Sachverständige im Strafprozess

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Oktober 2024 (4 StR 173/24) stellt erneut zentrale Anforderungen an die Arbeit und Bewertung von Sachverständigen im Strafprozess in den Vordergrund.

Der Fall behandelt die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit eines Angeklagten unter Alkoholeinfluss. Dabei werden die Rolle des Sachverständigen, dessen Methodik und die Anforderungen an die Urteilsbegründung vertieft erörtert. Diese Entscheidung bietet Anlass, die Einbindung von Sachverständigen in den strafrechtlichen Kontext umfassend darzustellen und in einen rechtlichen Gesamtkontext einzuordnen.

Sachverhalt

Im Mittelpunkt des Urteils steht ein Vorfall, bei dem ein Angeklagter unter starkem Alkoholeinfluss das Steuer eines Taxis ergriff und einen schweren Verkehrsunfall verursachte. Das Landgericht stützte seine Annahme einer möglicherweise aufgehobenen Steuerungsfähigkeit auf das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen, der eine abnorme Alkoholreaktion diagnostizierte. Die Revision der Staatsanwaltschaft rügte insbesondere die Methodik und die Schlussfolgerungen des Sachverständigen.

Rechtliche Analyse und Anforderungen an Sachverständige

Die Entscheidung des BGH bestätigt etablierte Grundsätze zum Umgang mit Sachverständigen im Strafprozess. Gleichzeitig greift sie zentrale Aspekte auf, die bereits in früheren Urteilen thematisiert wurden, wie die Verlässlichkeit der Methodik, die Neutralität der Einschätzung und die Begründungspflichten des Gerichts:

Stützt sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf das Gutachten eines Sachverständigen, hat es daher dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2024 – 4 StR 248/23 Rn. 9; Beschluss vom 22. Februar 2022 – 6 StR 553/21 Rn. 12 mwN).

1. Die Rolle des Sachverständigen

Sachverständige sind dazu berufen, komplexe Tatsachenfragen zu klären, die besondere fachliche Expertise erfordern. Ihre Einschätzungen bilden häufig eine zentrale Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung. Der BGH stellt jedoch klar, dass diese Einschätzungen immer einer kritischen Würdigung durch das Gericht unterzogen werden müssen. Im vorliegenden Fall betonte der BGH die Notwendigkeit, dass das Gericht die Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen präzise darlegt, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen.

2. Vergleich mit anderen Urteilen

In einer Entscheidung vom 27. Februar 2024 (4 StR 248/23) hatte der BGH ähnlich argumentiert: Ein Gericht muss sich mit möglichen Alternativerklärungen zu den Feststellungen eines Sachverständigen auseinandersetzen und diese abwägen. Diese Linie verfolgt der BGH auch in seinem Urteil vom 10. Oktober 2024, indem er auf die Relevanz einer vollständigen Beweiswürdigung und der Darlegung sämtlicher relevanter Gesichtspunkte hinweist.

Ebenso verdeutlichte das Urteil vom 19. Juni 2024 (2 StR 2/24), dass das Gericht bei der Bewertung von Sachverständigengutachten eine eigenständige Bewertung vornehmen und nicht unkritisch den Ausführungen folgen darf.

3. Anforderung an die Urteilsbegründung

Wie bereits in einem früheren Urteil (3 StR 183/20) ausgeführt, muss das Gericht seine Überlegungen nachvollziehbar darlegen. Dies gilt insbesondere, wenn es sich auf ein Sachverständigengutachten stützt. Im aktuellen Fall hob der BGH hervor, dass der Zusammenhang zwischen den vom Sachverständigen beschriebenen Symptomen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehbar dargestellt werden muss.


Einordnung und Bedeutung

Das Urteil des BGH (4 StR 173/24) schärft die Sensibilität für den Umgang mit Sachverständigengutachten im Strafprozess. Es steht in einer Linie mit anderen Entscheidungen, die die Unabhängigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung und die sorgfältige Prüfung von Gutachten betonen. Für Praktiker im Strafrecht ist dies eine wertvolle Erinnerung an die zentrale Rolle von Sachverständigen und die daraus resultierenden Anforderungen an die richterliche Begründung.

Sachverständige im Strafprozess: Rechtsanwalt Ferner zu Sachverständigen im Strafprozess

Strafprozesse sind regelmäßig auf Sachverständige angewiesen – Mandanten erwarten da gerne große Showeffekte und es ist mitunter peinlich anzusehen, wie Anwälte versuchen, Sachverständige durch Befragungen in Schlingern zu bringen. Verteidigungstaktisch, wenn man nicht die Qualifikation des Gutachters angeht, wird man inhaltlich aber nur mit weiteren Sachverständigen weiterkommen – oder eben mit Schlüssigkeitsprüfungen.

Schlussfolgerung

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer methodisch sauberen und nachvollziehbaren Arbeit von Sachverständigen im Strafprozess. Gerichte sind angehalten, die Einschätzungen von Sachverständigen kritisch zu hinterfragen und dabei alternative Erklärungsansätze umfassend zu prüfen. Dieser Ansatz trägt nicht nur zur Wahrung der Rechte des Angeklagten bei, sondern sichert auch die Integrität des Strafverfahrens. In der Gesamtschau verdeutlicht die Entscheidung einmal mehr, dass Sachverständige als Helfer des Gerichts agieren, deren Beiträge sorgfältig in die Urteilsfindung integriert werden müssen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft. Ich bin Softwareentwickler, in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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