Öffentlichkeitsfahndung: Rechtmäßigkeit digitaler „Online-Fahndung“ nach Tätern im Internet

Öffentlichkeitsfahndung im Internet – Online-: Früher gab es ihn mal in der , heute findet man das Wort nicht mehr: Den „Steckbrief“, der umgangssprachlich immer noch verwendet wird, in der modernen Sprache der Strafprozessordnung aber zur „Ausschreibung zur Fahndung“ wurde.

Zunehmend sieht sich die Polizei damit konfrontiert, dass derartige Fahndungsaufrufe immer weniger Menschen erreichen – während Zeitungen und Plakatwände um Beachtung kämpfen, nutzen wahre Menschenmassen dagegen soziale Netze im Internet. Es ist naheliegend, darüber nachzudenken, so genannte „Steckbriefe“ über derartige soziale Netze zu verteilen, in Form einer „Online-Fahndung“. Nicht nur dass man mehr Menschen erreicht, es verbreitet sich auch noch quasi als Selbstläufer. Aber: Ist es zulässig?

Begriffe: Fahndung und Öffentlichkeits-Fahndung

Vorab ist zu unterscheiden: Hier geht es nun um die Fahndung nach Personen durch eine Ausschreibung, den so genannten Steckbrief. Es geht nicht um die Fahndung durch Datenerhebung auf Facebook, etwa durch das Abfragen von Daten aus einem Account. Letzteres findet bereits seit einiger Zeit statt, selbst im Rahmen von Verkehrsdelikten werden Fotos von Fahrern bei Facebook gesucht! Ich selbst hatte schon berichtet, dass die Polizei in hier laufenden Sachen sehr aktiv Facebook nutzt, in einem Fall wurde bei einem Jugendlichen eine Identifizierung eines Tatverdächtigen durch die Facebook-Suche nach seinem Spitznamen vorgenommen. Daher: Vorsicht!

Online-Fahndung im Metaverse

Eine polizeiliche Online-Fahndung im Metaverse könnte eine Reihe von Herausforderungen und Besonderheiten mit sich bringen. Im Metaverse könnten KI-basierte Avatare für kriminelle Aktivitäten eingesetzt werden, was die Frage nach der Verantwortlichkeit und Haftung für solche Verbrechen aufwirft. Ein wichtiger Aspekt wäre dabei, wer oder welche Entität den KI-basierten Avatar kontrolliert. Dies erfordert einen zeitgemäßen Rechtsrahmen, um die Haftung für Straftaten zu regeln, die von KI-basierten Avataren begangen oder erleichtert werden.

Ein wesentliches Element der Online-Fahndung im Metaverse wäre die Aufstellung von Sicherheits- und Verhaltensregeln durch die Plattformbetreiber, um Schäden zu minimieren und zu verhindern. Solche Regeln könnten die Form eines quasi-justiziellen Systems annehmen, in dem Plattformen Einzelpersonen und Behörden dazu auffordern könnten, ihre Fälle vor einer Gruppe „internationaler Experten“ zu präsentieren, wenn es Streit darüber gibt, ob Daten freigegeben werden sollten oder ob Strafverfolgungsmaßnahmen auf der Plattform durchgeführt werden sollten.

In Fällen, in denen Handlungen im Metaverse zu schwerwiegenden Schäden, finanziellen Verlusten oder realen Konsequenzen führen, wäre eine Meldung an die Strafverfolgungsbehörden erforderlich. Daher ist es wichtig, ein schwellenwertbasiertes System zu entwickeln, um Schäden, die im oder durch das Metaverse verursacht werden, zu adressieren. Dazu gehört auch die Etablierung eines robusten Meldemechanismus. Die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden wäre von zentraler Bedeutung, um globalen Bedrohungen und Schäden aus dem Metaverse zu begegnen.

Öffentlichkeitsfahndung: Online-Fahndung zulässig: Ja…

Die StPO wurde inzwischen modernisiert und sieht die Ausschreibung zur Fahndung bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung vor, wobei eine Begrenzung der Medien nicht vorgesehen ist: Die Behörde kann sich auf dem ihr geeignet erscheinenden Weg an die Bevölkerung wenden. Dies wenn ein gerichtlicher Beschluss vorliegt oder bei Gefahr im Verzug, wobei regelmäßig ein notwendig sein muss bzw. die Vorraussetzungen zum Erlass eines Haftbefehls gegeben sind. (§131 I, III StPO). Notfalls geht dies auch zur Aufenthaltsermittlung eines Beschuldigten (§131a III StPO).

Der Betroffene ist dabei „möglichst genau“ zu beschreiben, eine Abbildung darf beigefügt werden (§131 IV StPO). Darüber hinaus dürfen Abbildungen zur Fahndung veröffentlich werden, wenn auch noch erst nach einem Verdächtigen oder einem Zeugen gesucht wird und es um eine Straftat von erheblicher Bedeutung geht (§131b StPO).

In einer Gesamtschau ist damit erst einmal zu erkennen, dass die StPO schon jetzt öffentliche Fahndungen über Facebook & Co. zulässt! Es gibt dabei klare gesetzliche Vorgaben, so dass nicht bei jeder X-beliebigen Straftat gefahndet werden kann. Vielmehr muss im Einzelfall abgewägt werden. Mit dem Gesetz ist dabei so genau wie möglich zu bezeichnen, was der Tatsache geschuldet ist, dass Verwechslungen zwingend zu vermeiden sind.

…aber, es gibt Bedenken bei der Öffentlichkeitsfahndung in Form der Online-Fahndung

Dennoch sind Bedenken anzumelden, die mindestens den Entscheidungsspielraum der Behörden erheblich einengen werden. Diese Bedenken haben Ihre Grundlage in den Unterschieden zwischen der herkömmlichen Öffentlichkeitsfahndung und der „Facebook-Fahndung“:

  1. Früher wurden Plakate verteilt und Zeitungsanzeigen geschaltet. Beides hatte eine gewisse Halbwertzeit, die Fahndung wurde automatisch irgendwann „vergessen„. Anders im Internet – einfach nur „löschen“ wird nicht reichen, wenn tausende den Aufruf geteilt haben. Wenn etwa Teil der Nachricht bereits das bzw. die Abbildung ist und am Ende ein Unschuldiger betroffen war, haftet dem wer weiss wie lange die Fahndung an. Insofern ist man gut beraten, den Fahndungsaufruf zumindest ohne Bild einzustellen und das Bild etwa auf einer Webseite vorzuhalten die erst angeklickt werden muss. Die ursprünglich eingestellte Fahndungsmitteilung wird letztlich wohl auch zwingend nach Ende der Fahndung gelöscht werden müssen.
  2. Das nächste Problem ist die Kommentar-Funktion, dies in vielerlei Hinsicht: So kann über die Kommentare einmal zur Lynchjustiz aufgerufen werden, andererseits können (zusätzlich) real existierende Personen diffamiert werden. Insofern wäre es zu begrüssen, wenn ein Weg gefunden wird, ohne Kommentarfunktion behördliche Mitteilungen einzustellen. Wenn das nicht gelingt, ist zumindest eine laufende Kontrolle der Kommentare zwingend anzuraten. Eine Behörde, die einen Fahndungsaufruf schlicht einstellt und sich dann um die Kommentare nicht kümmert, würde andernfalls grob fahrlässig mit einer Aufhetzung öffentlicher Meinung und Diffamierung nicht Betroffener spielen. Der Aufwand wäre insofern durchaus beachtlich.

Fazit zur Öffentlichkeitsfahndung in Form der Online Fahndung („Digitaler Steckbrief“)

Zu Beachten sind hier §§131a, 131b StPO, die eine Ausschreibung und auch öffentliche Bekanntgabe bei der Suche nach Zeugen erlaubt. Dabei ist auch die Veröffentlichung einer Abbildung erlaubt, sofern folgendes beachtet wird:

  1. Die Aufklärung hat eine Straftat von erheblicher Bedeutung zum Gegenstand
  2. Die Feststellung der Identität des Zeugen ist auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert.
  3. Die Veröffentlichung muss erkennbar machen, dass die abgebildete Person nicht Beschuldigter ist.

Entsprechend §131a IV StPO gilt aber auch:

„Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem Zeugen unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Zeugen entgegenstehen.“

Das heisst, es muss im konkreten Einzelfall immer geprüft werden, ob es besondere Schutzwürdige Interessen des Zeugen gibt. Hier gibt es zwei Aspekte, die zu bedenken sind

  1. Natürlich das  des Zeugen, der mitunter gegen seinen Willen in die Öffentlichkeit gezogen wird. Insbesondere wird man wohl eine Abstufung vornehmen müssen, in welchen Medien gesucht wird. Ggfs. wird man in einer ersten Stufe erst in lokalen Tageszeitungen und erst in einer späteren Stufe im Internet ausschreiben können – je nach Dringlichkeit im jeweiligen Fall.
  2. Dazu kommt aber ein weiterer Aspekt: Wer Öffentlich bekannt gibt, welcher in Betracht kommt, zeigt dem potentiellen Täter natürlich auch, wer ihn belasten könnte wobei zugleich klar gestellt wird, dass man auf den Zeugen noch keinen Zugriff hat. Gerade bei Gewalttaten muss man als Behörde damit sehen, dass man den Zeugen einem gewissen Risiko durch den Täter aussetzt, das ebenfalls in die Abwägung aufzunehmen ist!

Zu fragen bleibt, welche Kontrolle die Behörde hier überhaupt hat – ob eine Fahndung nur „im Internet“ oder „auch auf Facebook“ stattfindet lässt sich selten trennen. Ein Link zu einer Fahndung von einer Webseite einer Tageszeitung kann schliesslich auch auf Facebook samt „Fahndungsfoto“ geteilt werden. Letztlich wäre eine Kontrolle der Fahndung insofern ohnehin nur Illusion.

Im Ergebnis wäre die Fahndung auch nach Zeugen grundsätzlich digital möglich – man benötigt aber besonders schwere Straftaten als Voraussetzung. Dabei wird die Behörde immer zu prüfen haben, ob man letztlich den Zeugen selbst nicht gefährdet, wenn man dem Täter geradewegs auf dem Silbertablett präsentiert, wer ggfs. unter Druck gesetzt werden muss um einer Strafverfolgung zu entgehen. Insofern ist nicht nur die Frage ob ausgeschrieben wird eine Abwägungsfrage, sondern auch die Frage in welcher Form ausgeschrieben wird. Die Gestaltung solcher Anzeigen sind gerade bei Zeugen Feinarbeit, etwa um zu verhindern, dass der Täter direkt erfährt, dass dies der einzige Belastungszeuge wäre. Wer hier durch unachtsamkeit der Behörde Nachteile erleidet, dem stünden m.E. Schadensersatzansprüche zur Seite.

Die Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein und muss als zeitgemäß bezeichnet werden. Das ändert aber nichts daran, dass hier äusserst sensibel gehandelt werden muss. Jedenfalls aktuell ist festzustellen, dass man seitens der Ermittlungsbehörden wohl noch mit Fingerspitzengefühl agiert und die Probleme nicht unterschätzen will. Es ist zu hoffen, dass es dabei bleibt und Schnellschüsse unterbleiben. In naher Zukunft ist nach meinem Empfinden jedenfalls mit öffentlichen Ausschreibungen verstärkt zu rechnen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Benutzerbild von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht + Kunst & Medien - ergänzt um Arbeitsrecht.