Die Berichterstattung aus Strafprozessen hat inzwischen eine ganz besondere Bedeutung angenommen. Früher war es tatsächlich wohl so, dass vorwiegend besonders auffällige Prozesse Beachtung gefunden haben. Insbesondere die nicht nur einmalige Berichterstattung über den Ausgang des Prozesses, sondern die kontinuierliche Berichterstattung über den gesamten Verlauf hinweg, war vor allem bei derartig ‚grösseren‘ Prozessen eher anzutreffen.
Dies hat sich heute definitiv geändert – abgesehen von bloggenden Prozessbeobachtern ist auch lokale Presse zunehmend an Prozessen interessiert und berichtet immer häufiger. Und dann auch noch über Auftakt, Verlauf und Ende eines Prozesses. Ein Thema, für Strafverteidiger und Mandanten.
Zum Thema Prozessberichterstattung bei uns:
- Prozessberichterstattung im Strafprozess
- Berücksichtigung von Berichterstattung bei der Strafzumessung
- Staatsanwaltschaft muss mit Pressemeldungen warten
- Prozessberichterstattung: Presse hat Anspruch auf Namensnennung Prozessbeteiligter
- Presse hat Anspruch auf anonymisierten Strafbefehl
- Grenzen der Formulierung in der Prozessberichterstattung
- Zulässigkeit von Öffentlichkeitsfahndung in Presse
- Der digitale Steckbrief
- Online-Fahndung nach Zeugen
Wirkungen der Berichterstattung
Gisela Friedrichsen bringt es im Handbuch für den Fachanwalt Strafrecht auf den Punkt, wenn sie sinngemäß schreibt, dass es fatal ist, davon auszugehen, ein Gericht wäre gegen die Beeinflussung durch öffentliche Berichterstattung immun bzw. würde sich davon gar nicht beeinflussen lassen. Zwingend wird man davon ausgehen müssen, dass Richter immer in irgendeiner Form Einfluss ausgesetzt sind – sei es durch die Berichterstattung alleine oder auch das Feedback des sozialen Umfelds, das sich mit dieser Berichterstattung auseinander setzt.
Die Presse selbst schürt diese Problematik inzwischen immer häufiger – so werden zielgerichtet Beteiligte des Prozesses namentlich benannt. Besonders gerne der Vorsitzende bei einem Landgerichtsprozess und auch der Staatsanwalt. Zugleich ist zu bemerken, dass Strafverteidiger zwar auch, aber – nach subjektivem Empfinden – keineswegs gleich häufig erwähnt werden.
Ich habe mir durchaus einmal die Arbeit gemacht, über ein Online-Archiv (ohne Anspruch auf statistische Korrektheit!) der lokalen Presse zu prüfen, wer in den letzten Jahren wie oft genannt wurde. Dabei fiel mir auf, dass nahezu immer Richter genannt werden, gefolgt von Staatsanwälten. Anwälte wurden deutlich spürbar seltener namentlich erwähnt.
Die namentliche Erwähnung ist dabei keineswegs medialer Neid, sondern meines Erachtens von erheblicher Bedeutung, jedenfalls aus folgenden Gründen:
- Die namentliche Erwähnung von Richtern führt sicherlich dazu, dass diese in gewisser Form selbst in die Öffentlichkeit gezogen werden. Konfrontation mit dem Fall im sozialen Umfeld auf der einen Seite ist vorprogrammiert, das Gefühl sich persönlich mit (kritischer) Berichterstattung angesprochen zu fühlen sicherlich auch.
- Sowohl bei Staatsanwalt als auch bei Richter steht zu befürchten, dass diese durch öffentliche Äußerungen sich selbst in ein rechtes Licht rücken wollen. Es ist insofern bemerkenswert, wenn ich in zunehmenden Presseberichten keine direkten Zitate der Strafverteidiger finde, wohl aber gerichtliche „Anwaltsschelte“ nahezu wörtlich zitiert.
- Es ist das Risiko zu sehen, dass sich Richter/Staatsanwalt sogar bewusst beeinflussen lassen – wenn Sie nämlich versuchen, sich von Einflussnahme frei zu machen und versuchen eine besonders extreme Entscheidung zu treffen bzw. bestimmte Optionen gleich ausschliessen. Gerade die Gefahr ist zu sehen, dass eine sonst zur Diskussion stehende Einstellung etwa bewusst kategorisch ausgeschlagen wird.
- Zu befürchten ist auch letztlich eine Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung, die Prozesse quasi nur noch mit Richter und Staatsanwalt als „Hauptdarsteller“ erleben, während der Verteidiger als Statist fungiert.
- Natürlich muss auch das andere Problem gesehen werden, worum es hier bei der Betrachtung aus Mandantensicht aber nicht geht: Dass der Verteidiger den Prozess für die Medien führt und nicht mehr für den Mandanten. Auch hier bietet sich ein Risiko, das der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist.
Im Rahmen der Verteidigung gilt es als erstes, sich über diese Probleme bewusst zu werden. Es muss sodann abgewägt werden, wie man mit der Situation umgeht: Wendet man sich vorbeugend schon an die Presse? Wartet man passiv ab, ob überhaupt berichtet wird, wobei es m.E. ein Kunstfehler ist, medial unvorbereitet in den Gerichtssaal zu gehen? Fest steht jedenfalls: Gar nicht darüber nach zu denken ist ein fataler Fehler, ebenso, wie sich schmollend „tot zu stellen“, wenn die Presse mal unerwünscht berichtet.
Mögliche Effekte
Die wesentliche Effekte der Berichterstattung lassen sich wohl am sinnvollsten wie folgt, nach der Art der Berichterstattung unterscheiden:
Auftaktberichterstattung
Das Risiko liegt einmal auf der Hand – der Prozess wird in die Öffentlichkeit gezogen, Richter und StA können hinsichtlich Ihres Verhaltens beeinflusst sein. Daneben ist aber das Risiko zu sehen, dass eine schlechte Berichterstattung zum Auftakt bereits eine öffentliche Vorverurteilung begründen kann, was insbesondere bei ausbleibendem Bericht am Ende, über die tatsächliche Entscheidung, zum Problem wird. Ebenfalls dann, wenn Auftaktbericht prominent präsentiert wird, der Freispruch oder die marginale Verurteilung aber „irgendwo hinten“ verschwindet. Insofern mag der Strafverteidiger nach versiebter Auftaktberichterstattung, durch eigene mediale Arbeit Sorge tragen, dass der Abschlussbericht überhaupt erscheint und auch zu finden ist.
Ein erhebliches Problem stellt dabei die eingefärbte mediale Berichterstattung dar: Presse fragt gerne bei Staatsanwaltschaften an, die über eigene Pressesprecher verfügen. Deren Statements – gerne einmal mit der Kamera bebildert – werden dann als objektive Wahrheit vermittelt, ohne dass der Betroffene wenigstens angehört wird. Dabei würde es bereits eine faire Berichterstattung verlangen, dass jedem Einholen eines Staatsanwalts-Statements immer noch folgt, dass man erst einmal dem Betroffenen die Möglichkeit eines Statements gibt. Stattdessen wird die Erklärung der Staatsanwaltschaft – gerne mal nahezu wörtlich – als Pressebericht vermittelt. Das fördert nicht nur di Vorverurteilung, sondern hat über die Jahre in der Öffentlichkeit das Bild vermittelt, dass bereits die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausreichend sind um ein Urteil zu erwarten.
Zumindest zaghaft rückt dabei dieser Aspekt immer mehr in den juristischen Blick, so hat etwa das VG Regensburg (RO 4 K 17.1570) festgestellt, dass eine Staatsanwaltschaft die Presse aus Gründen der Verfahrensfairness nur dann über eine Anklageerhebung unterrichten darf, wenn dem Beschuldigten die Anklage vorher so rechtzeitig und umfassend bekannt gemacht wurde, dass er auf das behördliche Informationshandeln wirksam reagieren kann. Ein grundsätzlicher Anspruch auf Unterlassen der Pressearbeit besteht allerdings nicht (siehe nur VG Hamburg, 17 E 4858/16).
Jens Ferner
StrafverteidigerBericht über den Prozessverlauf
Weiterhin ist dies wohl nur bei besonderen Prozessen, also etwa Kapitaldelikten wie Mord oder bei Staatsschutzdelikten zu beobachten. Das enorme Risiko besteht hier wohl vor allem darin, zu verkennen, in welchen Nuancen die Berichterstattung Einfluss auf das Verhalten der Beteiligten hat. Selbst der eigene Mandant wird zum Problem, wenn er in der Presse die Beschreibung seines Verhaltens liest („regungslos“, „zeigte keine Reue“) und sich unabgesprochen versucht anzupassen. Natürlich sind Kommentierungen des Verhaltens des Richters und Staatsanwalts geeignet, diese dazu zu verleiten, im weiteren Prozessverlauf das Verhaltn zu ändern („sehr zurückhaltender Richter“, „ohnmächtig wirkender Staatsanwalt“). Insbesondere ist die Gefahr zu sehen, dass die Stimmung vergiftet wird, Absprachen nicht mehr möglich sind oder gar „vergessen“ werden. Auch sonst verbleiben Probleme: Ein von der Öffentlichkeit schon als Monster abgestempelter Angeklagter wird freilich mindestens höheren Hürden hinsichtlich dessen begegnen, was das Gericht als ehrliche Reuebekundung erwartet.
Abschlussbericht
Der Abschlussbericht der Presse, über das Ende eines Prozesses, wird häufig in seiner Wirkung verkannt oder von Verteidigern gar als eigene Bühne missinterpretiert. Warum auch nicht: Das Urteil ist gesprochen, eine Wirkung auf den Prozess nicht zu erwarten. Eine fatale Fehleinschätzung. Es wurde schon angesprochen, dass bei einem Auftaktbericht dem Abschlussbericht besondere Bedeutung zukommt. Aber auch Äusserungen wie „Freispruch zweiter Klasse“ können letztlich dazu führen, dass der Mandant zwar im Prozess freigesprochen wurde, in der Öffentlichkeit dies aber nicht ernsthaft ankommt. Es gilt: Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe. Von der Öffentlichkeit als im Recht stehend wahrgenommen zu werden, ist aber eine weitere Baustelle, die heute von zunehmender Bedeutung ist.
Wenn die Presse früher geht…
Presseberichte haben wie dargelegt einen – wenn auch mitunter totgeschwiegenen – besonderen Einfluss auf Strafprozesse. Nicht zuletzt wegen der meinungsbildenden Wirkung in der Öffentlichkeit ist die Arbeit der Presse jedoch mitunter auch einmal zu fragen: Wenn etwa Effekte auftreten,
- dass ein freigesprochener Angeklagter mit dem Vorhalt konfrontiert wird, es wäre nur ein „Freispruch 2. Klasse„,
- oder ein verurteilter Angeklagter, der Rechtsmittel eingelegt hat und sich – gemeinsam mit dem Gericht – dem Vorwurf ausgesetzt sieht, die Strafe wäre „viel zu niedrig“ und „wie kann das denn sein“,
- und natürlich der noch gar nicht freigesprochene oder verurteilte Angeklagte, der bereits auf Grund unpassender Berichterstattung in der Öffentlichkeit bereits derart vorverurteilt wird, dass auch ein Freispruch ihn nicht mehr „rein zu waschen“ vermag.
Die Presse hat hier eine herausragende Funktion: Sie vertritt, so gestelzt sich das lesen mag, die Öffentlichkeit die eigentlich nicht anwesend sein kann. Sie informiert „das Volk“ in dessen Namen letztlich die Urteile gesprochen werden, sorgt dafür, dass eben diejenigen zumindest wissen was passiert, die nicht die Möglichkeit haben trotz öffentlicher Verhandlung vor Ort zu sein. Eine wichtige Funktion in unserem Rechtsstaat, die man nicht klein reden darf, die Mauschelei und Geheimprozess verhindert – und somit auch Pflichten mit sich bringt.
An dieser Stelle beginnt die Frage nach der Arbeitsweise, wenn etwa zu bemerken ist, dass die Presse sich frühzeitig bei Strafverfahren an die Pressesprecher der Staatsanwaltschaften wendet – während Strafverteidiger wohl grds. nicht gefragt werden. Dies führt noch vor Anklageerhebung dazu, dass – bei aller vorgeschriebenen Objektivität der Staatsanwaltschaft – letztlich die Presse ihre ersten frühen Berichte alleine auf Äußerungen der Ermittlungsbehörden stützt. Ein tiefgreifendes Problem, dass die Voraussetzungen vor einer Verteidigung mitunter erheblich erschwert.
Aber auch während eines Prozesses muss man Probleme feststellen: In den letzten Jahren musste ich immer wieder mitansehen, wie Pressevertreter an Verhandlungstagen nur teilweise teilgenommen haben. Sei es dass man von Anfang an da ist, oder erst mittendrin erscheint. Das Ergebnis ist, dass wesentliche Teile fehlen. Wenn dann etwa Belastungszeugen vor der Pause angehört werden, der Pressevertreter dann verschwindet und die Entlastungszeugen hinterher folgen, fehlt ein wesentlicher Teil – die folgende Berichterstattung ist schon zwingend fehlerhaft.
Darüber hinaus ist zu sehen, dass Pressevertreter sich gerne einmal einzelne Gesprächspartner hinterher herauspicken, etwa nur den Staatsanwalt, nur den Verteidiger oder nur den Nebenkläger. Was dabei vergessen wird: Jede dieser Personen hat ein ureigenes Interesse, dem sie verpflichtet ist! Der Verteidiger muss die Interessen seines Mandanten wahren, der Nebenkläger nur die Interessen des (vermeintlich) Geschädigten. Hier nur mit einem zu sprechen führt wiedermals zwingend zu einer einseitigen Sicht.
Wirklich problematisch wird es dann, wenn auf Grund der nur teilweise erlebten Verhandlung Dinge verzerrt dargestellt werden. Wenn etwa in der Presse zu lesen ist „Der Angeklagte bestätigte im Wesentlichen die Vorwürfe“, was sachlich korrekt ist, aber offen bleibt, was „im Wesentlichen“ bedeutet. Bei Einfuhr von BTM etwa, wenn „nur“ um die Frage gestritten wird, ob das im Handschuhfach mitgeführte Jagdmesser „wie immer dabei ist“ oder „als Verteidigungswaffe“ dabei war, mag das kleinlich erscheinen. Und „im Wesentlichen“ wurde die Einfuhr von 1kg Gras brutto vielleicht eingeräumt. Die Bewertung der „Kleinigkeit“ Messer aber macht eine Mindeststrafe von 5 Jahren statt vielleicht 2 Jahren (wenn es keine nicht geringe Menge war) oder gar ohne Mindeststrafe aus. Dieses „Detail“ ist letztlich der Aufhänger der Bewertung der Angemessenheit der Strafe.
Gerade im Bereich der in der Öffentlichkeit so besonders beachteten Kapital- und Sexualdelikte muss insofern dringend und zwingend eine sorgfältigere Arbeit der Presse eingefordert werden, die nicht selten bei Lesern mehr Fragen aufwirft als das eigentliche Urteil. Wie kann derjenige, der ein Kind vergewaltigt hat, „nur 3 Jahre bekommen“? Pikanterweise ist gerade hier festzustellen, dass die Presseberichte sich sehr detailreich (nicht selten zum Schaden der Geschädigten!) darin ergötzen, die konkreten Tatumstände zu schildern – während sonstige Umstände nicht erwähnt werden. Man mag darüber streiten, ob ein an einer geistigen Krankheit erkrankter Täter im Strafrahmen nach einer solchen Tat anders zu bestrafen ist – diese Information aber gleich ganz wegzulassen ist nichts anderes als ein journalistischer Kardinalfehler, denn die Öffentlichkeit braucht die Information, um das Urteil zu diskutieren.
Der letzte Fall ist im übrigen nicht fiktiv, sondern tatsächlich beim Landgericht Aachen geschehen. Die Presse verliess die Verhandlung, bevor die Krankheit thematisiert wurde und schrieb ihren Bericht obwohl die Verhandlung noch lief. Es war schliesslich Mittagspause.
Nach dem Abschlussbericht
Auch das gibt es. Nach dem Urteil wird Revision eingelegt, der BGH hebt das Urteil auf und verweist zurück. Hier gilt es zu überlegen, inwiefern Presse überhaupt erwünscht ist – und wie man das Risiko sieht, dass der etwa vom Landgericht verkannte Rücktritt vom Versuch keineswegs von der Presse als „reiner Formalismus“ betrachtet wird, der die Schuld nicht in Frage zu stellen vermag. Das Vorgehen ist hier schwierig und nicht pauschal zu bewerten – aktive Pressearbeit bereits bei Einlegung der Revision? Wenn man unterliegt, könnte der Pressebericht fatal sein. Presse erst hinterher informieren? Ggfs. ist der erste Prozess dann schon vergessen, kein Interesse mehr an dem Bericht …
Rechtliche Position des Angeklagten
Womit muss denn der Angeklagte leben im Rahmen eines Prozesses? Das Kammergericht (10 U 148/12) hat richtigerweise entschieden, dass jedenfalls die Tatsache dass ein Angeklagter sein Gesicht nicht verdeckt, nicht als (konkludente) Einwilligung in Bildaufnahmen bzw. deren Veröffentlichung verstanden werden darf. Allerdings hat das Kammergericht klargestellt, dass Gerichtsverhandlungen als Geschehnisse der Zeitgeschichte eingestuft werden können, die eine Berichterstattung mit Bildern auch ohne Einwilligung rechtfertigen kann.
Insofern ist die Rechtsprechung des BVerfG (1 BvQ 46/08) zu Berücksichtigen, die eine Abwägung verlangt zwischen den Interessen des Angeklagten und dem Interesse der Öffentlichkeit. Dabei hat das BVerfG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Berichterstattung mit Bildern umso schwerer zu rechtfertigen ist, wenn die Tat umso verwerflicher ist. Was auf den ersten Blick widersprüchlich scheint hat einen einfachen Hintergrund: Die, ggfs. wiederholte, Berichterstattung mit Bildern hat einen nachhaltigen negativen Effekt in der öffentlichen Wahrnehmung, der durch einen späteren Freispruch nicht zu beseitigen sein wird. Das Kammergericht (10 U 148/12) zog hier sodann einen Umkehrschluss und möchte eine Berichterstattung umso eher zulassen, wie die Tat nicht als besonders verwerflich in der öffentlichen Wahrnehmung steht. Ob das zu Überzeugen vermag sei dahin gestellt.
Jedenfalls ist beim öffentlichen Interesse sodann umso mehr zu Begründen, warum gerade bei nicht als besonders verwerflich angesehener Tat ein besonders hohes öffentliches Interesse an der Berichterstattung bestehen soll. Beim Kammergericht ging es um die „Kampfhundthematik“, was letztlich dem Gericht reichte.
Der Bundesgerichtshof (VI ZR 93/12) hat noch einmal bekräftigt, dass das was Gegenstand der öffentlichen Hauptverhandlung war, auch Gegenstand der Berichterstattung sein darf. Wenn also etwa Vernehmungsprotokolle verlesen werden, dürfen diese sich in der Berichterstattung grundsätzlich wiederfinden. (Hinweis, nochmals: Hier besteht ebenfalls das erhebliche Problem, dass polizeiliche Aussagen, die ein schlechtes Licht werfen, ausführlich zitiert werden und ein Freispruch letzten Endes dann zum „Freispruch zweiter Klasse“ degradiert wird. Von widerrufenen Geständnissen an dieser Stelle ganz zu schweigen.)
Fotos im Gerichtssaal
Der Angeklagte kommt zur Türe rein und man hört ein hektisches Fussgetrappel, begleitet von wilden Klickgeräusche – so läuft es (aus Sicht der Angeklagten leider) im Regelfall ab. Doch das ist kein Selbstläufer, das Gericht (genauer der/die Vorsitzende) bestimmt im Zuge einer Sitzungspolizeilichen Anordnung, was erlaubt ist. Manchmal geht es soweit, dass noch gefilmt werden darf wenn die Kammer den Saal betritt (dann ist aber Schluss). Manchmal werden Aufnahmen vollständig unterbunden. Festzuhalten ist in jedem Fall, dass die Justiz – wie so oft – den Menschen aus dem Blick verloren hat und allzu häufig hingenommen wird, was rechtlich zu hinterfragen ist.
So sind die vor dem Gerichtssaal auflauernden Reporter vor allem für Nebenkläger und geschädigte Zeugen belastend, die sich faktisch aber nicht zur Wehr setzen können, wenn die Justiz „einfach laufen lässt“. Auch wird man fernab wenigstens erheblicher mittlerer Kriminalität kaum das notwendige berechtigte (Informations-)Interesse feststellen können:
Bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bedeutsam. Bei Strafverfahren ist insbesondere die Schwere der zur Anklage stehenden Straftat zu berücksichtigen, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie etwa aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen, der beteiligten Personen, der Furcht vor Wiederholung solcher Straftaten oder auch wegen des Mitgefühls mit den Opfern und ihren Angehörigen gewonnen hat. Das Informationsinteresse wird regelmäßig umso stärker sein und in der Abwägung an Gewicht gewinnen, je mehr die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt, etwa aufgrund der Art der Begehung oder der Besonderheit des Angriffsobjekts
BVerfG, 1 BvR 620/07
Wichtig ist an der Stelle: Fotos sind kein Selbstläufer und die Frage der Verpixelung ändert nichts daran, dass das Gericht im Rahmen seines pflichtgemäß auszuübenden Ermessens die Interessen sämtlicher Verfahrensbeteiligter berücksichtigen muss; hierzu gehören neben Angeklagten und Nebenklägern auch Zeugen und selbst Staatsanwälte und Rechtsanwälte. Die Befugnis des Vorsitzenden beschränkt sich dabei nicht nur auf den Saal selbst, sondern auch auf den Flur vor dem Saal. Die Praxis zeigt leider auch bei uns, dass Verteidiger hier proaktive Aufklärungsarbeit leisten müssen und insbesondere anmahnen müssen, dass eine unzumutbare Anprangerung von jeglichem Beteiligten zwingend zu verhindern ist. Leider sind die einschlägigen Regelungen des Persönlichkeitsrechts bei den Strafkammern nie hinreichend bekannt. Dies unterstreicht etwa eine Entscheidung, in der Notwehr in Form des Schlagens gegen die Kamera eines Journalisten abgesegnet wurde – und wo man der Kammer ins Stammbuch schrieb, sich mehr mit den Rechten der Menschen zu beschäftigen:
Das Fotografieren des Angeklagten ist nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren auf die Presseliste gesetzt hat. Das Recht des Angeklagten am eigenen Bild entfällt auch nicht bereits deshalb, weil er in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung fotografiert wurde. Ebenso wenig reicht die pauschale Feststellung, die Öffentlichkeit habe Interesse an Informationen über Strafverfahren in Schrift und Bild. Wenn das Landgericht ausführt, es sei Ausdruck der Pressefreiheit zu entscheiden, ob Artikel bebildert werden oder nicht, der Angeklagte habe dies auch in einem Strafverfahren, das eher dem Bereich der Kleinkriminalität zuzurechnen sei, hinzunehmen, so macht dies deutlich, dass das Landgericht das grundrechtlich geschützte Recht des Angeklagten am eigenen Bild nicht ausreichend in seine Abwägung eingestellt hat (…)
War das Fotografieren ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, dann durfte der Angeklagte die Maßnahmen ergreifen, die geeignet, erforderlich und geboten waren, um den Angriff zu beenden. Der Schlag gegen die Kamera ist grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden.
OLG Hamburg, 3-14/12
BGH zur identifizierenden Berichterstattung 2019
Im Dezember 2019 konnte der BGH (VI ZR 504/18) sich fernab des Strafprozesses postieren und (unter Hervorhebung obiger Grundsätze) hervorheben, dass ein nicht mit Strafe bedrohtes rechtswidriges Verhalten einer der Öffentlichkeit nicht bekannten Person etwa wegen seiner Art, seines Umfangs und seiner Auswirkungen auf gewichtige Belange der Gesellschaft von so erheblicher Bedeutung für die Öffentlichkeit sein kann, dass das Recht am eigenen Bild hinter dem Öffentlichkeitsinteresse zurückzutreten hat:
Geht es um eine identifizierende Bildberichterstattung über ein Fehlverhalten – insbesondere, aber nicht nur, über Straftaten -, so ist zu berücksichtigen, dass eine solche Berichterstattung in das Recht des Abgebildeten auf Schutz seiner Persönlichkeit eingreift, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert (…). Andererseits kann ein Fehlverhalten, auch ein solches, das keinen Straftatbestand erfüllt, zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. So begründen die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter (…).
Die Kontroll- und Überwachungsfunktion der Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“ ist nicht auf die Aufdeckung von Straftaten beschränkt (…). Für die tagesaktuelle Berichterstattung über Straftaten oder ähnliche Verfehlungen (…) verdient das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang (…). Denn wer den Rechtsfrieden bricht und durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss grundsätzlich dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird (…).
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss allerdings im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen (…). So ist etwa bei schweren Gewaltverbrechen ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Informationsinteresse auch über die Person des Täters anzuerkennen (…), während in Fällen der Kleinkriminalität oder bei Jugendlichen eine Identifizierung des Täters keineswegs immer zulässig ist (…). Ein an sich geringeres Interesse der Öffentlichkeit an Information über leichte Verfehlungen kann im Einzelfall allerdings durch Besonderheiten etwa in der Person des Täters, der Art der Verfehlung oder des Tathergangs in einem Maße gesteigert sein, dass das Interesse des Täters an einem Schutz seiner Persönlichkeit dahinter zurückzutreten hat (…).
So hat der Senat, bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht, die identifizierende Wort- und Bildberichterstattung über einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß (erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung) eines Mitglieds des deutschen Hochadels für zulässig erachtet (…). Eine identifizierende Berichterstattung über derartige Verfehlungen kann durchaus geeignet sein, Ideen und Informationen zu Fragen von allgemeinem Interesse zu vermitteln und eine Diskussion hierüber in der Gesellschaft anzustoßen oder zu bereichern (…). Ebenso kann ein nicht mit Strafe bedrohtes rechtswidriges Verhalten einer der Öffentlichkeit nicht bekannten Person etwa wegen seiner Art, seines Umfangs und seiner Auswirkungen auf gewichtige Belange der Gesellschaft von so erheblicher Be- deutung für die Öffentlichkeit sein, dass das Recht am eigenen Bild hinter dem Öffentlichkeitsinteresse zurückzutreten hat. Wo konkret die Grenze für das Informationsinteresse an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheiden (…).
BGH, VI ZR 504/18
Fazit zur Prozessberichterstattung
Es kann und soll vor Blauäugigkeit nur gewarnt werden. Keinesfalls ist es so, dass es erst eines Mordes bedarf, um das Interesse der Presse zu wecken. Seien es die Tatumstände, die Tatfolgen – oder natürlich auch eine gewisse Bekanntheit des Täters. Auch Nebenkläger haben inzwischen erkannt, dass medialer Druck hilfreich sein kann, Verfahrenseinstellungen zu verhindern. Zumindest sollte man an dieser Stelle vorbereitet sein, als Strafverteidiger wie auch als Mandant.
Der Presse kann man nur wünschen, irgendwann den Pfad der Sensationsheischenden Berichte wieder zu verlassen und wieder seriös(er) zu arbeiten – aber auch fachlicher. Wenn man bis heute noch lesen muss, dass die Staatsanwaltschaft angeblich einen Haftbefehl oder Durchsuchungsbeschluss erlassen hat (für die Laien: Das tut ein Richter), braucht man sich nicht weiter über tiefgreifendere Fehler aus Prozessen zu wundern (wenn etwa aus einer Körperverletzung mit Todesfolge plötzlich ein versuchter Mord wird im Bericht, wobei in diesem Fall der besagte Reporter aber auch pünktlich zur Mittagspause wieder verschwand, also den Prozesstag nicht mitbekommen hatte). Insbesondere, neben einem fachlich sauberen Arbeiten, wäre es zwingend eine Frage des guten Arbeitens, dass man aufhört, Statements der Staatsanwaltschaft blind abzudrucken und dazu übergeht, wenigstens die Möglichkeit rechtlichen Gehörs für die Betroffenen einzuräumen. Das könnte dann im Ergebnis auch deutlich interessanter werden für die Leser – denen man seine Werke ja verkaufen möchte.
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