Mit seinem Beschluss vom 1. April 2025 (1 StR 489/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung des Landgerichts Dresden teilweise aufgehoben. Das Urteil hatte den Angeklagten unter anderem wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen sowie wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen verurteilt. Während Letzteres rechtsfehlerfrei festgestellt wurde, beanstandete der BGH im Bereich der Steuerhinterziehung erhebliche formelle und inhaltliche Mängel. Die Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf die prozessualen Anforderungen an die Abfassung von Urteilsgründen im Steuerstrafrecht und auf den fehleranfälligen Umgang mit komplexen steuerlichen Zurechnungsfragen bei gewerblichem Zusammenwirken.
Sachverhalt und Entscheidung des Landgerichts
Dem Angeklagten warf die Anklage vor, in großem Stil Restaurantbetriebe geführt und hierbei sowohl steuerlich relevante Umsätze unzutreffend erklärt als auch technische Aufzeichnungen gefälscht zu haben. Das Landgericht Dresden verurteilte ihn daraufhin zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Steuerhinterziehung beruhte dabei im Wesentlichen auf dem Vorwurf, dass der Angeklagte durch fehlerhafte oder unterlassene Erklärungen über Jahre hinweg Steuern verkürzt habe.
Kritik des BGH: Formelle und materielle Defizite
Der BGH hob die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in vollem Umfang auf. Seine Kritik entzündete sich zunächst an formellen Mängeln: So fehlte es an einer eigenständigen, aus sich heraus verständlichen Darlegung der maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen im Urteil. Statt konkrete Zahlen und steuerlich relevante Umstände nachvollziehbar aufzuführen, verwies das Landgericht auf ein sogenanntes „Selbstlesekonvolut“ – eine Sammlung von Dokumenten, die jedoch nicht Bestandteil der Urteilsurkunde waren. Solche pauschalen Bezugnahmen sind unzulässig und unterlaufen den Grundsatz, dass ein Urteil seine tragenden Feststellungen eigenständig und nachvollziehbar enthalten muss. Damit fehlt es verfahrensrechtlich an einer tragfähigen Begründung.
Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht beanstandete der BGH die Beweisführung. Das Landgericht hatte zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen auf Rohgewinnaufschlagsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums zurückgegriffen, ohne deren Anwendung im konkreten Fall hinreichend zu erläutern oder mit konkret festgestellten Beträgen abzugleichen. Dass die Schätzung selbst grundsätzlich zulässig sein kann, stellt der BGH nicht in Frage – allerdings müssen die methodischen Grundlagen und ihre Umsetzung für den konkreten Fall genau dargelegt werden.
Mitunternehmerschaft als ungeklärte Zurechnungsfrage
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch der Umstand, dass das Landgericht zentrale Fragen der einkommensteuerrechtlichen Zurechnung nicht erörtert hatte. Nach den Feststellungen im Urteil wurden die Betriebseinnahmen aus den Restaurants entsprechend vorheriger Absprachen auf mehrere Personen verteilt. Dies legt nahe, dass eine Mitunternehmerschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vorlag. Das Gericht versäumte es jedoch, zu prüfen, ob die Einkünfte allein dem Angeklagten als Einzelunternehmer oder – entsprechend der wirtschaftlichen Realität – mehreren Mitbeteiligten anteilig zuzurechnen gewesen wären. Eine solche Prüfung ist jedoch für die Bestimmung des steuerpflichtigen Einkommens und damit für die Frage einer Steuerverkürzung zwingend erforderlich. Der BGH verweist hierzu zutreffend auf seine frühere Rechtsprechung zur Feststellung und Verteilung von Besteuerungsgrundlagen bei Mitunternehmerschaften.
In der Essenz zeigt die Entscheidung: Steuerrechtliche Genauigkeit ist auch im Strafverfahren kein bloßer Formalismus, sondern konstitutives Element rechtsstaatlicher Urteilsfindung. Nur wer präzise feststellt, kann auch präzise strafen – alles andere wäre ein Rückfall in die bloße Vermutung.
Konklusion
Der Beschluss des BGH vom 1. April 2025 illustriert exemplarisch die juristische Komplexität steuerstrafrechtlicher Verfahren. Die Entscheidung mahnt zu akribischer Sorgfalt bei der Erstellung strafgerichtlicher Urteilsgründe, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen des § 267 StPO. Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung bedarf einer klaren Darstellung der Besteuerungsgrundlagen sowie einer schlüssigen Begründung, wie und in welchem Umfang es zur Steuerverkürzung kam. Die bloße Bezugnahme auf externe Dokumente ersetzt diese Analyse nicht. Zudem ist bei der Zurechnung von Einkünften – gerade in Fällen arbeitsteiliger wirtschaftlicher Betätigung – die genaue Prüfung steuerlicher Mitunternehmerschaften unabdingbar.
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