In den letzten Monaten erregte ein vermeintlicher Terrorfall große Aufmerksamkeit: Omar A., ein 28-jähriger Libyer, wurde im Oktober 2024 festgenommen, da er angeblich einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin plante. Der entscheidende Hinweis kam von einem ausländischen Geheimdienst und basierte auf Chatverläufen, die Omar A. schwer belasteten – zumindest zunächst. Doch wenige Monate später brach der gesamte Fall zusammen: Die „brisanten“ Chats waren fingiert, und Omar A. wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, wie die Tagesschau berichtet.
Die Rolle der Geheimdienste und fingierte Beweise
Im Mittelpunkt des Falles steht ein fundamentaler Schwachpunkt in der internationalen Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten. Deutsche Sicherheitsbehörden erhielten einen Hinweis, der angeblich direkte Beweise für Anschlagspläne enthielt. Diese Informationen stammten jedoch aus einer Quelle, die sich als problematisch herausstellte: Ein sogenannter „Nachrichtenhändler“ hatte den Chatverlauf vermutlich manipuliert, um ihn gewinnbringend an den ausländischen Geheimdienst zu verkaufen. Die deutschen Ermittler gingen daher von falschen Tatsachen aus.
Ein besonders kritisches Element dabei ist die Unmöglichkeit der direkten Überprüfung solcher Daten. Die deutschen Behörden konnten nicht eigenständig nachvollziehen, ob die Informationen echt oder manipuliert waren. Als die Ermittler schließlich Zugang zu Omar A.s Mobiltelefon erhielten, fanden sie nur harmlose romantische Chats, keine Hinweise auf Anschlagspläne. Dennoch war der Schaden angerichtet – nicht nur für Omar A., sondern auch für das Vertrauen in solche internationalen Hinweise.
Die Konsequenzen für die Ermittlungsarbeit
Der Fall Omar A. verdeutlicht nunmehr in aller Öffentlichkeit die enormen Gefahren, die entstehen, wenn Ermittlungen auf nicht verifizierbaren ausländischen Daten basieren. Das Problem geht weit über diesen Einzelfall hinaus: Was passiert, wenn weitere Fälle auf ähnlichen Informationen beruhen? Können Beweismittel, die aus solchen Quellen stammen, überhaupt vor Gericht Bestand haben?
Die Abhängigkeit von ausländischen Geheimdiensten stellt ein strukturelles Risiko dar. Zwar sind solche Hinweise oft unverzichtbar, um potenzielle Gefahren frühzeitig zu erkennen, doch muss gleichzeitig sichergestellt werden, dass diese Informationen überprüfbar sind. Andernfalls drohen nicht nur juristische Fehlentscheidungen, sondern auch massive Eingriffe in die Grundrechte unschuldiger Menschen.
Vertrauen ist kein Beweismittel
Dammbrüche in deutschen Gerichtssälen
Bereits im Jahr 2022 habe ich hier im Blog – und bei diversen Vorträgen – gewarnt, dass die willfährige Verurteilung auf Zuruf zu einer Erosion des Beweisprogramms in Strafprozessen führen wird. Und zwar dergestalt, dass am Ende nur noch auf Vertrauensbasis verurteilt wird, getreu dem Motto „Ermittler lügen nicht“. Nach Encrochat und der jüngsten ANOM-Entscheidung des BGH (ich berichte dazu noch) ist klar, dass wir einen regelrechten Dammbruch erleben. In der Form, dass es Jahre dauern wird, um das hier leichtfertig verspielte Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Inzwischen reichen in solchen Verfahren „Beweismittel“ auf Zuruf, die von Gerichten gar nicht mehr hinterfragt werden. Ausgehend von dem Grundsatz, dass Ermittler solche Datensätze nicht fälschen, wird inzwischen auf Basis reiner Textdateien verurteilt – der vorliegende Fall macht aber nun deutlich, dass man mit allem rechnen muss. Die mangelnde Fähigkeit durchschnittlicher Juristen, gerade digitale Beweismittel (technisch) kritisch zu hinterfragen, spielt einem derart perfiden Vorgehen dann nur noch in die Hände. Wobei wir inzwischen an dem Punkt angekommen sind, dass Ermittler bei im Ausland erhobenen Beweismitteln nur noch zusichern müssen, dass schon irgendein Beschluss existiert, damit dann auf Basis angeblich existierender Entscheidungen vom Hörensagen blind verwertet wird (so wohl nun auch BGH, 1 StR 54/24). Dabei sollte einem schnell übel werden, wenn man überlegt, dass weder Gericht noch Verteidigung solche „Beweismittel“ substantiell überprüfen können.
Es wäre zu wünschen, dass deutsche Richter hier mehr Selbstbewusstsein entwickeln und sich vom Verurteilen um jeden Preis, wenn nur der Vorwurf gravierend genug ist, endlich verabschieden. Als Bürger hat man einen Anspruch darauf, dass die Justiz unabhängig ist, wobei man im Gerichtssaal nur allzuoft die für gebildete Juristen seltsam anmutende Kooperation zwischen Staatsanwaltschaft (Exekutive) und Gericht (Judikative) zur Kenntnis nehmen muss – auch Hinweise auf Nr. 123 RiStBV verhallen dann gerne mal ungehört. Die hier geschilderten Geschehnisse sollten ein Weckruf sein; allerdings wird es das Gegenteil sein, nämlich das Bestärken darin, dass man doch Fehler aufdecken kann und das System funktioniert. Dass das hier nur funktionierte, weil der Beschuldigte auf seine Rechte verzichtete und sein Smartphone entsperrt zur Verfügung stellte, wird man als weiteren Beweis dafür sehen, dass man eben mitwirken soll „wenn man nichts zu verbergen hat“;
Mehr Sorgfalt …
Für Omar A. hatte der Vorfall tiefgreifende Konsequenzen: Trotz seiner Unschuld und der völligen Entkräftung der Vorwürfe steht ihm nun wohl die Abschiebung bevor – eine schwerwiegende Ungerechtigkeit, die durch mangelnde Sorgfalt und unkritische Annahme ausländischer Informationen begünstigt wurde. Auch an dem Punkt gilt: Dieser Fall sollte als Mahnung dienen, die Standards der Beweiserhebung und -prüfung zu überdenken.
Die Lektion aus dem Fall Omar A. ist klar: Ermittlungsbehörden und Gerichte dürfen nicht blind auf externe Hinweise vertrauen. Nur durch kritische Reflexion und umfassende Überprüfungsmechanismen kann gewährleistet werden, dass der Rechtsstaat auch in komplexen internationalen Zusammenhängen Bestand hat – das ist Ausdruck der Verantwortung vor der Souveränität der eigenen Bürger.
Eine stärkere Regulierung der Zusammenarbeit mit Geheimdiensten, strenge Überprüfungsverfahren und eine kritische Haltung vor allem im gerichtssaal gegenüber „nachrichtendienstlichen Informationen“ bzw. unreflektiert gelieferten „Beweismitteln“ aus dem Ausland sind unerlässlich, um solche Fehlentwicklungen künftig zu vermeiden. Denn wenn falsche Informationen dazu führen, dass Menschen ihre Freiheit verlieren, gerät das Vertrauen in den Rechtsstaat ins Wanken. Seit der Encrochat-Rechtsprechung sind, siehe oben, insoweit in deutschen Gerichtssälen – absehbar, ich habe schon vor Jahren in meinen Vorträgen davor gewarnt – erste Dämme gebrochen.
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