Wechselseitige Beleidigung und Notwehr

Die wechselseitige ist im Alltag gar nicht so unüblich: Der eine beleidigt den anderen, woraufhin der Beleidigte das schnell und souverän erwidert. Dieses Alltagsphänomen berücksichtigt auch der Gesetzgeber, der in §199 StGB normiert hat:

Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären.

Warum es diese Regel gibt, ist dogmatisch – im Elfenbeinturm – umstritten, es gibt hier verschiedene „Kompensationstheorien“, wobei es das KG ((3) 1 Ss 545/08 – 2/09) seinerzeit ganz gut traf:

Dementsprechend kann auch derjenige, auf dessen Beleidigung der Beleidigte mit einer ebensolchen reagiert hat, nach § 199 StGB für straffrei erklären, weil er – so die ratio legis – mit der ihn beleidigenden Erwiderung bereits eine Art „Strafe“ erhalten hat, die eine weitere Bestrafung überflüssig machen kann […]

Umgangssprachlich: Die Sache hat sich erledigt. Allzu viel Rechtsprechung gibt es zum §199 StGB allerdings nicht, aktuell fällt insofern eine Entscheidung des OLG Koblenz (2 Ss 30/11) auf, die sich der Thematik recht ausführlich widmet.

Wann liegt eine „wechselseitige“ Beleidigung vor?

Dabei werden hier wenig neue Erkenntnisse geliefert und die bisherigen schlicht bestäigt, als da wären:

  1. Auf die zeitliche Abfolge der Beleidigungen kommt es nicht an – insbesondere ist „auf der Stelle“ nicht als „sekundenschnell“ zu verstehen, sondern psychologisch auszulegen. Das heisst, es kommt darauf an, ob es für den Beleidiger aus dessen Sicht noch eine „Antwort“ war oder dann doch eine verselbstständigte Beleidigung.
  2. Es kann auch derjenige für Straffrei erklärt werden, der als erster die Beleidigung ausgesprochen hat.
  3. Es ist nicht nötig, dass die wechselseitig begangenen Beleidigungen erwiesen sein müssen, um diese Straffreiheit zuzusprechen

Gerade der letzte Punkt ist sicherlich auf den ersten Blick schwer nachzuvollziehen, wird aber klar, wenn man die Systematik vor Augen hat: Bei der Frage, ob auf die ausgesprochene Beleidigung eine andere erwidert wurde, handelt es sich um ein begünstigendes Merkmal für den Angeklagten.

Es genügt ein enger „psychologischer“ Zusammenhang zwischen den Beleidigungen, auch wenn eine gewisse Zeit dazwischen liegt

Damit begünstigende Merkmale bei der Würdigung in einem Strafprozess Anwendung finden können, müssen diese gerade nicht erwiesen sein (anders als belastende Merkmale), sondern es reicht, dass diese nicht auszuschliessen sind. Dazu das OLG Koblenz (2 Ss 30/11) umfassend:

Für die Straffreiheit wechselseitiger Beleidigungen nach § 199 StGB kommt es nicht auf deren zeitliche Abfolge an. Entscheidend ist allein, dass es sich um wechselseitige, d.h. unmittelbar aufeinanderfolgende, in einem spezifischen Zusammenhang stehende Beleidigungen handelt. Dem entsprechend kann auch derjenige, auf dessen Beleidigung der Beleidigte mit einer eben solchen reagiert hat, nach § 199 StGB für straffrei erklärt werden. Das Gericht hat daher von Amts wegen in einer Gesamtbewertung aller die Tat und den Täter betreffenden Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob der Täter durch die korrespondierende Tat des anderen bereits eine Art „Strafe“ erhalten hat und es deshalb einer weiteren Bestrafung von Seiten des Gerichts nicht mehr bedarf (vgl. KG, Beschluss vom 23. Januar 2009 (3) 1 Ss 545/08 – 2/09 -). Dass die Gegenbeleidigung ihrerseits erwiesen ist, ist für die Anwendbarkeit des § 199 StGB keine notwendige Voraussetzung. Insoweit gilt der allgemeine Grundsatz, dass mögliche Milderungsgründe, die zwar nicht feststellbar, aber auch nicht auszuschließen sind, zugunsten des Angeklagten wirken (vgl. BGHSt 10, 373).

Zeitliches Moment bei wechselseitiger Beleidigung

Auch die konkrete Betrachtung des Merkmals „wechselseitig“ ist dabei nicht intensiv auszulegen.  Das Tatbestandsmerkmal „auf der Stelle“ ist dabei nicht nur zeitlich, sondern vor allem psychologisch zu verstehen und es genügt ein enger „psychologischer“ Zusammenhang zwischen den beleidigenden Äußerungen, auch wenn eine gewisse Zeit dazwischen liegt (so ausdrücklich , 1 RVs 188/19).

Wechselseitige Beleidigung bei Verfolgungshindernis?

Die Privilegierung des §199 StGB kann dabei auch greifen, wenn die ursprüngliche Beleidigung nicht mehr verfolgt werden kann:

Denn der Anwendung des § 199 StGB steht nicht entgegen, dass die nachfolgende Beleidigung – wegen der Rücknahme des Strafantrages durch den Angeklagten – strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden kann, noch kommt es auf die zeitliche Abfolge der Beleidigungen an, sondern entscheidend ist allein, dass es sich um wechselseitige, d.h. unmittelbar aufeinander folgende, in einem spezifischen Zusammenhang stehende Beleidigungen handelt (…) Dementsprechend kann auch derjenige, auf dessen Beleidigung der Beleidigte mit einer ebensolchen reagiert hat, nach § 199 StGB für straffrei erklären, weil er – so die ratio legis – mit der ihn beleidigenden Erwiderung bereits eine Art „Strafe“ erhalten hat, die eine weitere Bestrafung überflüssig machen kann 

KG, (3) 1 Ss 545/08 (2/09)

„Ehrennotwehr“ – Notwehr nach einer Beleidigung?

Es gibt in der Tat den Rechtfertigungsgrund der „Ehrennotwehr“. Wenn getätigte Äußerungen in der konkreten Lebenssituation unter dem Gesichtspunkt der „Ehrennotwehr“ als „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ gemäß § 32 Abs. 1 StGB gerechtfertigt sind, liegt Straffreiheit vor.

Aber: Das Eingreifen einer möglichen Rechtfertigung wegen „Ehrennotwehr“ betrifft in der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung alleine die Frage, ob und inwieweit (tätige)  gegen eine Beleidigung geübt werden kann (hierzu RGSt 29, 240, 241). In dieser Konstellation ist nach Maßgabe des § 32 StGB sehr sorgfältig zu prüfen, ob bei einem ehrverletzenden Angriff durch Worte eine tätliche Abwehr nach Art und Maß erforderlich ist (BGHSt 3, 217, 218 und Oberlandesgericht Köln, 1 RVs 188/19).  Insoweit darf man nicht zwingend annehmen, dass die Ehrennotwehr auch die Beleidigung als Abwehrhandlung umfasst.

Zwar gibt es Kommentarliteratur (so etwa Schönke-Schröder-Eisele/Schnittenheim, 30. Auflage, § 185 Rn. 15; Leipziger Kommentar-Hilgendorf, StGB, 12. Auflage, § 185 Rn. 42) die den Begriff der „Ehrennotwehr“ ausdehnt und prüft, ob eine Notwehrhandlung, die in einer Beleidigungbesteht, zur Abwehr einer noch nicht beendigten Ehrenkränkung erforderlich ist. Mit den allgemeinen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrundsätzen muss eine Verteidigungshandlung nach Maßgabe der §§ 32, 34 StGB aber schliesslich auch geeignet und erforderlich sein, den Angriff zu beenden bzw. die Gefahr abzuwenden. Selbst wenn an die Eignung der Verteidigungshandlung keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen und es ausreicht, wenn ein Abwehrerfolg, und sei es auch nur in Form einer Abschwächung oder Verzögerung des Angriffs oder einer Verringerung der Gefahr einer Verletzung, nicht von vornherein aussichtslos erscheint, kann eine entsprechende Eignung jedenfalls dann nicht festgestellt werden, wenn Handlungen zur Verbesserung der Lage des angegriffenen Rechtsgutes objektiv und aus Sicht des Angegriffenen überhaupt nichts beitragen können (so zusammenfassend Oberlandesgericht Köln, 1 RVs 188/19).

Seien Sie Umsichtig: Die Rechtsprechung möchte sich offensichtlich die Türen aufhalten, um im Einzelfall zu entscheiden und abzuwägen. In der Tat muss man sich nicht jede Unverschämtheit bieten lassen, gleichwohl merkt man immer wieder, dass eine gewisse Besonnenheit erwartet wird. Jedenfalls ist die Straffreiheit nach einer wechselseitigen Beleidigung auf keinen Fall garantiert.

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Jens Ferner

Strafverteidiger

Vorsicht mit wechselseitigen Beleidigungen

Wichtig ist am Ende die Betonung auf „kann straffrei erklärt werden“. Keineswegs ist es zwingend für den Richter, von Strafe abzusehen. Insofern sollte man in seinem Alltagsverhalten nicht zwingend auf diese Norm spekulieren, in vielen Fällen wird sich auch schlicht eine anbieten nach einer wechselseitigen Beleidigung.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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