Mit Beschluss vom 25. September 2024 (Az.: 4 StR 11/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Rechtsauffassung bestätigt, dass sogenanntes Stealthing – also das heimliche Abziehen oder Weglassen eines Kondoms gegen den erkennbaren Willen der anderen Person – eine strafbare Vergewaltigung im Sinne des § 177 StGB darstellt. Die Entscheidung stärkt die sexuelle Selbstbestimmung und konkretisiert zugleich die strafrechtliche Einordnung dieses Verhaltens, das bislang juristisch nicht durchgehend eindeutig behandelt wurde.
Sachverhalt
Der Angeklagte hatte über ein Internetportal sexuelle Kontakte zu einer jugendlichen Prostituierten aufgenommen. Die Geschädigte hatte wiederholt erklärt, nur unter der Bedingung geschützten Geschlechtsverkehr mit Kondom einverstanden zu sein. Trotzdem entfernte der Angeklagte bei mehreren Gelegenheiten das Kondom heimlich nach Beginn des vaginalen Verkehrs. Das Landgericht Hagen wertete diese Taten als Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen.
Der BGH bestätigte diese Wertung im Grundsatz und wies die Revision weitgehend zurück.
Rechtliche Würdigung
Stealthing als Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 StGB)
Das Gericht stellte klar: Der sexuelle Akt muss dem „maßgeblichen Willen“ der betroffenen Person entsprechen. Wird eine Zustimmung explizit an die Verwendung eines Kondoms geknüpft, ist nur die geschützte Penetration von der Zustimmung umfasst. Der ungeschützte Geschlechtsverkehr ist davon nicht gedeckt und erfolgt somit gegen den erklärten Willen – unabhängig von etwaigen früheren Einwilligungen oder den Umständen des Kontakts.
Kernaussage: Vaginaler Geschlechtsverkehr mit und ohne Kondom sind strafrechtlich unterschiedliche Handlungen, da sie unterschiedliche Risiken bergen und daher unterschiedlichen Zustimmungen bedürfen.
Der BGH reiht sich damit in die Linie der Instanzrechtsprechung (z. B. OLG Schleswig, OLG Hamm) ein und stärkt die dogmatisch saubere Trennung zwischen verschiedenen Ausprägungen sexuellen Handelns und der hierzu jeweils notwendigen Einwilligung.
Besonderheiten der Strafzumessung
Das Gericht befasste sich auch mit der Frage, ob in Fällen wie diesen stets ein besonders schwerer Fall der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6 StGB) angenommen werden muss. Auch wenn keine Schwangerschaft oder Infektion eintrat, bejahte der BGH hier die Anwendung des Regelbeispiels der „Beischlafvollziehung gegen den erkennbaren Willen“.
Zugleich betonte der Senat, dass das Sexualstrafrecht nicht hypothetische Alternativen bewerten dürfe – etwa eine hypothetische Einwilligung in eine ähnliche, aber nicht identische Handlung. Die Differenz zwischen geschütztem und ungeschütztem Verkehr sei grundlegend und nicht relativierbar.
Ergebnis
Der BGH bestätigte die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in den relevanten Fällen und konkretisierte die Voraussetzungen des § 177 StGB im Kontext von Stealthing. Die Verurteilung wegen Körperverletzung entfiel mangels Strafantrags; am Schuldspruch als solcher änderte dies jedoch nichts.
Bilanz: Stealthing ist keine Grauzone, sondern strafbare Vergewaltigung. Der BGH bringt mit dieser Entscheidung Rechtssicherheit in eine bislang oft kontrovers behandelte Thematik und stellt klar: Die Kontrolle über den eigenen Körper umfasst auch die Bedingungen, unter denen sexuelle Handlungen akzeptiert werden.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung stellt einen klaren und notwendigen Beitrag zur rechtlichen Einordnung von Stealthing dar. Sie stärkt den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und verdeutlicht: Eine ausdrückliche Bedingung im Rahmen einer sexuellen Zustimmung – wie die Verwendung eines Kondoms – ist integraler Bestandteil dieser Zustimmung. Wird sie heimlich unterlaufen, liegt ein Verstoß gegen das Strafrecht vor.
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