Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt (Az. 1 Ws 171/23) klärt wichtige strafrechtliche Fragen zur Verbreitung inkriminierter Inhalte in geschlossenen WhatsApp-Gruppen. Sie betrifft das Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Meinungsfreiheit und der Notwendigkeit, volksverhetzende, gewaltverherrlichende oder sonst strafbare Inhalte zu sanktionieren. Zentral ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens erfüllt ist und welche Anforderungen an den Vorsatz gestellt werden.
Sachverhalt
Die Angeklagten, darunter Polizeibeamte, wurden beschuldigt, in geschlossenen WhatsApp-Gruppen Inhalte geteilt zu haben, die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, volksverhetzende Äußerungen sowie pornografische und gewaltverherrlichende Darstellungen enthielten. Die Gruppen bestanden aus einer überschaubaren Anzahl von Mitgliedern, die einander teilweise eng verbunden waren.
Die Inhalte wurden innerhalb der Gruppen geteilt, ohne dass eine Weiterverbreitung an einen größeren, unkontrollierbaren Personenkreis nachweisbar war. Das Landgericht Frankfurt hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde ein.
Rechtliche Würdigung
Tatbestandsmerkmal des Verbreitens
Das OLG Frankfurt bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und stellte klar, dass das Verbreiten im strafrechtlichen Sinne mehr erfordert als das bloße Teilen von Inhalten in geschlossenen Gruppen. Es muss eine tatsächliche Weitergabe an einen größeren, unbestimmten Personenkreis erfolgen oder zumindest Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Inhalte an Dritte weitergeleitet werden. Der Begriff des Verbreitens setzt eine Breitenwirkung voraus, die bei der bloßen Verteilung in einer kleinen, überschaubaren Gruppe fehlt.
Das Gericht wies darauf hin, dass die strafrechtliche Relevanz des Verbreitens auch im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit interpretiert werden muss. Art. 5 Abs. 1 GG schützt die Meinungsäußerung, selbst wenn diese provozierend oder anstößig ist. Erst wenn die Grenze zur Gefährdung öffentlicher Rechtsgüter überschritten wird, greift der Gesetzgeber ein. Ein Verbreiten liegt daher nicht allein aufgrund der technischen Möglichkeit vor, dass Inhalte weitergeleitet werden könnten.
Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
Die Frage des Vorsatzes wurde vom OLG besonders differenziert betrachtet. Für eine strafbare Handlung genügt es nicht, dass der Täter die Möglichkeit der Weiterleitung der Inhalte sieht. Vielmehr ist erforderlich, dass er diese Möglichkeit billigt oder sich mit ihr abfindet. Im vorliegenden Fall gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten eine Weitergabe der Inhalte über die Gruppenmitglieder hinaus erwartet oder beabsichtigt haben.
Das Gericht führte aus, dass die Gruppenmitglieder aufgrund ihrer engen sozialen oder beruflichen Verbindung davon ausgingen, dass die Inhalte innerhalb des geschlossenen Kreises verbleiben würden. Auch der Umstand, dass es sich bei einigen der Beschuldigten um Polizeibeamte handelte, die mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen mussten, sprach gegen einen Verbreitungsvorsatz.
Verhältnis zur Meinungsfreiheit
Ein wesentlicher Aspekt der Entscheidung ist die Abwägung zwischen Strafverfolgung und Meinungsfreiheit. Das Gericht betonte, dass eine Einschränkung der Meinungsfreiheit durch strafrechtliche Normen nur unter strengen Voraussetzungen zulässig ist. Die bloße Möglichkeit einer Weiterverbreitung von strafbaren Inhalten reicht nicht aus, um diese Freiheit zu beschränken. Vielmehr müssen konkrete, durch tatsächliche Anhaltspunkte belegbare Gefährdungen des öffentlichen Friedens oder der verfassungsmäßigen Ordnung vorliegen.
Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Frankfurt schafft Klarheit darüber, dass die Strafbarkeit des Verbreitens in digitalen Kommunikationskanälen nicht leichtfertig angenommen werden kann. Sie betont die hohen Anforderungen an den Nachweis eines Verbreitungsvorsatzes und stärkt zugleich den verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit. Für die Praxis bedeutet dies, dass Ermittlungsbehörden und Gerichte sorgfältig zwischen dem bloßen Austausch in geschlossenen Gruppen und der tatsächlichen Verbreitung an die Öffentlichkeit unterscheiden müssen.
Fazit
Mit seinem Beschluss setzt das OLG Frankfurt wichtige Grenzen für die strafrechtliche Verfolgung des Verbreitens inkriminierter Inhalte in digitalen Kommunikationskanälen. Es verdeutlicht, dass Strafbarkeit nicht allein auf technischen Möglichkeiten beruhen darf, sondern konkrete Gefährdungen und ein Vorsatz zur Weiterverbreitung erforderlich sind. Damit trägt die Entscheidung sowohl zur Rechtssicherheit als auch zum Schutz der Meinungsfreiheit bei.
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