Nichtöffentlich gesprochenes Wort bei faktischer Öffentlichkeit

In einer sehr schönen Entscheidung hat sich das , 60 Qs 52/20, deutlich gegen die Rechtsprechung aus München postiert, mit der vorschnell ein nichtöffentlich gesprochenes Wort angenommen wird.

So führt das LG Aachen aus, dass ein mittels eines Smartphones aufgezeichnetes Gespräch zwischen zwei Personen (hier: Streitgespräch mit einer Schulleiterin) dann nicht als „nichtöffentlich“ i.S. des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen ist, wenn das Gespräch in einer „faktischen Öffentlichkeit“ erfolgt.

So führt das Landgericht aus:

Das Landgericht München I hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens die auch von der Staatsanwaltschaft XXX geteilte Auffassung vertreten, dass von einer Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes bereits dann ausgegangen werden kann, wenn die von dem Äußernden gesprochenen Worte ausschließlich an eine einzelne Person gerichtet gewesen sind und nicht an die Allgemeinheit (vgl. LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, juris Rn. 22 zu Äußerungen von Polizeibeamten im Rahmen eines Einsatzes). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung hätte die Angeschuldigte zweifelsohne den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht. Sowohl nach der Einlassung der Angeschuldigten als auch den Angaben der Zeugin XXX waren die aufgezeichneten Worte ausschließlich an die Angeschuldigte gerichtet.

Demgegenüber hat das Landgericht Kassel im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, dem die eines Mobiltelefons zugrunde gelegen hatte, die auch vom Amtsgericht in der zugrundeliegenden Entscheidung geteilte Auffassung vertreten, dass die bei einer Unterredung im Rahmen einer polizeilichen Personenkontrolle gesprochenen Worte zwar grundsätzlich nicht an die Allgemeinheit gerichtet, also nicht für einen über einen durch persönliche und sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinausgehenden Hörerkreis bestimmt sind, was der gängigen Definition des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB entspreche. Allerdings könne das Vorhandensein einer „faktischen Öffentlichkeit“ der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes entgegenstehen; dies sei namentlich dann der Fall, wenn die Äußerung unter Umständen erfolge, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden müsse. Denn entscheidend seien die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Abzustellen sei dabei auf solche Umstände, die für diejenigen Personen, deren Kommunikation betroffen sei, auch offen zu erkennen seien (vgl. LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161, juris Rn. 7-10; ebenso Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3109 f.). Demgegenüber dürfte es entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft in der Beschwerdeschrift nicht darauf ankommen, ob die Äußerungen den „Raum der Schule“ verlassen haben.

Die Kammer teilt die Auffassung des Landgerichts Kassel, weil sie nicht nur dem Willen des Gesetzgebers entspricht, sondern – entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft – auch dem Schutzzweck der Norm Rechnung trägt. Mit der Regelung will der Gesetzgeber die Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes schützen. Sie ist Teil der Persönlichkeitssphäre des Menschen, des Bereichs privater Lebensgestaltung des einzelnen, die in ihrem Kern durch Art. 1 und 2 Abs. 1 GG absolut geschützt sind. Private Gespräche müssen geführt werden können frei von Argwohn und frei von der Befürchtung, dass deren ohne die Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen erklärten Willen verwertet wird  (…)

Bei der Auslegung des Merkmals „nichtöffentlich“ ist von diesem Schutzzweck der Vorschrift auszugehen. Der einzelne soll in der Unbefangenheit seines Wortes dann besonders geschützt werden, wenn er keinen Anlass zu sehen braucht, im Hinblick auf die Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt zu wahren. Maßgebend sind demnach grundsätzlich die Vorstellungen des Sprechenden. Äußert sich der Sprechende in einem Bereich, in dem er damit rechnen muss, dass seine Worte zur Kenntnis der „Öffentlichkeit“ gelangen, macht er damit seine Worte zu „öffentlichen“, und zwar selbst dann, wenn er sich lediglich an eine bestimmte Person wendet (…). Demgegenüber will § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht jedes gesprochene Wort schützen, weshalb die entgegenstehende Auffassung des LG München I deutlich über den Schutzzweck der Vorschrift hinausgeht und für eine derart extensive Auslegung des Begriffs „nichtöffentlich“ auch kein Bedürfnis besteht.

Unter Zugrundelegung dieser Auffassung hat das von der Angeschuldigten (vermeintlich) aufgezeichnete Gespräch zwischen ihr und der Angeschuldigten in einer „faktischen Öffentlichkeit“ stattgefunden. Von einer solchen kann allerdings nicht schon dann ausgegangen werden, wenn die Äußerungen in einem öffentlich zugänglichen Raum (hier: Flur in einem Schulgebäude) und im „Beisein“ anderer Personen (hier: „anderer Eltern“) erfolgen. So fehlt es an einer „faktischen Öffentlichkeit“, wenn die Äußerung zwar in einem öffentlichen Raum, aber außer Hörweite anderer Beteiligter erfolgt (…).

Dass sich unbeteiligte Dritte in Sichtweite des Geschehens aufgehalten haben, begründet noch keine „faktische Öffentlichkeit“, da es für die Beurteilung der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes auf die akustische, nicht dagegen allein auf die visuelle Wahrnehmbarkeit ankommt (…). Jedenfalls nach dem Ergebnis der von der Kammer veranlassten Nachvernehmung der Zeuginnen XXX und XXX ist aber davon auszugehen, dass das Gespräch für die Zeugin XXX erkennbar in Anwesenheit mehrerer Personen, namentlich der Zeugin XXX, des Hausmeisters sowie einer Mutter – mutmaßlich der Zeugin XXX – stattgefunden hat. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Zeugin XXX nach den objektiv gegebenen Umständen ersichtlich nicht sicherstellen konnte, dass ihre Äußerung nicht durch umstehende Teilnehmer wahrgenommen wird. Insbesondere war für sie ohne Weiteres erkennbar, dass sie sich in einem solchen Rahmen nicht völlig unbefangen und vertraulich äußern kann (…).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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