Ich muss mich in der jüngeren Vergangenheit leider zunehmend um Haftbeschränkungen streiten, wobei sich das Gefühl aufdrängt, dass die Gerichte zunehmend „grosszügiger“ werden was die Haftbeschränkungen angeht. Derartige Haftbeschränkungen sind in §119 StPO geregelt, der u.a. vorsieht:
Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass
- der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
- Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
- die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
- der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird,
- die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Aber: Keineswegs ist dies ein Raum frei von Überprüfungen oder freigegeben zur schlichten Mutmaßung – alleine die schlichte Sorge, dass die Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr zu besorgen ist, ist kein Grund kurzerhand Beschränkungen aufzuerlegen, die die einschneidende Maßnahme der Untersuchungshaft noch weiter vertiefen. Das OLG Köln konnte dies in einigen von mir herbeigeführten Entscheidungen exemplarisch verdeutlichen.
Der häufig in Entscheidungen des OLG Köln anzutreffende Baustein wurde in einem vor kurzem erlassenen Beschluss des OLG Köln – mit dem die meinem Mandanten auferlegten Beschränkungen aufgehoben wurde – nochmals in aktualisierter Fassung abgedruckt:
Nach der Rechtsprechung des Senats widerstreitet das Begehren des Untersuchungsgefangenen, mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt in Kontakt zu treten, in der Regel zwar de.m Zweck der Untersuchungshaft. Die Erforderlichkeit von Überwachungsanordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO kann jedoch nicht allein auf die Würdigung der Umstände gestützt werden, welche der Anordnung der Untersuchungshaft zugrundeliegen. Denn ansonsten wären Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO ohne Hinzutreten weiterer Voraussetzungen – also praktisch immer – zulässig (vgl. SenE vom 28.12.2012, 111-2 Ws 896/12). Notwendig ist vielmehr eine konkrete Gefährdung des Haftzwecks, wobei die abzuwehrende Gefahr trotz des Vollzuges der Untersuchungshaft (fort-)bestehen und den Erlass einer Anordnung nach § 119 Abs. 1 StPO erforderlich machen muss (vgl. BerlVerfG NStZ-RR 2011, 94). Insoweit sind die Maßnahmen gemäß § 119 Abs. 1 StPO allerdings nicht auf eine Sicherung des im Haftbefehl genannten Haftgrundes beschränkt (SenE vom 12.08.2010, 2 Ws 498/1 O; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl„ § 119 Rn. 6, 7).
Der springende Punkt ist die „konkrete“ Gefährdung, für die nachvollziehbare Anhaltspunkte vorliegen müssen. Eine allgemeine Besorgnis reicht dafür eben nicht aus.
Ein Streitpunkt sind verständlicher Weise, gerade bei Mandanten mit Auslandsbezug, Telefonate mit Angehörigen, die durch notwendige Übersetzung geradezu unmöglich gemacht werden können. Hier ist als erstes zu sehen, dass das OLG Köln ausdrücklich festhält, dass hier ein großzügigerer Maßstab gilt:
Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass für Telefongespräche mit Familienangehörigen ein großzügigerer Maßstab anzulegen sein kann (Meyer-Goßner a.a.O., Randn. 13).
Wer dann dennoch darüber diskutiert, dass hier etwa Fluchtbemühungen abgesprochen werden könnten, der muss damit rechnen, dass hier kurzerhand und vollkommen lebensnah das OLG in die Vermutung hineingrätscht, etwa mit einem Satz wie diesem:
Unabhängig davon erscheint wenig lebensnah, dass der Angeklagie Telefongespräche mit Familienangehörigen in Kuba missbrauchen könnte, um seine Flucht zu organisieren
Wie oben dargelegt: Man braucht konkrete Anhaltspunkte. Und wenn man etwa, wie seinerzeit meinem Mandanten, nicht darlegen konnte, warum der mittellose Mandant via Telefon eine Flucht aus einer deutschen JVA mit Verwandten in Kuba organisieren können soll, dann muss man damit rechnen, dass der Beschluss aufgehoben wird.
Die wenigen Sätze sind nur exemplarisch, sollen aber aufzeigen: Es lohnt sich, bei Haftbeschränkungen genauer hinzusehen, insbesondere wenn die ersten Monate vergangen sind. Häufig handelt es sich noch um Schema-F-Verfügungen und gerade Oberlandesgerichte wie Köln und Hamm beweisen gerne eine gewisse Lebensnähe. Speziell während laufender Revisionsverfahren sollte man sich hier nicht dem Druck beugen und stattdessen den Weg der Beschwerde suchen.
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