Am 15. November 2024 fällte das Landgericht Hamburg (Az. 324 O 507/23) ein aufsehenerregendes Urteil zu einem Streit zwischen zwei bekannten Influencern. Der Fall beleuchtet die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz des Persönlichkeitsrechts in der medial geprägten Online-Welt. Das Gericht hatte zu entscheiden, inwiefern kritische Aussagen, Vorwürfe und polemische Bezeichnungen in Streams und sozialen Medien zulässig sind und wann sie die Grenzen zur unzulässigen Persönlichkeitsrechtsverletzung überschreiten.
Hintergrund des Falls
Die Klägerin und der Beklagte, beide prominente Streamer, waren in einen langjährigen Konflikt verwickelt. Kernpunkt des Streits waren Aussagen der Beklagten, die den Kläger in Streams und Beiträgen auf Plattformen wie X (ehemals Twitter) und T. (eine bekannte Streaming-Plattform) kritisierten. Die Beklagte hatte dem Kläger unter anderem vorgeworfen, sie auf der Gamescom 2017 sexistisch belästigt zu haben, und ihn in einem Live-Stream als „Nazi-Troll“ bezeichnet.
Der Kläger machte geltend, dass diese Äußerungen unwahre Tatsachenbehauptungen seien, die sein Persönlichkeitsrecht verletzten. Die Beklagte hingegen verteidigte sich mit dem Argument, sie habe lediglich ihre Meinung geäußert und sei berechtigt, den Kläger aufgrund seines öffentlichen Auftretens und Verhaltens zu kritisieren.
Die Entscheidung des Gerichts
Das LG Hamburg gab der Klage teilweise statt. Das Gericht sah in mehreren Äußerungen der Beklagten eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers. Hierbei waren insbesondere folgende Punkte entscheidend:
- Unwahre Tatsachenbehauptungen:
Das Gericht stellte fest, dass die Behauptungen der Beklagten, der Kläger habe sie und andere Frauen auf der Gamescom 2017 belästigt, nicht durch konkrete Beweise untermauert wurden. Die Beklagte konnte nicht darlegen, dass es weitere Frauen gab, die ähnliche Vorwürfe erhoben hätten. Solche Behauptungen, die geeignet sind, das Ansehen des Klägers erheblich zu beschädigen, seien daher rechtswidrig. - Ehrverletzende Äußerungen:
Die Bezeichnung des Klägers als „Nazi-Troll“ wurde ebenfalls als unzulässig bewertet. Das Gericht erkannte zwar an, dass Influencer in der Öffentlichkeit stehen und sich Kritik gefallen lassen müssen. Jedoch fehlten konkrete Anknüpfungstatsachen, die eine Verbindung des Klägers mit nationalsozialistischem Gedankengut rechtfertigen könnten. Die Bezeichnung wurde daher als übermäßige Schmähung eingestuft, die nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist. - Abwägung von Grundrechten:
Das Gericht nahm eine umfassende Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Beklagten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers vor. Dabei wies es darauf hin, dass der Schutz vor unwahren und ehrverletzenden Aussagen höher zu gewichten sei als das Interesse der Beklagten, polemische Kritik zu äußern.
Technischer und gesellschaftlicher Kontext
Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich juristische und soziale Fragestellungen in der digitalen Welt überlagern. Influencer stehen aufgrund ihrer öffentlichen Präsenz unter ständiger Beobachtung, wobei ihre Äußerungen oft unmittelbar einem großen Publikum zugänglich sind. Dadurch potenzieren sich sowohl die Reichweite als auch die Wirkung von Aussagen. Gleichzeitig stellen sich Fragen der Beweisführung: Wie lässt sich in einer Welt der schnelllebigen Streams und Posts die Wahrheit über Behauptungen feststellen?
Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2016 – VI ZR 382/15 -, GRUR 2017, 304 Rn. 15; BGHZ 209, 139 Rn. 30 – jameda.de II; jeweils mwN). Geht es wie vorliegend um Tatsachenbehauptungen, die, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2011 – VI ZR 26/11 – AfP 2012, 53 Rn. 14, „Die INKA Story“), hängt die Abwägung maßgeblich von ihrem Wahrheitsgehalt ab (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.06.2009 – 1 BvR 134/03 – Rn. 62, juris). Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre hingegen nicht (…)
Soweit die Beklagte geltend macht, dass sich das von ihr behauptete Verhalten des Klägers aus dem vollständigen Live-Stream des Klägers ergebe, den dieser von seinem Besuch auf der Gamescom 2017 gefertigt habe und der ihm weiterhin vorliege, war die Kammer nicht gehalten, dem Kläger die Vorlage dieses Live-Streams aufzugeben. Einen diesbezüglichen expliziten Beweisantrag hat die Beklagte nicht gestellt. Der insoweit an das Gericht gerichteten Anregung war nicht nachzukommen, da es aus der Sicht der Kammer keinen aufzuklärenden Sachverhalt gibt. Zwar kann das Gericht nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO die Einnahme des Augenscheins anordnen. Es kann auch nach § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Indes steht ein entsprechendes Vorgehen im Ermessen des Gerichts. Wenn es, wie vorliegend, nur darum geht, dass die Inaugenscheinnahme von im Besitz des Gegners befindlichen Augenscheinsobjekten zu Beweiszwecken erfolgen soll, setzt die Anordnung aufgrund des im Zivilverfahren geltenden Beibringungsgrundsatzes einen entsprechenden Beweisantrag voraus (vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 144 Rn. 1). Ein solcher Beweisantrag liegt, wie ausgeführt, nicht vor. Es liegt aber auch keine Situation vor, in der durch eine entsprechende Anordnung des Gerichts ein zwischen den Parteien unstreitiger Sachverhalt durch die Inaugenscheinnahme erhellt werden kann (vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 144 Rn. 1). Vorliegend behauptet die Beklagte, dass es neben ihr weitere Frauen gebe, die sich über ein „sexistisches“ Verhalten des Klägers auf der Gamescom im Jahr 2017 beschwerten und dass der Kläger deswegen „super viel Hate“ bekommen habe. Der Kläger nimmt dies in Abrede. Der Sachverhalt ist mithin zwischen den Parteien streitig in dem Sinne, dass die Beklagte die von ihr aufgestellte Tatsachenbehauptung beweisen muss. In der sich so darstellenden Situation liegen die Voraussetzungen einer Anordnung der Vorlage des mutmaßlich in dem Besitz des Klägers befindlichen Videos des Live-Streams von seinem Besuch auf der Gamescom im Jahr 2017 nicht vor. Denn es geht nicht darum, eine zwischen den Parteien unstreitige Situation näher aufzuklären, sondern die Beklagte verfolgt mit ihrer an das Gericht gerichteten Anregung das Ziel, die Wahrheit der von ihr aufgestellten Tatsachenbehauptung durch die Inaugenscheinnahme des Videos beweisen zu können.
Das Urteil setzt Maßstäbe für den Umgang mit Persönlichkeitsrechten in der Online-Welt und zeigt, dass auch im digitalen Diskurs rechtsstaatliche Prinzipien gelten. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte endet nicht an der Grenze des Internets, und selbst öffentliche Personen genießen einen umfassenden Schutz vor Verleumdung und ehrverletzenden Äußerungen.
Das Urteil des LG Hamburg zeigt eindrücklich, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und Worte, einmal veröffentlicht, eine juristische Schwere entfalten können, die noch Jahre später Folgen hat. In der digitalen Schnelllebigkeit vergessen viele, dass man online nicht mit Bleistift, sondern mit Tinte schreibt. Äußerungen, die heute in einem Moment der Emotion oder Provokation gepostet werden, können in der Zukunft zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten führen – selbst dann, wenn der ursprüngliche Sachverhalt längst verblasst ist. Influencer, Unternehmen und Privatpersonen sollten sich stets bewusst sein, dass die rechtlichen Grundsätze von Ehrschutz und Persönlichkeitsrecht auch in der Online-Welt uneingeschränkt gelten.
Fazit
Das Urteil des LG Hamburg verdeutlicht die Bedeutung der Persönlichkeitsrechte im digitalen Zeitalter: Es sendet ein klares Signal, dass auch in der Welt der Influencer und sozialen Medien die Grundrechte auf Ehre und Würde gewahrt werden müssen. Gleichzeitig macht es deutlich, dass die Meinungsfreiheit nicht schrankenlos ist und dort endet, wo unbewiesene Anschuldigungen und Schmähungen beginnen. Dieses Urteil ist nicht nur für die beteiligten Parteien, sondern auch für die gesamte Social-Media-Welt von erheblicher Bedeutung.
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