OLG Stuttgart: Strafbarkeit von Datenhehlerei, §202d StGB

Das OLG Stuttgart (2 U 30/18) konnte sich zur Strafbarkeit wegen (§202d StGB) äussern: Der §202d StGB ist erst seit Dezember 2015 in Kraft und schützt ausweislich der Begründung im Gesetzentwurf „das formelle Datengeheimnis vor einer Fortsetzung und Vertiefung seiner durch die Vortat erfolgten Verletzung“. Mit dem Wortlaut des § 202d StGB wird bestraft, wer Daten im Sinne von § 202a Absatz 2 StGB, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Das OLG hat sich im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens zu den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen geäußert.

Was sind Daten im Sinne des §202d StGB

Hierzu führt das OLG aus: „Nach der Legaldefinition des § 202a Absatz 2 StGB sind von diesem Begriff Daten umfasst, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. Entscheidend ist damit, dass die Daten der sinnlichen Wahrnehmung entzogen sind; gleichgültig ist, mit welchem technischen Verfahren und auf welchem Träger die Speicherung oder Übermittlung geschieht. Daten auf einer Festplatte sowie einer CD-ROM fallen unter diesen Datenbegriff (Graf in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 202a StGB Rn. 17/18).“.

Schutz des formellen Datengeheimnisses

Für eine strafrechtliche Relevanz ist es ohne Bedeutung, ob es sich bei den streitgegenständlichen Daten um ein Geheimnis oder um im Sinne der Datenschutzgesetze handelt:

Die Strafnorm schützt, anknüpfend an §§ 202a bis 202c StGB, das formelle Datengeheimnis desjenigen, der aufgrund seines Rechts an dem gedanklichen Inhalt über eine Weitergabe und Übermittlung der Daten entscheidet, und damit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Herrschaftsverhältnisses über eine Information, ohne dass eine Verletzung des persönlichen Lebens- oder Geheimbereichs vorausgesetzt wird (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 45; Brodowski/Marnau, NStZ 2017, 377 [378f.]). Geschützt wird mithin die Sachherrschaft über eine Information (Reinbacher, GA 2018, 311 [312]). Entscheidend ist nach dem Wortlaut alleine, dass die Daten nicht allgemein zugänglich waren. Das ist in Anlehnung an § 10 Absatz 5 Satz 2 i.d.F. vom 14.01.2003 nur der Fall, wenn jedermann die Daten, sei es ohne oder nach vorheriger Anmeldung, Zulassung oder Entrichtung eines Entgelts, nutzen kann (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 45). Nach diesen Maßstäben sind die streitgegenständlichen Daten taugliche Tatobjekte, denn sie wurden nach dem bisherigen Sachstand in der EDV-Anlage der Beklagten Ziff. 1 vorgehalten und waren dort gegen den allgemeinen Zugriff geschützt.

OLG Stuttgart, 2 U 30/18

Erlangung aus strafbarer Vortat

Der Tatbestand der Datenhehlerei setzt voraus, dass die Daten durch einen anderen aus einer rechtswidrigen Straftat erlangt wurden:

Als Vortat der Datenhehlerei kommen alle Taten in Betracht, die ein Strafgesetz verwirklichen, unabhängig von der Schuld des Täters oder vom Vorliegen eines Strafantrages (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 46). Als Vortat kommt neben den Straftatbeständen der §§ 202a, 202b StGB auch jede andere Straftat in Betracht, soweit sie sich auch gegen die formelle Verfügungsbefugnis des Berechtigten richtet und der Täter dadurch Daten erlangt hat (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 46). Dies ist etwa bei einem des Datenträgers der Fall, da sich auch diese Tat gegen die formelle Verfügungsbefugnis des Berechtigten richtet (Hoyer in: Systematischer Kommentar zum StGB, 9. Aufl. 2017, § 202d StGB Rn. 5; Kargl in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 202d StGB Rn. 8; Weidemann in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, 39. Ed. 2018, § 202d StGB Rn. 6).

OLG Stuttgart, 2 U 30/18

Tatobjekt des §202d StGB

Tatobjekt können auch sogenannte Datendestillate, d.h. einzelne Informationen aus einem Datenarchiv, sein (Brodowski/Marnau, NStZ 2017, 377 [379]). Die tatsächliche Verfügungsmacht über die Daten kann der Täter entweder durch Besitzverschaffung am Ursprungs-Datenträger, durch Kopieren auf ein eigenes Speichermedium, durch Kenntnisnahme oder durch eine sonstige Aufzeichnung der Daten erlangen (Graf in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O., § 202d StGB Rn. 20; Reinbacher, GA 2018, 311f.). Es reicht aus, sich die Informationen auf Papier oder in mündlicher Form zu verschaffen (Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2009, § 202c StGB Rn. 22). Die „Kettendatenhehlerei“ ist möglich (Berghäuser, JA 2017, 244 [247]). Demnach würde es genügen, wenn die Klägerin die Daten von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Absicht, sie in den Prozess einzubringen, entgegengenommen hat. Mit der Vorlage von Ausdrucken im Prozess hätte die Klägerin zudem die Tatbestandsvariante des Verbreitens verwirklicht, die vorliegt, wenn die Daten mindestens einmal mit dem Ziel weitergegeben werden, auf diese Weise die Daten einem größeren Nutzerkreis zugänglich zu machen (Graf in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O., § 202d StGB Rn. 22).

OLG Stuttgart, 2 U 30/18

Einvernehmliches Zusammenwirken

Der Anschlusstäter muss die durch den Vortäter geschaffene Möglichkeit, Zugriff auf die Daten nehmen zu können, im Einvernehmen mit dem Vortäter erhalten haben, um diese zu den tatbestandlichen Begehungsformen zu nutzen (Bosch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2016, § 202d StGB Rn. 6). Ein unmittelbarer Kontakt ist jedoch nicht erforderlich (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 47). Daher reicht es aus, wenn der Empfänger – nach dem klägerischen Vortrag die Wirtschaftsprüfungskanzlei – das Überreichen der Datenträger so verstanden hat und auch verstehen durfte, dass diese (im Interesse der Klägerin) ausgewertet werden sollen.

OLG Stuttgart, 2 U 30/18

Vorsatz

Vom Vorsatz muss insbesondere der Umstand erfasst sein, dass die Daten von einem anderen durch eine rechtswidrige Tat erlangt worden sind. Allein das Bewusstsein, dass die Daten aus irgendeiner rechtswidrigen Tat stammen, reicht zur Vorsatzbegründung nicht aus. Wie bei der Sachhehlerei ist dafür erforderlich, dass der Täter die als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 47; Graf in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O., § 202d StGB Rn. 26; Weidemann in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, 39. Ed. 2018, § 202d StGB Rn. 21). (…) Unerheblich wäre, ob die Klägerin genaue Einzelheiten der Vortat kannte. Die Art und die Umstände ihrer Begehung oder die Person des Vortäters müssen nicht bekannt sein (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 47; Graf in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O., § 202d StGB Rn. 26; Weidemann in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, 39. Ed. 2018, § 202d StGB Rn. 21; Kargl in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 202d StGB Rn. 10).

OLG Stuttgart, 2 U 30/18

Bereicherungsabsicht

Gemäß § 202d Absatz 1 StGB ist es erforderlich, dass der Täter handelt, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen:

Eine (Fremd-) Bereicherungsabsicht liegt danach vor, wenn nach der Vorstellung des Täters die Tat auf die Erlangung eines Vermögensvorteils für sich selbst oder einen Dritten gerichtet ist, wobei hinsichtlich der Bereicherung dolus directus ersten Grades erforderlich ist (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 47), also ein Handeln, das darauf abzielt, einen Vermögensvorteil beim Täter selbst oder bei einem Dritten herbeizuführen (…) Entgegen der Auffassung der 11. Kammer des Landgerichts Stuttgart im Urteil des einstweiligen Rechtsschutzes (Anlage K 46, Seite 21), der sich die 42. Kammer für Handelssachen im angefochtenen Urteil angeschlossen hat, entfällt die Bereicherungsabsicht jedoch nicht, wenn der Täter handelt, um einen erlittenen Schaden wieder auszugleichen. Wie sich aus dem Vergleich des Wortlauts mit § 263 Absatz 1 StGB ergibt, muss die Bereicherung nicht rechtswidrig sein. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers (Bundestag Drucksache 18/5088, Seite 47). Die Kommentarliteratur hat sich dieser Auslegung angeschlossen (Graf in Münchener Kommentar zum StGB, a.a.O., § 202d StGB Rn. 28; Weidemann in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, 39. Ed. 2018, § 202d StGB Rn. 22; Kargl in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 202d StGB Rn. 17; Bosch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2016, § 202d StGB Rn. 8; Hoyer in: Systematischer Kommentar zum StGB, 9. Aufl. 2017, § 202d StGB Rn. 12). Nach diesen Grundsätzen entfällt die Bereicherungsabsicht nicht unter dem Aspekt, die Klägerin habe eine Forderung durchsetzen wollen, auf die sie einen Anspruch zu haben glaubte.

OLG Stuttgart, 2 U 30/18
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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