BGHSt 31, 96 – Hochsitzfall

Der Tatbestand der mit Todesfolge setzt voraus, daß sich im Tod die der Körperverletzung eigentümliche Gefahr für das Leben des Verletzten verwirklicht; dies kann auch der Fall sein, wenn eine lebensbedrohliche Verletzungshandlung zunächst nur zu einer Verletzungsfolge geführt hat, die – für sich betrachtet – einen tödlichen Ausgang noch nicht besorgen ließ, und der Tod des Verletzten dann erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände verursacht worden ist.

Sachverhalt:
Nach den Feststellungen warf der Angeklagte am 13. November 1980 im Wald bei W. den Hochsitz um, auf dem sein Onkel, der später verstorbene Peter D., saß, um die Jagd auszuüben. Der Abstand zwischen der Sitzfläche des Hochsitzes und dem Waldboden etwa 3, 50m. Peter D. fiel herunter und brach sich dabei den rechten Knöchel (Sprunggelenkfraktur).

Der Bruch wurde in den Städtischen Kliniken D. operativ behandelt und mit Metallschrauben sowie einer Metallasche stabilisiert. Am 2. Dezember 1980 wurde der Verletzte aus dem Krankenhaus entlassen. Weder hierbei noch vorher waren ihm blutverflüssigende Mittel gegeben . oder Anweisungen darüber erteilt worden, wie er sich zu Hause verhalten solle. Auch eine Nachbehandlung fand nicht statt. Zu Hause war der Verletzte fast ausschließlich bettlägerig. Am 19. Dezember 1980 wurde er mit akuter Atemnot in die Städtischen Kliniken W. eingeliefert, wo er noch am Morgen desselben Tages verstarb. Todesursache war – wie die Obduktion ergab – Herz-Kreislauf-Versagen infolge des Zusammenwirkens einer doppelseitigen Lungenembolie mit einer herdförmigen Lungenentzündung in beiden Lungenunterlappen; Embolie und Lungenentzündung hatten sich in Abhängigkeit zu dem verletzungsbedingten längeren Krankenlager entwickelt. Darüber hinaus wurden bei dem Verstorbenen altersbedingte Verschleißerscheinungen am Herz- und Kreislaufsystem festgestellt.

Die Vorinstanz:

Das Landgericht hat den Angeklagten nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB) verurteilt, weil ihm nicht nachgewiesen werden könne, daß er die Todesfolge fahrlässig verursacht habe. Zweifelhaft bleibe, ob der Tod des Verletzten ausschließlich oder mindestens überwiegend auf die »der zugefügten Körperverletzung« eigentümlichen Gefahren zurückgehe. Es lasse sich nicht ausschließen, daß »letztlich erst das Hinzutreten besonderer, für den Angeklagten nicht erkennbarer und daher ihm nicht anzulastender Umstände« für den tödlichen Ausgang entscheidend gewesen sei. Solche »besonderen Umstände« erblickt das Landgericht hier darin, daß dem Verletzten keine Bewegung verordnet worden sei und er auch keine blutverflüssigenden Mittel erhalten habe. Damit seien »all die Maßnahmen unterblieben, die möglicherweise trotz der bestehenden Vorschädigung und des langen Krankenlagers den Eintritt des Todes verhindert hätten«. Da diese Unterlassungen für den Angeklagten »nicht ohne weiteres erkennbar« gewesen seien, habe er den Tod des Verletzten nicht vorhersehen können, so daß ihn auch nicht der Vorwurf der Fahrlässigkeit treffe.

Der BGH dazu:

Diese Begründung ist – was die Auslegung des § 226 StGB angeht – nicht frei von Rechtsfehlern.
Der Tatbestand dieser Vorschrift setzt voraus, daß durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge Fahrlässigkeit zur Last fallen muß (§ 18 StGB). Dabei reicht es freilich nicht aus, daß zwischen der Körperverletzungshandlung und dem Todeserfolg überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang besteht, die Körperverletzung also nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß damit zugleich der Tod des Verletzten entfiele. Vielmehr ergibt sich aus Sinn und Zweck des § 226 StGB, daß hier eine engere Beziehung zwischen der Körperverletzung und dem tödlichen Erfolg verlangt wird. Die Vorschrift soll der mit der Körperverletzung verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken. Sie gilt deshalb nur für solche Körperverletzungen, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen; gerade diese Gefahr muß sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben. Der hat deshalb die Voraussetzungen des § 226 StGB in solchen Fällen verneint, in denen der Tod des Verletzten nicht unmittelbar »durch« die Körperverletzung, sondern durch das Eingreifen eines Dritten oder das eigene Verhalten des Opfers herbeigeführt worden war.

Diese Einschränkung bedeutet jedoch nicht, daß die Anwendung des § 226 StGB stets ausgeschlossen wäre, wo die Körperverletzungsfolge – für sich gesehen – nicht mit dem Risiko eines tödlichen Ausgangs behaftet erscheint und der Tod des Verletzten dann erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände herbeigeführt wird. Soweit die Vorschrift verlangt, daß sich im Tod des Verletzten die der Körperverletzung eigentümliche Gefahr verwirklicht hat, kommt es nicht nur auf die zunächst eingetretene Körperverletzungsfolge an. Zwar ist der in § 226 StGB vorausgesetzte Ursachenzusammenhang regelmäßig gegeben, wenn die Körperverletzungsfolge nach Art, Ausmaß und Schwere den Eintritt des Todes besorgen läßt.

Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich indessen nicht auf die Herbeiführung lebensbedrohlicher Körperschäden und Gesundheitsbeeinträchtigungen. Eine derart einengende Auslegung des Gesetzes würde dem Schutzzweck der Vorschrift nicht gerecht; sie findet auch im Wortlaut des § 226 StGB keine Stütze. Danach genügt es, daß durch die »Körperverletzung« der Tod des Verletzten verursacht worden ist. Als »Körperverletzung« stellt sich nicht nur die jeweils eingetretene Verletzungsfolge dar; vielmehr umfaßt dieser Begriff auch das Handeln des Täters, das zu der Körperverletzungsfolge geführt hat. Demgemäß reicht es für den Tatbestand des § 226 StGB bereits aus, daß der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet und sich dann dieses dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Todes verwirklicht.

Am damit vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Körperverletzung und Todesfolge fehlt es nicht immer schon dann, wenn zunächst nur eine Verletzung eintrat, die – für sich genommen – nicht lebensbedrohlich erschien, dann aber doch infolge des Hinzutretens besonderer Umstände zum Tod des Verletzten führte. Liegt der tatsächliche Geschehensablauf, der Körperverletzung und Todesfolge miteinander verknüpft, nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit – wie es etwa bei der außergewöhnlichen Verkettung unglücklicher Zufälle der Fall wäre –, dann kann sich im Tod des Opfers jene Gefahr verwirklicht haben, die bereits der Körperverletzungshandlung anhaftete; dies gilt auch dann, wenn diese Gefahr in der zunächst eingetretenen Verletzungsfolge als solcher noch nicht zum Ausdruck gekommen war.

So verhält es sich hier. Der Angeklagte hatte, indem er den Hochsitz umwarf, um seinen Onkel zu verletzen, eine Handlung begangen, die für das Opfer das Risiko eines tödlichen Ausgangs in sich barg. Die Gefahr für das Leben des Verletzten hat sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen. Daran ändert es nichts, daß die zunächst verursachte Verletzung (Knöchelbruch) für sich genommen nicht lebensbedrohlich erschien. Der Tod des Verletzten ist auf Grund eines Geschehensablaufs eingetreten, der nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit lag. Daß eine Sprunggelenkfraktur zu einem längeren Krankenlager des Verletzten führt, stellt sich nicht als ein außergewöhnlicher Verlauf dar. Es widerspricht auch nicht jeder Erfahrung, daß ein längeres, verletzungsbedingtes Krankenlager die Entwicklung lebensgefährlicher Embolien und Lungenentzündungen begünstigt. Daß die Gefahren einer solchen Entwicklung verkannt werden, wirksame Gegenmaßnahmen unterbleiben und deshalb der Tod des Verletzten eintritt, ist nicht in einem solchen Maße unwahrscheinlich, daß hierdurch der Zusammenhang unterbrochen würde, der – im Sinne des § 226 StGB – den Tod des Opfers mit der dafür ursächlichen Körperverletzung verbindet.

Demgemäß kommt es lediglich noch darauf an, ob der Angeklagte den Tod des Verletzten vorhersehen konnte. Das Landgericht hat diese Frage verneint, bei seiner Prüfung jedoch einen unrichtigen Ausgangspunkt gewählt. Seine Ausführungen lassen erkennen, daß es lediglich darauf abstellt, ob der Angeklagte vorhersehen konnte, daß die tatsächlich eingetretene Körperverletzungsfolge (Sprunggelenkfraktur) zum Tod des Verletzten führen würde. Das ist rechtsfehlerhaft. Vielmehr wäre zu prüfen gewesen, ob der Angeklagte bei der Vornahme der Körperverletzungshandlung selbst, also vor Eintritt der Verletzungsfolge, vorhergesehen hat oder vorhersehen konnte, daß diese seine Handlung den Tod des Opfers nach sich ziehen werde. Diese Prüfung hat das Landgericht nicht angestellt.

Schon deshalb kann das Urteil keinen Bestand haben.
Die neu erkennende Schwurgerichtskammer wird die Frage der Vorhersehbarkeit des tödlichen Ausgangs für denjenigen Zeitpunkt zu beantworten haben, in dem der Angeklagte den Hochsitz umwarf, um seinen Onkel zu verletzen. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis veranlaßt, daß sich die Vorhersehbarkeit nicht auf alle Einzelheiten des daran anschließenden, zum Tod des Verletzten führenden Geschehensablaufs zu erstrecken braucht.
Ein nicht völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung liegender Geschehensablauf wird regelmäßig auch vorhersehbar sein, so daß der Fahrlässigkeitsvorwurf nur dann entfällt, wenn der Angeklagte nach seinem individuell-persönlichen Wissens- und Erfahrungsstand nicht in der Lage gewesen ist, sich den Tod des Opfers als mögliche Folge der von ihm begangenen Körperverletzung vorzustellen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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