Nachschieben von Kündigungsgründen: Immer wieder für Unsicherheit sorgt bei Kündigungen im Arbeitsrecht die Thematik des „Nachschieben von Kündigungsgründen“. Beim Nachschieben von Kündigungsgründen gilt: Wenn und soweit Kündigungsgründe erst später bekannt und in den Kündigungsschutzprozess eingeführt werden, handelt sich insofern um ein sog. Nachschieben von Kündigungsgründen, das in nicht-mitbestimmten Betrieben nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ohne weiteres zulässig ist.
Nachschieben von Kündigungsgründen
In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Kündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung. So sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen – zumindest wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen -, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken. Daneben können selbst solche Tatsachen in den Prozess eingeführt werden, die den Verdacht eines eigenständigen – neuen – Kündigungsvorwurfs begründen. Voraussetzung ist, dass der neue Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung objektiv schon gegeben, dem Arbeitgeber nur noch nicht bekannt war (siehe hierzu BAG, 2 AZR 102/12 und 2 AZR 296/11 sowie 2 AZR 264/06).
Außerdem muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Die Notwendigkeit der Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Sie gründet in der Verpflichtung des Arbeitgebers, sich um eine Aufklärung des Sachverhalts zu bemühen. Sie soll den Arbeitgeber vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass ein Unschuldiger von der Kündigung betroffen wird (BAG 2 AZR 206/11 & 2 AZR 474/07). Ist aber – wie beim „Nachschieben“ von Kündigungsgründen – die Kündigung dem Arbeitnehmer bereits zugegangen, kann dessen Stellungnahme sie in keinem Fall mehr verhindern. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist damit auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht unverzichtbar. Die Rechte des Arbeitnehmers werden gleichermaßen dadurch gewahrt, dass er sich im anhängigen Kündigungsschutzprozess gegen den neuen Tatverdacht verteidigen kann (BAG, 2 AZR 102/12 – zusammenfassend Arbeitsgericht Solingen, 1 Ca 1128/19).
Gerade die Problematik des „nachschiebens von Kündigungsgründen“ macht deutlich, wie sinnvoll eine Kündigungsschutzklage im Einzelfall sein kann.
Jens Ferner
RechtsanwaltNachschieben von Kündigungsgründen bei fristloser Kündigung
Dies gilt auch bei Kündigungen entsprechend § 626 BGB, denn die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nur für die Erklärung der Kündigung. Ist die Kündigung als solche rechtzeitig erklärt, schließt auch § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Gründe nicht aus (siehe hierzu BAG,2 AZR 102/12 und 2 AZR 362/96). Für die Beurteilung, ob ein nachgeschobener Sachverhalt dem Arbeitgeber schon im Kündigungszeitpunkt bekannt war, kommt es auf den Wissensstand des Kündigungsberechtigten an.
Zeitpunkt der Kenntnis bei Nachschieben von Kündigungsgründen
Zu fordern ist in sachlicher Hinsicht beim Nachschieben von Kündigungsgründen – wie im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB – eine positive, vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. In personeller Hinsicht kommt es dabei – wie bei § 626 Abs. 2 BGB – auf die entsprechende Kenntnis in der Person des Kündigungsberechtigten an (Landesarbeitsgericht Köln, 4 Sa 329/19). Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich maßgeblich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs (siehe BAG, 2 AZR 256/14).
Nachschieben von Kündigungsgründen ist nicht immer möglich
Bei Kündigungsstreitigkeiten ist das Nachschieben von Kündigungsgründen sehr beliebt. Die kann sich aber auch als Falle erweisen. Das zeigt eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (Urteil vom 15.7.2020, 3 Sa 736/19): In dem Fall war ein schwerbehinderter Arbeitnehmer betroffen. Das LAG machte deutlich, dass hier Kündigungsgründe nicht nachgeschoben werden können. Dies scheitere daran, dass diese Kündigungsgründe dem Integrationsamt regelmäßig vorher nicht mitgeteilt wurden.
Beachten Sie: Die Anhörung des Integrationsamts ist anders als die Betriebsratsanhörung nicht nachholbar.
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