Anmerkung: Zu den Reform-Gedanken der Tötungsdelikte (2014)

Durchaus überraschend wurde angekündigt, dass noch in dieser Legislaturperiode die Tötungsdelikte im deutschen Strafrecht reformiert werden sollen. So liest man etwa bei Tagesschau.de:

Bundesjustizminister Heiko Maas will die Paragrafen zu und überprüfen lassen. Bei den Tötungsdelikten im Strafgesetzbuch gebe es einen „gesetzgeberischen Regelungsbedarf“, sagte der SPD-Politiker der „Süddeutschen Zeitung“.

Diese Diskussion an sich besteht nicht erst seit gestern und gerne wies dabei – wie auch jetzt – auf die gesetzliche Fassung von vor dem 15. September 1941 verwiesen. Ist ein (zeitlicher) Rückschritt des Gesetzgebers vielleicht gar ein (juristischer) Fortschritt?

Zur Gesetzeslage

Einleitung

Die Diskussion kann nur in Kenntnis der rechtlichen Lage geführt werden. Insoweit ist es korrekt, dass die bis heute gültige Fassung der „Definition“ eines Mörders im §211 II StGB seit dem 15.11.1941 nahezu unverändert im StGB steht und insoweit nicht nur aus der nationalsozialistischen Zeit Deutschlands stammt, sondern von dem damaligen Gedankengut auch geprägt ist. So ist bereits festzustellen, dass §211 II StGB gar nicht von einem „Mord“ spricht, sondern die Merkmale eines „Mörders“ festlegt. Anknüpfung der Strafe ist damit schon sprachlich nicht (alleine) die Tat(ausführung), sondern der Täter. Dies ist Ausprägung eines Gedankenguts des „Täterstrafrechts“, das im Gegensatz zu einem „Tatstrafrecht“ steht.

Deutsches Strafrecht

Unser Strafsystem und die zugehörige strafrechtliche Dogmatik ist äussert komplex und kann hier nicht einmal ernsthaft angerissen werden. Die heutige Prägung unseres Strafrechts ist letztlich höchst umstritten – und leider auch häufig schlicht falsch dargestellt. Wer etwa bei „Wikipedia“ den Beitrag zum Täterstrafrecht liest, findet dort u.a. diesen Satz

Aber auch das geltende deutsche Jugendstrafrecht ist ein Täterstrafrecht, in dem die Strafe anhand der Persönlichkeit des Täters, seiner „schädlichen Neigungen“ bestimmt wird. (Zu finden am 09.02.2014)

Dies zeigt die schnellen Missverständnisse bei den Begrifflichkeiten (um es höflich auszudrücken). Denn das Jugendstrafrecht in Deutschland ist von dem Gedanken geleitet, dass junge, noch nicht entwickelte, Persönlichkeiten mehr Unterstützung und Erziehung als Strafe benötigen (siehe §2 JGG). Nicht der Täter und seine persönliche („schädliche“) Gesinnung stehen damit im Fokus, sondern die Tatsache, dass „blindes Strafen“ hier schlicht unangemessen und sogar kontraproduktiv sein wird.

Unser Strafrecht möchte wohl, so der Anspruch, von Gedanken eines „Täterstrafrechts“ und „Gesinnungsstrafrechts“ entfernt sein – gleichwohl, nicht zuletzt wegen der historischen Wurzeln unseres StGB, wird dieser Wunsch hin und wieder durchbrochen. Wolf hat das in einem einem Aufsatz 1996 gut dargestellt, der an Aktualität nicht verloren hat. Und so genügt etwa in Blick in den heutigen §46 II StGB um zu sehen, dass die „Gesinnung“ weiterhin Teil unseres Strafsystems ist, ebenso wie man die „niederen Beweggründe“ eben im §211 StGB von heute findet.

Die Fassung vor 1941

Die frühere Fassung der §§211, 212 StGB ist kurz dargestellt:

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§211 StGB, 1872-1941: „Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.“

Bildschirmfoto 2014-02-09 um 09.39.16§212 StGB, 1872-194: „Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung nicht mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Todtschlages mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.“

Vergleich

Jeder Laie erkennt auf einen Blick: Der §211 StGB heute und damals – da liegen Welten zwischen. Jedenfalls muss man anerkennen, dass man mit erheblich weniger Text bis 1941 ausgekommen ist. Und zur Unterscheidung zischen Mord und Totschlag gibt es im Ergebnis nur ein Kriterium, die „Überlegung“. Was man sich darunter vorzustellen hat, erschliesst sich nicht auf den ersten Blick. Der Volksmund sagte hierzu häufig „Totschlag ist im Affekt begangen“, was die Sache wohl ganz gut treffen mag.

Franz von Liszt und Ernst Delaquis kommentierten in ihrer Kommentierung des StGB von 1914 die „Überlegung“ im Sinne der §§211, 212 StGB so:

„Über den Vorsatz hinausgehend und von ihm unabhängig festzustellen“

Es ging in der damaligen Terminologie also um ein „Plus zum Vorsatz“, in jedem Fall um einen inneren Ansatzpunkt, wenngleich (wohl?) auch um kein Gesinnungsmerkmal. Der Gedanke mag seinerseits gewesen sein, dass die Tötung eines anderen nochmals unterschiedlich zu beurteilen ist, wenn sie entweder „spontan“ aus einer Situation heraus entstanden ist oder mit Kalkül, in gewissem Sinne planend, begangen wurde.

Rechtsprechung

Der §211 StGB hat in der Literatur diverse Bezeichnungen erfahren, von „problematischen Tatbestandsmerkmalen“ (genau: Tätermerkmalen) bis hin zu „fragwürdiger Systematik“ findet sich jegliche Form von Kritik. Die Rechtsprechung nahm die Problematik auch durchaus in die Zange, sowohl als auch haben sich hiermit beschäftigt und im Ergebnis festgestellt, dass mit restriktiver, zurückhaltender Auslegung und Anwendung ein Lösungsweg gefunden werden kann. Offen werden daneben Ansätze einer „Typenkorrektur“ in der Literatur besprochen. Es ist also keinesfalls so, dass die nun öffentlich diskutierte Frage bisher unbeachtet war – vielmehr existiert eine jarhzehntelange BGH-Rechtsprechung, die sich gerade an dieser Problematik orientiert.

Das „Haustyrannen-Dilemma“

In der Süddeutschen Zeitung wird zudem darauf verwiesen, dass ein so genanntes „Haustyrannen-Dilemma“ ebenfalls bei den Überlegungen eine Rolle spielen soll:

Ein Mann, der seine Frau erschlägt, kommt bisher womöglich mit Totschlag davon, also mit einer mehrjährigen . Die Ehefrau, die jahrzehntelang von ihrem Mann gequält worden ist, und den Haustyrannen vergiftet, bekommt aber automatisch „lebenslänglich“, da der Einsatz von Gift als heimtückisch gilt und damit immer als Mord geahndet werden muss. Der Minister will mit der Reform des Mordparagrafen auch dieses Dilemma lösen.

Dieses ebenso schlechte wie unangebrachte Bild wird die im Kern sinnvolle Diskussion gleich vielfach vergiften. So gab es in den vergangenen Jahrzehnten durchaus Fälle des „Familientyranns“, der von seiner Ehefrau getötet wurde. Rein statistisch aber wurde hierbei in der BGH-Rechtsprechung vor allem ein durch die Ehefrau genutzt, der Verweis auf ein „Gift“ entspricht insofern eher einem Klischee als der Realität.

Die Problematik gerade beim „Familientyrann“ lag dabei auf anderer Ebene: Der BGH hatte bereits 1969 festgestellt, dass in einer Ehe besondere Regeln gelten sollen und dies bis in die 1980er weiter ausgebaut. Im Kern lässt es sich so zusammenfassen, dass man innerhalb einer Ehe besondere Fürsorgepflichten hat, die eventuell bestehende Notwehrrechte gar einschränken sollen. So erging es dann etwa der Ehefrau, die sich schützend ein Messer vor den Bauch hielt, in das der herumwütende Ehemann (unter Androhung von Prügel) dann hinein lief. Oder auch der Frau, die nach jahrelanger ständiger Schläge nach der Ankündigung „Und gleich bist du wieder dran“ nicht mehr abwarten wollte sondern sich wehrte. Diese, aus heutiger Sicht durchaus befremdliche, Rechtsprechung wird allmählich – wenn auch sehr langsam – korrigiert. Etwa im Jahr 2003, als der BGH (1 StR 483/02) andeutete, dass auch in einer Ehe mildernde Umstände beim töten des schlafenden Gatten in Betracht kommen. Übrigens wurde auch hier kein Gift genutzt, sondern ein Revolver: Der Ehemann wurde im Schlaf mit 8 Schüssen erschossen. So viel zum Klischee. (Hinweis: Rechtswissenschaftlich Interessierte sollten einen Blick in „Ehe und Familie im Strafrecht: eine strafrechtsdogmatische Untersuchung“ von Schramm werfen).

Überblick

Ich kann hier zu der seit langem existierenden Diskussion nur sehr kleine Denkanstöße und einen äusserst rudimentären Überblick bieten. Fakt ist, dass wir heute in deutschen Gerichtssälen ein äusserst modernes und differenziertes Strafzumessungssystem erleben. Wenn der Deutsche Anwaltverein etwa meint, dass ein einheitlicher Tötungstatbestand im Strafgesetzbuch ausreicht und alles weitere über die gelöst werden kann, ist dies keineswegs abwegig. Auch ist es eine Illusion, zu glauben, den Angehörigen von Opfern ist damit gedient, dass man vor Gericht diskutiert, ob die Tötung aus „niederen Beweggründen“ geschehen ist – welche Beweggründe des Täters sind denn bei der Tötung eines nahen Angehörigen für die Angehörigen, aus deren subjektiv-betroffener Sicht, nicht mehr niedrig?

Es wird abzuwarten sein, wohin sich die Diskussion entwickelt. Festzuhalten ist jedenfalls, dass diese Diskussion überfällig ist und durchaus ihre Berechtigung hat; man kann ihr also durchaus offen gegenüber stehen, sei es als Jurist oder als juristisch interessierter Laie. Zu hoffen ist aber auch, dass „der Gesetzgeber“ mit Ruhe an die Sache heran geht. Die letzten Reformbestrebungen im Strafrecht, vor allem die 1998, haben – wohl zu Recht – sehr viel Kritik erhalten. Ein derart sensibles Thema braucht aber keine Lösung, die mit der heissen Nadel gestrickt wurde.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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