BTM-Strafrecht: Urteil muss Angaben zum Wirkstoffgehalt machen

Das strafgerichtliche Urteil muss in BTM-Strafsachen Festellungen hinsichtlich der Menge und des Wirkstoffgehaltes enthalten, andernfalls leidet es an einem erheblichen Mangel. Geschehen muss dies in erster Linie durch ein Wirkstoffgutachten – eröffnet ist dabei Aber auch die Möglichkeit der durch das Gericht, solange die Grundlagen der Schätzung mitgeteilt werden und nachvollziehbar sind.

Hier gilt, dass nähere Feststellungen zur Qualität des Rauschgifts nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der im Regelfall unerlässlich sind, da das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge bestimmt werden (BGH, 4 StR 517/11).

Absehen von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt

Von genaueren Feststellungen darf jedoch ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffes das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können. Soweit konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nicht getroffen werden können, da die Betäubungsmittel inzwischen vernichtet, verbraucht oder unbekannt weitergegeben wurden und deshalb für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stehen, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung anderer hinreichend sicher festgestellter Tatumstände (wie Herkunft, Preis, Aussehen, Verpackung, Verplombung des Rauschmittels, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Qualität eines bestimmten Lieferanten) und des Grundsatzes „in dubio pro reo“ die für den Angeklagten günstigste Wirkstoffkonzentration und Betäubungsmittelqualität bestimmen; ansonsten lässt es einen für die Bestimmung des Schuldumfangs wesentlichen Umstand außer Betracht.

Schätzung des Wirkstoffgehalts

Nur wenn Rückschlüsse auf den Wirkstoffgehalt der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel auch nicht durch Parallelverfahren oder Teilsicherstellungen möglich sind , kann der Tatrichter den Wirkstoffgehalt nach einer sorgfältigen Würdigung im konkreten Einzelfall schätzen.

BGH zum Wirkstoffgehalt

Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH und wird von ihm beispielhaft wie folgt auf den Punkt gebracht (BGH, 1 StR 43/16):

Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht kann auf nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt deshalb regelmäßig nicht verzichtet werden (…)

Stehen die Betäubungsmittel nicht für eine Untersuchung der Wirkstoffkonzentration zur Verfügung, ist diese – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – unter Berücksichtigung der sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) durch eine „Schätzung“ festzulegen (…)

Schon sehr früh liest man dies auch in einem Urteil des OLG Hamm 2 Ss 485/2004 nach:
Im Zeitraum von November bis Dezember 2002 verkaufte der Angeklagte dem gesondert Verfolgten X.X. täglich, mithin in mindestens 60 Einzelfällen jeweils ca. 1,5 Gramm für 100,00 bis 120,00 EURO.“
Diese Feststellungen sind lückenhaft (§ 267 StPO).
Dahinstehen kann, ob allein schon der Umstand zur Aufhebung führt, dass sich dem angefochtenen Urteil der Tatort des mitgeteilten Tatgeschehens nicht entnehmen lässt. Dahinstehen kann auch, ob es zu beanstanden ist, dass nach dem Wortlaut der getroffenen Feststellungen auch davon ausgegangen werden könnte, dass der Angeklagte dem X.X. in 80 Fällen insgesamt ca. 1,6 Gramm Haschisch verkauft hat – insoweit fehlt offenbar das Wort „jeweils“. Jedenfalls ist das angefochtene Urteil aber deshalb aufzuheben, weil das Amtsgericht keine eindeutigen Feststellungen zu dem dem Angeklagten zur Last gelegten Schuldumfang getroffen hat. Vorliegend wird dem Angeklagten vorgeworfen, in insgesamt 140 Fällen mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben zu haben. Festgestellt hat das Amtsgericht, dass es sich in 80 Fällen um Heroin und in 60 Fällen um Haschisch gehandelt hat; auch Angaben zur jeweiligen Menge des Heroins bzw. des Haschisch werden gemacht. Es fehlen jedoch Angaben zur Qualität bzw. zum zumindest vorhandenen Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel. Insoweit sind die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen also lückenhaft und nicht ausreichend (so auch schon Senat im Beschluss vom 4. März 2004, 2 Ss 74/04, http://www.burhoff.de; siehe auch Beschluss des 3. Strafsenats des OLG Hamm vom 30. September 2003, 3 Ss 0/03 mit weiteren Nachweisen).
Neben der Art und der Menge des Betäubungsmittels, auf das sich die Tat bezieht, ist insbesondere dessen Qualität von wesentlicher Bedeutung für die Strafzumessung. Für den Schuldumfang ist es erheblich, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich in dem jeweiligen Betäubungsmittelgemisch befunden haben (vgl. Körner, , 5. Aufl., § 29 Rn. 425; OLG Köln, VRS 100, 187, 189; jeweils mit weiteren Nachweisen). Vom Tatrichter sind daher konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder es ist von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Ist eine genaue Bestimmung des Wirkstoffgehalts nicht möglich, ist die Qualität des Betäubungsmittels unter Berücksichtigung anderer hinreichend sicher feststellbarer Tatumstände wie beispielsweise Herkunft, Preis und Beurteilung der Betäubungsmittel durch Tatbeteiligte sowie letztlich des Grundsatzes „in dubio pro reo“ zu ermitteln (vgl. Körner, a.a.O., § 29 Rn. 425, 433, § 29 a Rn. 97; OLG Köln, a.a.O.; Senat im Beschluss vom 4. März 2004). Von genaueren Feststellungen darf lediglich dann abgesehen werden, wenn auszuschließen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß zugunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können (vgl. Körner, a.a.O., § 29 a Rn. 85). Hiervon kann im vorliegenden Fall angesichts der jeweils verhängten nicht unerheblichen Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr (Handel mit Heroin) bzw. von drei Monaten (Handel mit Haschisch) jedoch nicht ausgegangen werden. Da zumindest Heroin beim Angeklagten sichergestellt worden ist, dürfte sich insoweit der Wirkstoffgehalt und damit die Qualität des Heroins auch noch feststellen lassen. Anderenfalls muss der Abnehmer als vernommen werden. Entsprechendes gilt für den Handel mit Haschisch.
Das angefochtene Urteil konnte somit keinen Bestand haben, so dass es mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückzuverweisen war (§ 354 Abs. 2 StPO). Der Senat hat davon abgesehen, nur den Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils aufzuheben (vgl. dazu o.a. Beschluss des 3. Senats für Strafsachen, a.a.O.). Zwar lässt sich auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in vergleichbaren Fällen die Tendenz entnehmen, grundsätzlich nur den Rechtsfolgensausspruch aufzuheben, die tatsächlichen Feststellungen jedoch aufrecht zu erhalten (so wohl auch der 3. Strafsenat in dem bereits angeführten Beschluss mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH). Davon ist der Senat vorliegend jedoch deshalb abgewichen, weil die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen das Tatgeschehen allenfalls rudimentär erahnen lassen und damit eine ausreichende Grundlage für die getroffene Rechtsfolgenentscheidung kaum darstellen können. Das Schöffengericht hat weitgehend die Konkretisierung des Anklagesatzes übernommen, einen Lebenssachverhalt hingegen aber selbst nicht dargestellt. \r\n

II. Für die neue weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Das Amtsgericht wird sich in der neuen Hauptverhandlung mit der Frage auseinander zu setzen haben, welche Auswirkungen auf die Strafzumessung der Umstand hat, dass der Angeklagte „seit geraumer Zeit alkoholabhängig“ ist. Ggf. wird durch ein Sachverständigengutachten zu klären sein, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht werden müssen. Jedenfalls wird die Frage der „Alkoholabhängigkeit“ des Angeklagten bei der allgemeinen Strafzumessung zu diskutieren sein.

2. Ist das der Fall, könnte es fraglich sein, ob die Voraussetzungen für das Regelbeispiel des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BtMG erfüllt sind.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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