Akteneinsichtsrecht: Akteneinsicht durch den Verletzten im Strafprozess

Das Oberlandesgericht Hamm (5 Ws 541/17) konnte sich zum Akteneinsichtsrecht des Verletzten äussern und feststellen:

  • Die Entscheidung über die des Verletzten ist nach § 406e Absatz 1 Satz 1 und 4 Satz 1 und 4 in Verbindung mit § 304 StPO anfechtbar.
  • Bei der Entscheidung über eine Beschwerde gegen die Versagung der Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO besteht keine Beschränkung der Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts auf Ermessensfehler.
  • Von dem Akteneinsichtsrecht gemäß § 406e Abs. 1 StPO wird grundsätzlich der gesamte Akteninhalt erfasst. Eine Einschränkung ergibt sich nur bei Vorliegen überwiegend schutzwürdiger Interessen eines Angeklagten oder anderer Personen an der Geheimhaltung der relevanten Informationen. Prüfungsmaßstab ist dabei auch die Frage, ob das Recht eines Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung durch eine Akteneinsicht als unverhältnismäßige oder sachwidrige Maßnahme beeinträchtig wird. Im Rahmen der verfassungsmäßigen Abwegung bei der Anwendung des § 406e StPO ist die mildeste Maßnahme in Bezug auf den Eingriff in die Rechte des Angeklagten zu wählen, die gleichsam zur effektiven Wahrnehmung des mit der Akteneinsicht verfolgten Zwecks erforderlich ist.
  • Eine Preisgabe von Gesundheits- und Patientendaten Dritter kann der Gewährung von Akteneinsicht entgegenstehen.

Aus der Entscheidung:

Die Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten ist nach § 406e Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 und 4 StPO in Verbindung mit § 304 StPO anfechtbar. Auch § 305 Absatz 1 StPO steht dem nach Eröffnung des Hauptverfahrens mangels Verweisung nicht entgegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 406e, Rn. 11; Baumhöfener/Daber/Wenske, NStZ 2017, 562) […] war der Senat zur vollständigen inhaltlichen Überprüfung des angegriffenen Beschlusses berufen. Bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht besteht keine Beschränkung der Prüfungsbefugnis auf Ermessenfehler, da sich eine solche – beispielsweise im Gegensatz zu § 453 Abs. 2 StPO – nicht aus dem Gesetz ergibt. Ist die Beschwerde begründet, so muss das Gericht auch in Ermessensfragen eine eigene Sachentscheidung treffen. Die Vorentscheidung wird durch eine eigene Ermessensentscheidung ersetzt (vgl. OLG Schleswig, NJW 1976, 1467; OLG Hamm NJW 2012, 3046) […]

Bei Vorliegen der Verletzteneigenschaft und der Zulassung als Nebenklägerin wird von dem Akteneinsichtsrecht nach § 406e StPO grundsätzlich der gesamte Akteninhalt erfasst (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 406e, Rn. 4). Eine Einschränkung dieses umfassenden Akteneinsichtsrechts des Verletzten ergibt sich danach nur bei Vorliegen überwiegend schutzwürdiger Interessen eines Angeklagten oder anderer Personen an der Geheimhaltung der relevanten Informationen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 406e Rn. 6; OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2015 – 1 Ws 123/15). Prüfungsmaßstab ist dabei auch die Frage, ob das Recht des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung, d.h. das Recht über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen, durch eine etwaige Akteneinsicht als unverhältnismäßige oder sachwidrige Maßnahme beeinträchtigt wird. Die gegenläufigen Interessen von Verletztem und Angeklagtem sind insoweit gegeneinander abzuwägen (BVerfG, Beschluss vom 04.12.2008 – 2 BvR 1043/08). Bei der Prüfung gemäß § 406 Abs. 2 S. 1 StPO ist davon auszugehen, dass diese Vorschrift einen vertretbaren Ausgleich im schwierigen Spannungsverhältnis zwischen , Verteidigungsinteressen, Wahrheitsfindung, Funktionsinteressen der Strafrechtspflege und dem legitimen, verfassungsrechtlich abzuleitenden Informationsanspruch des Verletzten sucht (BGH, Beschluss vom 21.02.2011, 4 BGs 2/11). Geschäfts- und Steuergeheimnisse sind dabei zu beachten (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 406e, Rn. 6) […]

Der Senat hat bedacht, dass als milderes Mittel gegenüber der Versagung von Akteneinsicht stets eine nur auszugsweise Akteneinsicht oder die Einsicht in anonymisierte Unterlagen zu prüfen ist (BVerfG NJW 2003, 501). Dies gilt nicht nur in Bezug auf den gesamten Akteninhalt, sondern auch innerhalb einzelner Aktenbestandteile, so beispielsweise der Sonderbände. (…) Der Umfang der vorzunehmenden Schwärzungen bzw. „Entheftungen“ in diesen Aktenbestandteilen wäre nach alledem jedoch so umfangreich, dass der Informationscharakter derselben fast vollständig verloren ginge. Ein derartiges Vorgehen erscheint zur Erreichung des mit der Akteneinsicht verbunden Zwecks daher nicht geeignet. Überwiegen – wie vorliegend – die Interessen des Angeklagten bzw. dritter Personen die Interessen einer Verletzten gemäß § 406e StPO ist die Akteneinsicht bei nicht mehr gegebenem Informationscharakter der Einzelbestandteile im Falle von weitreichenden Schwärzungen dann gänzlich zu versagen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Benutzerbild von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.