249 oder 252 vorliegen: RGSt 46, 376. §370 Ziff.5 und §133 Abs.1 stehen u.U. in Idealkonkurrenz, dagegen nicht §133 Abs.2: RGSt 43, 175.

(17) [bleibt straflos]: §247 Abs.3 findet hier keine Anwendung


Mundraub: Zusammenfassung

Bis hierhin hat man also fundiertes Grundlagen-Wissen (vom Stand von 1914) zum Thema „Mundraub“. Zu beachten bleibt dabei:

  1. Anders als vielfach angenommen war der Mundraub nicht grundsätzlich straflos, sondern eben nur unter Umständen (unter bestimmten Verwandten bzw. Eheleuten).
  2. In der originalen Fassung war der „Mundraub“ nicht als solcher bezeichnet. Weder hatte der §370 StGB in der originalen Fassung von 1912 (hier zitiert von 1914) eine entsprechende Überschrift, noch wurde er in der Kommentierung so benannt. Der Begriff erscheint mir daher als eher moderne Bezeichnung, somit ist es zwar ein alter Tatbestand, der Begriff ist aber eher modern.
  3. Auf eine „Notlage“ („gestohlen aus Hunger“) kommt es nicht an. Ebenso wenig musste es zwangsläufig nur das „notwendige“ sein – es reichte entweder eine geringe Menge, oder eben auch ein geringer Wert aus. Der geringe Wert machte es dann wohl möglich, dass jemand für sich und seine Familie direkt mal 3 Laibe Brot eingesteckt hat.

Der Mundraub ist 1975 aus dem Gesetz entfernt worden – existiert in kleinen Gedanken aber weiter: Im §248a StGB findet man kleine Überreste – und der ist bis heute auch wichtig. So kann der Unterschied zwischen Gewerbsmässigem und einfachem Diebstahl daran hängen, ob eine geringwertige Sache gestohlen wurde.

Mundraub: Eine Darstellung des "Mundraubs" - Rechtsanwalt Ferner

Jens Ferner

Strafverteidiger

Weitere Informationen zum Mundraub

Doch: Ich habe noch mehr zum Thema. Auch die juristische Ausbildung hat sich mit dem Thema beschäftigt und ich habe in meiner Bibliothek gerne einige aktuellere Schriften zum Thema gesucht.

Aus dem Jahr 1974, also quasi noch druckfrisch gemessen am Alter der anderen Quellen in diesem Beitrag, stammt ein Beitrag von Arzt, der den Mundraub nicht ausschliesslich behandelt. Es kann sich aber – wenn man an Strafrecht und Rechtspolitik interesse hat – sehr lohnen, in diesen Aufsatz hinein zu sehen: Er ist nicht nur weitsichtig verfasst, sondern mit dem heutigen Blick ex ante auch nachdenklich stimmend:

Es geht hier Arzt um die Frage, wie man die vielen „kleinen Delikte“ des StGB „hinausbekommt“. Ob sich zivilrechtliche oder strafprozessuale Wege anbieten, oder das verschieben in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten. Ich denke, im Nachhinein kann man sagen (?), dass man sich für den strafprozessualen Weg entschieden hat. Was Arzt an Kritik hieran 1974 übt, kann man heute in jedem Lehrbuch als Standard-Ausführungen lesen.

Mundraub: Rechtsanwalt und Strafverteidiger Ferner zur Historie des Mundraubs

Der „Mundraub“ existiert in seiner ursprünglichen Form heute nicht mehr – ist aber bis heute ein Begriff für Laien. In der Tat, etwa mit Blick auf das „Containern“ stellt sich die Frage, ob er zu Recht entfernt wurde.

Kurz äussert sich Haffke in der JuS 1973 zum Konkurrenzverhältnis von §370 Nr.5 a.F. StGB zum §242. Ich machs noch kürzer: Er kommt zu den gleichen Ergebnissen, die man schon bei v-Liszt 1914 nachlesen kann.

Ganz spannend wird es dann 1972, wenn Backmann untersucht, wie sich Irrtümer auswirken: Wenn der Dieb etwa die vermeintliche Leberwurst nach dem entwenden (zu Hause) als Gänseleberpastete erkennt – sich also über die geringwertigkeit (zu seinen Lasten) irrte. Er kommt, wie zu erwarten, auf Seite 330 zum Ergebnis, dass aus §370 Nr.5 a.F. StGB zu bestrafen ist und nicht aus §242 StGB. Im umgekehrten Fall aber verneint dann Backmann (erwartunjgsgemäß) die Privilegierung und bestraft aus §242 StGB.

Sogar ein „aktuelles“ Urteil habe ich zum Mundraub gefunden: In der JuS 1971, auf Seite 105 (unten rechts) findet man eine Entscheidung des OLG Hamm, die aber nichts anderes feststellt, als v.Liszt in Anmerkung (12) unter Berufung auf RGSt 13, 371: Dass der Verbrauch (auch) durch Dritte erfolgt, schliesst den §370 Nr.5 StGB nicht aus.

Im Jescheck (ältere Auflagen, etwa in der 2. von 1972) findet man auch noch Hinweise, etwa wieder zur Spezialität des „Mundraubs“ gegenüber dem Diebstahl auf Seite 560.
Interessant sind die Äußerungen von Jescheck zur Geschichte des §370 Nr.5 StGB auf Seite 75:

Soziale Züge trug die letzte Strafrechtsnovelle des Kaiserreichs von 1912; sie […] erweiterte den Anwendungsbereich des Mundraubs (§370 Nr.5).

Abgesehen von der geschichtlichen Ausführung bleibt eine gemeine Frage: Wenn die Erweiterung des Mundraubs „soziale Züge trägt“, wie ist dann seine Abschaffung 1975 durch den Gesetzgeber zu bewerten? Gerade vor dem Hintergrund des so genannten Containerns sollte die Frage erlaubt sein, ob es nicht ein historischer Fehlgriff war, sich hier nicht tiefergehend mit der Materie des Mundraubs zu beschäftigen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.